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Komplementäre Medizin : Warum die Natur zum Schmerzkiller wird

Umgeben von Natur nehmen wir Schmerzen weniger stark wahr. Das haben Messungen der Hirnaktivität im Magnetresonanztomografen bewiesen. Worauf genau beruht der Effekt?
Eine Frau sitzt in Sportkleidung auf einem Holzsteg und blickt auf einen nebligen See, während die Morgensonne über den bewaldeten Hügeln aufgeht. Neben ihr sitzt ein kleiner Hund in einem blauen Pullover. Die Szene strahlt Ruhe und Naturverbundenheit aus.
Reale oder virtuelle Aufenthalte in der Natur könnten künftig bei der Behandlung von Schmerzen helfen.

Der Blick ins Grüne lindert Schmerzen – das vermutet man in der medizinischen Forschung schon lange. Rätselhaft blieb allerdings, weshalb das so ist und worauf es dabei ankommt. Ein Team von der Universität Wien und der University of Exeter spürte der analgetischen Wirkung einer natürlichen Umgebung auf das Gehirn nach und kam zu einer verblüffenden Erkenntnis: Der Schmerz erschien auf den »niedrigeren« Verarbeitungsstufen im Gehirn gedämpft – und nicht etwa dort, wo die emotionale Bewertung des Schmerzes stattfindet oder Erwartungen dazu gebildet werden. Einen reinen Placeboeffekt halten die Forscher daher für unwahrscheinlich. Auch hatte es keinen Einfluss auf die Schmerzlinderung, ob sich die Versuchspersonen für mehr oder weniger naturverbunden hielten.

Die Arbeitsgruppe registrierte die Hirnaktivität von 49 Teilnehmern, die im Magnetresonanztomografen liegend eine Reihe ungefährlicher, aber unangenehmer Elektroschocks an der Hand über sich ergehen ließen. Währenddessen wurden die Freiwilligen per Video in verschiedene virtuell erzeugte Umgebungen versetzt. Das erste Video zeigte einen stillen See, das zweite denselben See umrahmt von Gebäuden, im dritten Film fanden sich die Probanden in einem modisch-schlichten Büro wieder. Untermalt wurden die Bilder mit jeweils passender, zurückhaltender Geräuschkulisse.

Virtuelle Landschaften | Das Forschungsteam um Claus Lamm (Universität Wien) versetzte Probanden im Kernspintomografen mit solchen Szenen in verschiedene Umgebungen und testete den Einfluss auf ihre Schmerzwahrnehmung.

Die Versuchspersonen berichteten, dass sie in natürlicher Umgebung deutlich weniger Schmerzen empfanden. Einen derartigen Effekt hatten schon frühere Studien nahegelegt, doch waren die Mechanismen noch unbekannt. Inzwischen ist es gelungen, die mit der Schmerzverarbeitung verbundenen Hirnnetzwerke genauer zu analysieren. Man unterscheidet beispielsweise solche »höherer« Ordnung, die mit der Schmerzwahrnehmung verbundene emotionale und motivationale Aspekte vermitteln, von jenen eher niedriger Ordnung, die relativ direkt den Input von den Schmerzrezeptoren verarbeiten.

Ausgerechnet auf dem unteren Verarbeitungslevel fand sich eine verringerte Aktivität, etwa im Thalamus, im sekundären somatosensorischen Kortex und im hinteren Teil der Inselrinde. Diese Regionen sind nicht nur für das Verarbeiten von frühen, sensorischen Informationen über den Schmerz verantwortlich, sondern können in ihrer Aktivität auch durch Aufmerksamkeitsprozesse beeinflusst werden. Zu dieser Beobachtung passt, dass die Probanden angaben, die Naturszenen hätten sie eher von den Schmerzen abgelenkt. Laut einer Theorie enthalten natürliche Umgebungen zahlreiche Elemente, die unsere Aufmerksamkeit fesseln.

»Unsere Studie ist die erste, die nahelegt, dass es sich nicht einfach um einen Placeboeffekt handelt«, sagt Max Steininger, Doktorand an der Universität Wien und Erstautor der Studie. Die schmerzlindernde Wirkung der Natur sei zwar deutlich geringer als die von Schmerzmitteln. Verglichen mit wochenlangen Trainings, in denen kognitive Bewältigungsstrategien erlernt werden, wären echte oder virtuelle Naturstimuli als komplementäre Maßnahme aber schnell umsetzbar.

  • Quellen
Nature Communications 10.1038/s41467–025–56870–2, 2025

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