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News: Schöpfung im Reagenzglas

Stammzellen sind en vogue. Lange Zeit unterschätzt, eröffnet sich erst seit einigen Jahren ihr ungeheures Potential. Jetzt fand eine italienische Arbeitsgruppe, dass offenbar der bloße Kontakt ausreicht, damit Stammzellen zu Muskelzellen werden. Und was im Reagenzglas gelang, funktionierte auch im lebenden Organismus.
Die rasante Entwicklung in der Erforschung von Stammzellen hat es ja schon ahnen lassen: Mit den Stammzellen verfügen wir über einen körpereigenen Rohstoff, mit dem sich bald vielleicht jeder Schaden beheben lässt. Die Zucht beliebigen Gewebes scheint in greifbare Nähe gerückt. Italienischen Wissenschaftlern gelang es nun, neurale Stammzellen zu Muskelfasern heranwachsen zu lassen – indem sie einfach beide Zelltypen in einer Nährlösung vereinten.

Neurale Stammzellen finden sich im Stammhirn und entwickeln sich normalerweise zu Nervenzellen und anderem Hirngewebe. Die Forschungen der letzten beiden Jahre zeigten bereits, dass sich die zukünftige Entwicklung von Stammzellen sehr viel variabler gestaltet, als ursprünglich angenommen. Und schon bald entstanden aus ihnen Herz-, Leber- und sogar Blutzellen. Angelo Vescovi vom Ospedale San Raffaele in Mailand und Giulio Cossu vom Dipartimento di Istologia e Embriologia Medica der Università degli Studî di Roma "La Sapienza" fanden nun heraus, dass offenbar der bloße Kontakt mit bestimmten anderen Zellen ausreicht, damit sich die Stammzellen differenzieren (Nature Neuroscience vom Oktober 2000).

Dazu brachten sie in einem ersten Schritt im Labor neurale Stammzellen aus dem Gehirn von Mäusen mit Muskelzellen zusammen. Tatsächlich produzierten die Stammzellen innerhalb weniger Tage Proteine, wie es sonst nur Muskelzellen tun. Schließlich verbanden sie sich sogar mit den Muskelzellen und bildeten Myotuben, Zellverbände, aus denen ein Großteil des Muskelgewebes besteht. Allerdings muss zwischen den Stammzellen und dem Muskelgewebe ein inniger Kontakt bestehen. Waren sie durch eine poröse Membran voneinander getrennt, ließen sich die Stammzellen nicht beeinflussen. In einem weiteren Schritt wollten die Forscher wissen, ob dies auch in lebenden Tieren geschieht und injizierten Stammzellen in die geschädigten Muskeln von Mäusen. Mit eindeutigem Ergebnis, denn bereits zwei Wochen später fanden sich die ehemaligen Hirnzellen in dem regenerierten Muskelgewebe wieder.

Die Ergebnisse der italienischen Forschergruppe stießen auf große Resonanz. Für Derek von der Kooy vom Department of Anatomy and Cell Biology der University of Toronto sind die Arbeiten von Vescovi und Cossu ein "ziemlich überzeugender" Hinweis dafür, dass aus neuralen Stammzellen tatsächlich normales Muskelgewebe wird. Ronald McKay vom National Institute of Neurological Disorders and Stroke in Bethesda drängt auf baldige Klärung der Mechanismen, die der Umwandlung der Zellen zugrunde liegen. Auf diese Weise könnte ein wichtiger Schritt hin zur Behandlung von Muskelkrankheiten erfolgen.

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