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News: Schrille Städter

Das Balzen von Stadtvögeln entspricht mehr und mehr dem des Menschen in einer extralauten Disko: Man muss den Umgebungslärm überschreien, um vom anderen Geschlecht verstanden zu werden. Kohlmeisen kennen ein paar hilfreiche Stimmtricks.
Kohlmeise
Um bei ihren Angebeteten zu landen, müssen Vogelmänner vor allem eines sein: begnadete Sänger. An den zu Balzzwecken dargebotenen Arien erkennen interessierte Weibchen schließlich gesuchte männliche Qualitäten, etwa, ob der Herr der Schöpfung gesund ist und ein würdiger Vater späterer Vogelkinder – oder nur ein schmalbrüstiger Schwächling, dessen heruntergeleiertes Liebeswerben von entfernten Nachbarn übertönt wird.

Vogelmänner auf Freiersfüßen tun also gut daran, ihrem Balzgesang stets vernehmlich Gehör zu verschaffen. Das wird von Jahr zu Jahr schwerer, denn die Akustik der Veranstaltungsorte ihrer Gesangskunst lässt umweltbedingt oft zu wünschen übrig: Akustische Umweltverschmutzung durch allgegenwärtigen Umgebungslärm verunreinigt zunehmend die Lebensräume der geflügelten Minnesänger. Besonders in Städten übertönt Verkehrslärm von frühmorgens bis spätabends die dort hartnäckig verharrende, urbane Vogel-Bevölkerung.

Was tun als moderner Großstadtvogel, um dennoch erhört zu werden? Hans Slabbekoorn und Margriet Peet von der Universiteit Leiden lauschten mit Mikrofonen den Balzgesängen verschiedener holländischer Kohlmeisen (Parus major) hinterher, die ihre stimmlich verteidigten Reviere in unterschiedlichsten Viertel der niederländischen Stadt Leiden aufgeschlagen hatten. Natürlich ebenfalls auf den Gesangsaufnahmen der Forscher: der Umgebungslärm der verschiedenartigen Vogel-Quartiere, verständlicherweise deutlich weniger störend in ruhigen Villenvierteln und an ländlichen Vorortgassen als in belebten Einkaufspassagen und verkehrsreichen Ausfallstraßen.

Offenbar, so zeigte die Auswertung der Aufnahmen, beeinflusst das größtenteils niederfrequente Rauschen des urbanen Hintergrundlärms die Tonlage der Meisengesänge: Die belauschten Vögel sangen in lauten Revieren in deutlich höheren Frequenzen als ihre Artgenossen aus stilleren Straßenzügen oder gar den außerstädtischen Landei-Legern.

Das, so Slabbekoorn, mache durchaus Sinn: Höhere Frequenzen seien vor einem niederfrequenten Geräuschhintergrund wie dem allgegenwärtigen Stadtlärm deutlich besser wahrzunehmen. Die Kohlmeisen – die ihren Gesang stets erst perfektionieren, nachdem sie in einem Revier häuslich geworden sind – hatten demnach offenbar ihre Lieder sinnvoll maßgeschneidert und der ortsüblichen Akustik angeglichen.

Falls dazu nicht alle Vögelspezies in der Lage seien, so mutmaßen die Wissenschaftler, könnte diese gesangliche Anpassungsfähigkeit Meisen einen evolutiven Startvorteil in städtischen Habitaten verschaffen. Damit wäre womöglich auch ein Grund dafür gefunden, warum manche Vogelarten aus städtischen Ökosystemen mehr und mehr verschwinden, während andere, wie Kohlmeisen, hier bestens zurechtzukommen scheinen: Sie gleichen die urbane Lärmbelästigung flexibel aus, indem sie mit Wechsel der Wohn- auch ihre Tonlage ändern – und so, trotz aller gesangsfeindlicher Geräuschattacken, ausreichende Balz- und Fortpflanzungserfolge gewährleisten.

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