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News: Schritt für Schritt

Ein defektes Protein ist verantwortlich für die neurologischen Störungen der Huntington-Krankheit. Dabei wirkt es nicht nur direkt giftig auf die Gehirnzellen, sondern auch indirekt: Es kann eine wichtige Kontrollfunktion der gesunden Variante nicht mehr wahrnehmen.
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Lange Zeit konzentrierte sich die Forschung an der Huntington-Krankheit auf die veränderte Form des Proteins Huntingtin, welches für das hirnzerstörerische Werk verantwortlich ist. Das fragliche Eiweiß ist bei den Betroffenen um etliche Einheiten der Aminosäure Glutamin verlängert und wirkt dadurch giftig auf Nervenzellen in verschiedenen Gehirnregionen. Die Folge sind unkontrollierbare Verkrampfungen und Zuckungen der Muskeln, die dem Leiden auch den Namen "Veitstanz" eintrugen, sowie weitere Störungen von emotionalen und Wahrnehmungsprozessen. Die Krankheit tritt meist im mittleren Alter auf und führt nach einem guten Jahrzehnt zum Tod.

Elena Cattaneo und ihre Kollegen von der University of Milan kamen jedoch vor zwei Jahren einem weiteren Mechanismus auf die Spur, der die Krankheitssymptome auslöst. Sie hatten sich mit der Aufgabe des gesunden Huntingtin-Proteins beschäftigt und dabei festgestellt, dass es die Produktion des so genannten neurotrophen Gehirnfaktors (brain derived neurotrophic factor, BDNF) fördert. Jenes Protein ist überlebenswichtig für zahlreiche Nervenzellen, muss jedoch für manche angeliefert werden, weil sie es nicht selbst herstellen. Catteneo und ihr Team konnten damals zeigen, dass bei Huntington-Betroffenen gerade jener Nachschub aber gestört ist und die unterversorgten Zellen absterben.

Nun sind die Forscher noch einen Schritt weitergekommen: Sie konnten aufklären, über welchen Mechanismus das Huntingtin und die BDNF-Herstellung verknüpft sind – Schritt für Schritt.

Schauspiel des komplexen Geschehens ist zum einen der Zellkern, zum anderen das Cytoplasma der Zelle. Im Zellkern liegt das Gen für BDNF samt seinen Regulatoren, welche das Ablesen entweder einleiten oder hemmen. Zu den molekularen Bremsen gehört auch das kurze Stückchen NRSE, des neuronal restrictive silencer element. Damit es wirken kann, braucht es allerdings Hilfe von außen, die das Ablesen jener Sequenz anschaltet: einen Transkriptionsfaktor.

Diesen Mitspieler spürten die Forscher im Cytoplasma auf: das REST/NRSF-Protein. Es bindet, wenn es in den Zellkern gelangt, direkt an NRSE und aktiviert dadurch die Bremse. Das gesunde Huntingtin schiebt dem jedoch offenbar einen Riegel vor, indem es das Eiweiß mit der unaussprechlichen Buchstabenfolge im Zellplasma einfach festhält. Ohne den aktivierenden Mitspieler aus dem Cytoplasma aber bleibt die Bremse im Zellkern unwirksam, und das überlebensnotwendige BDNF kann für seine fernen Bestimmungsorte in ausreichender Menge hergestellt werden.

Ein ganz anderes Bild bietet sich, wenn das Huntingtin durch seinen Glutaminschwanz funktionslos ist. Dann nämlich wandern die REST/NRSF-Proteine nun unaufhaltsam in den Zellkern, reichern sich dort an und bremsen über NRSE die Produktion von BDNF aus – mit den bekannten zerstörerischen Folgen.

Huntingtin regt also nicht direkt die Bildung von BDNF an, sondern hindert einen anderen Beteiligten daran, den Prozess zu stoppen. Obwohl deutlich komplizierter, bietet diese Abfolge nun neue Möglichkeiten, helfend einzugreifen, spekulieren die Forscher: Indem zum Beispiel eine Substanz entwickelt wird, welche die Aufgabe des gesunden Huntingtin-Proteins übernimmt, REST/NRSF am Eintritt in den Zellkern zu hindern und so die molekulare Bremse gelöst zu lassen.

Solche Medikamente wären gegebenfalls nicht nur für Huntington-Patienten geeignet. Denn die Bremssequenz NSRE ist auch in anderen neuronalen Genen enthalten und wird durch den Wächter Huntingtin indirekt reguliert. Werden sie ähnlich beeinträchtigt wie BDNF, kommt es auch hier zu Ausfällen und weiteren Schäden. Mit den detaillierteren Erkenntnissen lassen sich nun vielleicht neue Wege zu Medikamenten gehen – wenn auch langsam Schritt für Schritt.

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