Direkt zum Inhalt

News: Schurke oder Schutzengel?

Eine verbreitete Weisheit der Krebsforschung scheint doch nicht so weise gewesen zu sein - nach neuen Erkenntnissen muss die Rolle der krebsauslösenden Notch-Gene wohl differenzierter gesehen werden.
"Gut" und "böse" festzulegen, ist oft eine Frage des Standpunktes und endet häufig in grob vereinfachter Schwarz-Weiß-Malerei. Eine Binsenweisheit natürlich, die allerdings insbesondere in komplizierten naturwissenschaftlichen Fragestellungen zu beachten wäre. Und trotzdem: Es erscheint nun einmal einleuchtend, ein krebsauslösendes Gen als "böse" zu etikettieren.

Derartig gebrandmarkt sind beispielsweise Mitglieder der Notch-Gen-Familie: Unter ihrem Einfluss bilden sich membrandurchdringende Rezeptorproteine, die, nach Kontakt mit bestimmten extrazellulären Signalen, auf fatale Weise in den Zellkern-Stoffwechsel eingreifen: Sie aktivieren bestimmte DNA-bindende Proteine, welche letztlich eine normale Differenzierung der betroffenen Zellen verhindern. Statt die ihnen vorbestimmte Zell-Laufbahn einzuschlagen, kann die Zelle dann entarten – Krebs ist die Folge.

Es lag daher nahe zu versuchen, die Notch-Gene mit Medikamenten zu blockieren – einen Ansatz, den auch Wissenschaftler der Harvard Medical School und des Brigham and Women's Hospitals anstrebten.

Das Forscherteam um Paolo Dotto untersuchte den Einfluss der Notch-Gene bei Gebärmutterhalskrebs, einer Krebsform, die oftmals nach einer Infektion mit humanen Papilloma-Viren (HPV) auftritt. Der krebsauslösende Mechanismus dieses weltweit am häufigsten sexuell übertragenen Virus ist bekannt: In infizierten Zellen wenden sich zwei virale Oncoproteine, E6 und E7, gegen zwei der wichtigsten Tumor-Verteidigungsmechanismen der Zellen – die Proteine p53 und Rb – und schalten diese aus. In späten Phasen der Infektion führen dann hohe Konzentrationen von E6 und E7 vermehrt zu ungebremstem Zellwachstum und irregulären Gewebeinvasionen – und schließlich zur Entartung der Gebärmutterhals-Zellen.

Die Erkenntnisse der Forscher bestätigten nun überraschenderweise keineswegs das bislang düstere Image der Notch-Gene: "Im Gegenteil", berichtet Dotto. In späten Phasen einer schweren HPV-Infektion entpuppte sich das Gen Notch-1 vielmehr als körpereigenes Bollwerk gegen die viralen Krebsauslöser. Denn Dotto und seine Kollegen entdeckten, das in massiven späten Infektionen die Produktion der Notch-1-Proteine stark gebremst war. Als die Forscher in solchen Zellen die Aktivität von Notch-1 versuchsweise künstlich erhöhten, beobachteten sie eine Verlangsamung des entarteten Zellwachstums: Notch-1 blockiert offenbar die Produktion der Virus-Oncoproteine E6 und E7 und bremst somit ihren fatalen Einfluss.

Notch-Genprodukte können demnach sowohl Krebs auslösen wie auch bekämpfen – welchen Weg sie nehmen, ist offensichtlich bei verschiedenen Zelltypen und Zell-Entwicklungsstufen sehr unterschiedlich. Dem sollte, meint Dotto, bei der Entwicklung neuer Medikamente unbedingt Rechnung getragen werden: Eine medikamentöse Blockade von Notch-Proteinen könne zwar ein Tumorwachstum aufhalten – aber etwas später eben auch den genau gegenteiligen Effekt haben. Hier ist "gut" oder "böse" demnach auch noch eine Frage des Zeitpunktes.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.