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Naturschutz: Schutzgebietslos ausgeliefert

Bewegung ist gesund - doch nicht für jeden. Der Mensch hat den Walen Grenzen gesetzt, bis zu denen sie ihren Wanderdrang ausleben dürfen. Doch was geschieht, wenn sie derartige Beschränkungen einfach ignorieren?
Im Indischen und im Südlichen Ozean gibt es Rückzugsräume für Wale. Abgesegnet von der Internationalen Walfangkommission wurden dort vor einigen Jahren offizielle Schutzgebiete eingerichtet, in denen die Meeressäuger derzeit nicht gejagt werden dürfen.

Japan widersetzt sich diesen Bestimmungen und betreibt in der Antarktis zu offiziell wissenschaftlichen Zwecken Walfang. Doch nicht nur deshalb ist die Idee, die Tiere allein durch die Einrichtung von Schutzgebieten vor dem Aussterben bewahren zu können, fraglich. Berechnungen von nordamerikanischen Wissenschaftlern zeigen noch weitere Haken.

Leah Gerber von der Arizona-State-Universität in Tempe und ihre Kollegen wollten in Zahlen ausdrücken, wie sich Walpopulationen entwickeln, die in klar umgrenzten Gebieten unter Schutz stehen. Ein mathematisches Modell sollte ihnen dabei helfen. Um eine Vergleichsmöglichkeit zu haben, bezogen die Wissenschaftler einen anderen Ansatz in ihre Berechnungen ein: Seit Mitte der 1990er Jahre diskutiert die Internationale Walfangkommission ein "Bewirtschaftungsverfahren", mit Hilfe dessen Wale in Zukunft "nachhaltig genutzt" werden sollen. Verträgliche Fangquoten – ermittelt in einem komplizierten mathematischen Modell – könnten das seit 1986 geltende Verbot des kommerziellen Walfangs ablösen, ohne die Bestände zu gefährden, so zumindest der Gedanke. Naturschützer sowie zahlreiche Wissenschaftler stehen dieser Idee jedoch äußerst kritisch gegenüber.

Können Wale durch das Bewirtschaftungsverfahren vielleicht effektiver geschützt werden als durch Schutzgebiete? Oder wie wäre es mit einer Kombination der beiden Strategien? Um diese Fragen zu klären, brachten die Wissenschaftler den Wandertrieb der Tiere ins Spiel und prüften, welcher Ansatz auch Walpopulationen wachsen ließ, die nicht ortstreu sind. Hierbei stützten sie sich auf bereits vorhandenes Wissen über das Verhalten von Bartenwalen und verwendeten demografische Daten zu Grauwalen (Eschrichtius robustus).

Der Wanderaspekt spielte eine entscheidende Rolle: Je stärker die Meeressäuger dazu tendierten, das Schutzgebiet zu verlassen, desto weniger konnte sich die Population erholen. Sobald sich mehr als die Hälfte der Tiere aus dem Schutzgebiet entfernte, entpuppte sich das Bewirtschaftungsverfahren als der effektivere Ansatz, um eine langfristig positive Populationsentwicklung zu erzielen. Bereits geringe Änderungen in der Wachstumsrate schlugen sich maßgeblich in den Individuenzahlen der nächsten hundert Jahre nieder.

Schutzgebiete allein sind deshalb wenig wirksam, meinen die Forscher. Alle für den kommerziellen Walfang interessanten Arten wandern mindestens einmal in ihrem Leben aus den Schutzgebieten heraus – gerade die in den IWC-Schutzgebieten lebenden Wale bleiben nicht ihr Leben lang an einem Ort.

Dann allerdings sind sie – sollte das totale Walfangverbot tatsächlich aufgehoben werden – der Bejagung uneingeschränkt ausgeliefert. Nur die Kombination von Rückzugsräumen mit anderen Schutzmaßnahmen, wie etwa dem Bewirtschaftungsverfahren, dürfte es deshalb möglich machen, Walbestände langfristig wieder aufzubauen. Zu bestimmten Zeiten dürften die Tiere aber auch außerhalb der Rückzugsräume nicht bejagt werden.

Vielleicht kann das Modell Auskunft geben über die Langzeitwirkung verschiedener Schutzstrategien. Doch noch immer ist wenig über das Wanderverhalten und die Ökologie der Wale bekannt und zahlreiche – vermutlich entscheidende – Faktoren dürften auch in diesem Ansatz fehlen. Um die Wirksamkeit von Schutzgebieten daher besser beurteilen zu können, fordern die Forscher, dass Ziele klarer formuliert und deren Einhaltung besser überwacht werden.

Der "wissenschaftliche Walfang" in den Rückzugsräumen steht dem im Weg – erst wenn im Südlichen Ozean tatsächlich keine Wale mehr gefangen werden, lässt sich die Entwicklung von bejagten und unbejagten Beständen miteinander vergleichen, meinen die Forscher. Auch weit weniger kontrollierbare Gefahren wie etwa Unterwasserlärm, Wasserverschmutzung und Habitatzerstörung machen vor den Grenzen der Schutzgebiete nicht Halt. Wirkliche Rückzugsräume für Wale können nur dann entstehen, wenn es Maßnahmen gibt, die auch diesen Formen der Bedrohung entgegenwirken.

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