Direkt zum Inhalt

Verhaltensforschung: Schwamm drüber

Der berühmteste Filmdelfin aller Zeiten wäre sicherlich mächtig stolz: Flippers wilde Walverwandtschaft bedient sich geschickt eines Hilfsmittels, um den täglich Fisch zu sichern. Ist das der erste Beleg kultureller Fähigkeiten bei Meeressäugern?
Schwammtechnik bei Großen Tümmlern
Es ist mittlerweile gängiger wissenschaftlicher Standard, dass viele Tiere Werkzeuge benutzen: Die Liste reicht von Neukaledonien-Krähen über Insekten mit Kaktusstacheln aufspießende Darwinfinken und Seeotter, die Muscheln mit Steinen knacken, bis hin zu der nächsten Verwandtschaft der Menschen, den Schimpansen und Orang-Utans. Gerade der afrikanische Urwald- und Savannenbewohner Pan troglodytes mit seinem großen Repertoire an handwerklichen Verhaltensweisen, die von Generation zu Generation weiter gegeben werden, ermöglicht einen Blick weit zurück in die kulturelle Frühzeit der Hominiden.

Großer Tümmler | Manche weiblichen Großen Tümmler in der australischen Monkey-Mia-Bucht nutzen Schwämme als Mundschutz beim Stöbern nach Fischen in Sedimenten. Damit konnte erstmalig ein Werkzeuggebrauch bei Walartigen nachgewiesen werden.
Denn erst wenn ein Handlungsschema – und dazu zählt auch die Nutzung von Steinen als Hammer und Amboss oder klebriger Pflanzenstängel als Angeln – durch Vorführen und Lernen von Artgenossen erworben wird und von den Eltern an die Kinder und Kindeskinder übertragen wird, spricht die Wissenschaft von "Kultur". Bislang konnte zwar noch keine richtige "Berufsschule" im Urwald gefunden werden, aber Experimente und Erkenntnisse von Verhaltensforschern legen doch nahe, dass etwa der Affennachwuchs durch intensives Beobachten und Nachahmen die von ihren Vorfahren entwickelten Fähigkeiten übernehmen.

Dagegen lässt sich der Nachweis ähnlicher Traditionen bei Meereslebewesen deutlich schwieriger führen: zu unübersichtlich sind die Weiten und Tiefen der Ozeane. Und doch stießen nun Wissenschaftler um Michael Krützen von der Universität von New South Wales in Sydney auf ein Reaktionsmuster von Großen Tümmlern (Tursiops truncatus), das stark auf eine Werkzeug-Kultur schließen lässt.

Sie beobachteten in der westaustralischen Monkey Mia Bay – bekannt für seine zutraulichen Delfine – unter den mehr als 850 anwesenden Großen Tümmlern nicht nur elf verschiedene Taktiken des Fischfangs, sondern bei 22 Exemplaren auch eine besonders ausgeklügelte Strategie des Nahrungserwerbs: Diese Tiere vereinnahmten eigens vom Untergrund abgerissene Meeresschwämme für ihre Zwecke. Sie stülpten sich die Körper der Wirbellosen über ihr geschlossenes Rostrum – die Schnauze –, bevor sie nach Fischen forschend in Sedimentschichten eindrangen: ein Schwamm als Mundschutz.

Was macht aber diese Verhaltensweise bereits zu einer Kultur und nicht nur zu einer kurzfristigen Laune der Natur? Krützen und seine Kollegen schließen aus ihren Observationen, dass ökologische Gründe, die etwa von den Eigenheiten des Lebensraums abhängen, nicht dafür verantwortlich sind. Schwammnutzung fand zwar nur in tiefen Wasserkanälen der Bucht statt, aber dort fischten auch genügend andere Delfinindividuen, die auf diese Technik verzichteten.

Spongemom | Spongemom ist ein Weibchen, das bereits seit zwanzig Jahren Schwämme als Hilfsmittel einsetzt. Genetische Untersuchungen legen nahe, dass diese Technik auf eine einzige Urmutter zurückgeht: Sie entwickelte die Innovation und vermittelte sie an ihren Nachwuchs weiter. Genutzt werden die Schwämme überwiegend von Weibchen, Männchen fehlt nach den Beobachtungen der Wissenschaftler wohl die Zeit für diesen mitunter langwierigen Nahrungserwerb.
Könnte diese Fertigkeit dann den Tieren im Blut liegen – sprich vererbt werden? Um dies zu überprüfen, entnahmen die Forscher insgesamt 185 Tieren – darunter 13 Schwammträgern – Gewebematerial und untersuchten es anschließend auf zwölf hypervariable Genorte, deren Inhalt von beiden Elternteilen vererbt wird, sowie auf die jeweilige mitochondriale DNA, die einzig die Mutter weitergibt. Dabei zeigte sich Überraschendes: Bis auf einen Nutzer waren alle Tümmler mit Hilfsmitteleinsatz Weibchen und miteinander verwandt, wie ihr Haplotyp H der Mitochondrien-DNA verriet. Mehr noch: Diese genetische Linie ging erst vor kurzer Zeit aus einer einzigen gemeinsamen Ahnin hervor – sozusagen der Mutter aller Werkzeugnutzer unter den Delfinen.

Trotz dieser Übereinstimmung zwischen Stammbaum und Werkzeugnutzung schließen die Wissenschaftler aber dennoch ein Handwerks-Gen aus, denn zu vieles spricht wiederum dagegen: Läge diese Fähigkeit etwa auf nur einem einzigen Genort fest, der in einer Familienlinie regelmäßig auf den Nachwuchs übergeht, so sollte die Schwammtechnik durch Vererbung anschließend allen Nachfahren geschlechtlich gleichverteilt zugute kommen respektive ausschließlich bei Männlein oder Weiblein auftreten. All dies ist aber nicht der Fall, denn immerhin findet sich wenigstens ein maskuliner Tümmler unter der Arbeitsmittel-Dominanz der holden Weiblichkeit und zudem partizipiert auch nicht jede Tochter an diesem Gerätschaftspatent der Mutter.

Ebenfalls unwahrscheinlich ist eine Verteilung dieser Begabung auf mehrere Gene, denn Schwammmütter lassen sich überwiegend mit talentlosen Delfinmännern ein – letztere haben schließlich bislang nur einen einzelnen Konkurrenten. Deshalb gehen knapp neunzig Prozent aller Nachkommen auf diese Väter zurück. Durch entsprechende Verpaarungen und die dabei stattfindenden Rekombinationen des Erbguts müssten jedoch in der Folge die Handwerksgene in Teilen zunehmend verändert wie überdeckt werden und auf Dauer verloren gehen.

Und schließlich zeigen Große Tümmler in Gefangenschaft ein soziales Lernverhalten und eine große Gelehrigkeit wie Imitierfähigkeit, was jeder Delfinariumsbesucher bestätigen kann: Die Nutzung von Schwämmen zum Fischfang ist folglich wohl eine erworbene Fähigkeit, die von der Mutter auf die Sprösslinge übermittelt wird.

Warum aber übernehmen dann überwiegend die Töchter diese Verhaltensweise, selten jedoch die Söhne? Dazu haben die Forscher bislang nur eine Hypothese parat: Die Nahrungssuche mit Schwämmen ist eine zeitaufwändige Methode für Individualisten, die sich mit den gesellschaftlichen Verpflichtungen der Männchen in den gruppendynamischen Prozessen der Delfinschulen noch nicht in Einklang bringen lassen – emanzipatorische Umtriebe lassen sich also vorerst ausschließen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.