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Plasmadynamik: Galaktische Getriebe

Riesige Schwarze Löcher inmitten von Galaxien sind durch Rückkopplungseffekte eng mit ihrer Umgebung verbunden. Die Zusammenhänge könnten der Schlüssel zur Sternentstehung und zu weiteren Vorgängen sein – auch in der Milchstraße.
Die aktive Galaxie Hercules A zeigt spektakuläre Jets
Hercules A: Beobachtungen der etwa zwei Milliarden Lichtjahre entfernten elliptischen Radiogalaxie zeigen Jets, die sich weit ins All erstrecken. Sie stammen vermutlich vom zentralen Schwarzen Loch, das etwa 1000-fach so massereich ist wie das der Milchstraße.

Als am 12. Mai 2022 das erste Bild des Schwarzen Lochs im Herzen der Milchstraße enthüllt wurde, schien die Aufnahme zunächst das zu untermauern, was Fachleute erwartet hatten. Das supermassereiche Schwarze Loch in der Milchstraße existiert, es rotiert, und es gehorcht Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Doch bei ­näherer Betrachtung ist längst nicht alles so eindeutig.

Anhand der Helligkeit des donutförmigen Lichtflecks lässt sich abschätzen, wie viel Materie in das als Sagit­tarius A* bezeichnete Objekt stürzt. Und das ist erstaunlich wenig. Letztlich fällt bloß ein Tausendstel des Gases aus dem intergalaktischen Medium, das von jenseits der Milchstraße in ihre Zentralbereiche strömt, bis hinein in das Schwarze Loch. Die Kosmologin Priyamvada Natarajan von der Yale University in New Haven vergleicht die Galaxis mit einem verstopften Duschkopf, aus dem es nur noch spärlich tröpfelt. »Das offenbart ein riesiges Problem«, bemerkt sie. »Wohin fließt das Gas? Wie versickert die Strömung? Offensichtlich verstehen wir die Prozesse rund um das Wachstum Schwarzer Löcher noch nicht ausreichend.«

Zwischen vielen Galaxien und den Schwarzen Löchern in ihren Zentren besteht eine enge, dynamische Beziehung. Das wurde im Lauf der letzten Jahrzehnte immer klarer. »Es gab einen wirklich großen Wandel in diesem Bereich«, sagt Ramesh Narayan, ein theoretischer Astrophysiker an der Harvard University im US-amerikanischen Cambridge. »Schwarze Löcher haben sich als überraschend wichtige Gestalter und Kontrolleure der Galaxienentwicklung herausgestellt.«

Die unvorstellbar dichten Ansammlungen von Materie sind so etwas wie die Motoren der Galaxien. Ihre Schwerkraft zieht Staub und Gas in das Zentrum, wo sich eine wirbelnde Akkretionsscheibe um das supermassereiche Schwarze Loch bildet. Die Materie heizt sich auf und wird zu intensiv glühendem Plasma. Schließlich verleibt sich das Schwarze Loch die Materie ein – entweder nach und nach oder ganz plötzlich – und schleudert bei dem Vorgang eine Unmenge Energie zurück in die Galaxie. »Beim Wachstum eines Schwarzen Lochs wird Energie effizienter in die Umgebung abgegeben als bei jedem anderen bekannten Prozess«, sagt Astrophysiker Eliot Quataert von der Princeton University. Diese Rückkopplung wirkt sich auf die Sternentstehungsraten und die Strömungen in der gesamten Galaxie aus.

Es gibt bisher allerdings nur vage Vorstellungen davon, was den Energieausstoß auslöst und was ihn beendet. Viele Details der Verwandlung von einem supermassereichen Schwarzen Loch in einen »aktiven Galaxienkern«, der weithin sichtbar enorme Mengen an Strahlung aussendet, liegen im Dunkeln.

In mancherlei Hinsicht ähnelt das Phänomen einem anderen Effekt, der in kleinerem Maßstab auftritt. Zu einer so genannten stellaren Rückkopplung kommt es, wenn ein Stern als Supernova explodiert und Energie an seine Umgebung überträgt. Stellare Rückkopplungs­prozesse können die Entwicklungen in kleinen Zwerggalaxien regulieren, während es für die wesentlich ­größeren elliptischen Galaxien die riesigen Triebwerke supermassereicher Schwarzer Löcher braucht.

Von ihrer Größe her liegt die Milchstraße als typische Spiralgalaxie in der Mitte zwischen beiden Extremen. Da es bei Sagittarius A* kaum Anzeichen von Tätigkeit gibt, ging man lange davon aus, der Werdegang unserer Galaxis würde von stellaren Rückkopplungen dominiert. Neuere Beobachtungen deuten jedoch auf den Einfluss eines aktiven Galaxienkerns hin. Untersuchungen des Zusammenspiels beider Rückkopplungsmechanismen in unserer Heimatgalaxie sowie die Lösung des Rätsels, warum Sagittarius A* derzeit so ruhig ist, sollen Ant­worten auf eine allgemeinere Frage liefern: Wie hängen die Entwicklungen von Galaxien und ihren Schwarzen Löchern zusammen? Die Milchstraße »wird zum mächtigsten astrophysikalischen Labor«, hofft Natarajan.

Sagittarius A* | Das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße, aufgenommen vom Event-Horizon-Teleskop.

In den späten 1990er Jahren hatte sich in der Fachwelt bereits die Ansicht durchgesetzt, dass sich in den galak­tischen Zentren Schwarze Löcher befinden. Aus den Bewegungen der Sterne in ihrer Umgebung ließ sich ihre Masse herleiten. Dabei offenbarte sich eine seltsame Korrelation – je massereicher eine Galaxie ist, desto schwerer ist ihr zentrales Schwarzes Loch. »Das war eine völlig revolutionäre Einsicht. Irgendwie schien sich das Schwarze Loch mit seiner Galaxie auszutauschen«, resümiert Astrophysikerin Tiziana Di Matteo von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh.

Begrenzte Reichweite, enormer Effekt

Der Zusammenhang ist deswegen überraschend, weil ein Schwarzes Loch, so gewaltig es auch sein mag, nur einen winzigen Teil der Galaxie ausmacht. Die Masse von Sagittarius A* entspricht zum Beispiel vier Millionen Sonnen, während in der Milchstraße insgesamt etwa 1,5 Billionen Sonnenmassen verteilt sind, das heißt das rund 400 000-Fache. Der unmittelbare gravitative Einfluss des Schwarzen Lochs kann sich deswegen nur über die innersten Regionen der Galaxis erstrecken.

Der britische Astronom Martin Rees aus Cambridge hatte schon in den 1970er Jahren eine Hypothese aufgestellt, mit der sich die gesuchte Verbindung herstellen ließ. Rees zufolge treiben supermassereiche Schwarze Löcher die hell leuchtenden, gebündelten Materieströme (»Jets«) an, die sich in einigen weit entfernten Galaxien beobachten lassen. Zusammen mit Donald Lynden-Bell, einem Kollegen von der University of Cambridge, erklärte er sogar das Leuchten im Zentrum der Milchstraße mit einem Schwarzen Loch.

Galaktische Selbstorganisation

Könnten Rückkopplungen bei aktiven Galaxienkernen die Größe von supermassereichen Schwarzen Löchern überall im Kosmos regulieren? Die Grundidee: Je mehr Materie ein Schwarzes Loch verschluckt, desto heller wird es. Die Energiezunahme in der Umgebung presst wiederum Gas nach außen und hindert weiteren Nachschub daran, in das Schwarze Loch zu stürzen. Eine sehr große Galaxie drückt stärker auf ihr Zentrum. Dadurch wächst ihr Schwarzes Loch länger, bevor sich genug Gegenkraft aufgebaut hat.

Könnten Rückkopplungen die Größe von supermassereichen Schwarzen Löchern regulieren?

Allerdings wollten sich viele nicht mit dem Gedanken anfreunden, einfallende Materie könnte auf so dramatische Weise wieder nach außen gelenkt werden. »Als ich meine Doktorarbeit geschrieben habe, galten Schwarze Löcher gemeinhin als Objekte, bei denen es kein Zurück mehr gibt und wo Gas bloß in eine Richtung strömt – nämlich hinein«, erinnert sich Natarajan, die in den 1990er Jahren als Doktorandin bei Rees die ersten Modelle zu entsprechenden Rückkopplungseffekten entwickelte. »Man musste sehr behutsam vorgehen, weil es so eine radikale Vorstellung war.«

Die erste Bestätigung kam einige Jahre später durch Computersimulationen, die von Di Matteo sowie Volker Springel vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching und Lars Hernquist vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics entwickelt wurden. »Wir wollten den Zoo verschiedenartigster Galaxien reproduzieren, den wir im realen Universum sehen«, erklärt Di Matteo.

Im frühen Universum begannen die Galaxien demnach als kompakte Objekte. Spult man in der Simulation durch die Äonen vor, vereinigen sich die Zwerge im Lauf spektakulärer Verschmelzungen, wobei Ringe, Wirbel und alle möglichen sonstigen Strukturen entstehen. Die Galaxien werden immer größer, während die Formenvielfalt wieder abnimmt und aus hinreichend vielen Kollisionen schließlich gigantische, diffuse Wolken aus Sternen hervorgehen. »Sie enden als Blob«, stellt Di Matteo fest. In den Simulationen konnten sie und ihre Kollegen diese strukturlosen Riesenkleckse namens elliptische Galaxien rekonstruieren. Dazu mussten Spiralgalaxien viele Male aufeinandertreffen. Dabei trat jedoch ein Problem auf.

Was auch immer die Sternentstehung in der Realität ausbremste, war im Computermodell nicht erfasst worden

In Spiralgalaxien wie der Milchstraße sind viele junge Sterne enthalten, die blau leuchten. In elliptischen Gala­xien hingegen gibt es nur noch alte Sterne. Die Gebilde sind laut Springel »rot und tot«. Aber jedes Mal, wenn das Team die Simulation laufen ließ, spuckte sie elliptische Galaxien mit blauen Sternen aus. Was auch immer die Sternentstehung in der Realität ausbremste, war in ihrem Computermodell nicht erfasst worden. »Dann kamen wir auf die Idee, unsere Galaxienverschmelzungen mit supermassereichen Schwarzen Löchern im Zentrum zu ergänzen«, erinnert sich Springel. »Wir ließen die Schwarzen Löcher Gas verschlucken und Energie freisetzen, bis alles auseinanderflog wie ein Schnellkochtopf. Plötzlich hörte die elliptische Galaxie mit der Sternbildung auf und wurde rot und tot. Mir fiel die Kinnlade herunter. So einen starken Effekt hatten wir nicht erwartet.«

Das untermauerte die Hypothesen von Rees und Natarajan zu Rückkopplungseffekten, mittels derer ein Schwarzes Loch trotz seiner relativ geringen Ausmaße mit der gesamten Galaxie kommuniziert. In den letzten zwei Jahrzehnten konnten weiterentwickelte und feiner auflösende Computerprogramme große Teile des Kosmos simulieren und den tatsächlichen Galaxienzoo reprodu­zieren. Die Berechnungen zeigen auch, dass die von den Schwarzen Löchern ausgestoßene Materie den Raum zwischen den Galaxien mit heißem Gas füllt, das ohne diesen Beitrag bereits abgekühlt und zu Sternen geworden wäre. »Inzwischen gelten supermassereiche Schwarze Löcher als sehr plausible Treiber der Entwicklung«, sagt Springel. »Niemand konnte bisher ein Modell entwickeln, das ohne sie auskommt.«

Die Rückkopplung wirkt – aber warum?

Dennoch sind die Simulationen immer noch erstaunlich undurchsichtig. Wenn Materie in die Akkretionsscheibe um ein Schwarzes Loch gelangt, führen Reibungseffekte einen Teil der Energie wieder nach außen ab. Doch wie viel das ist, muss man in den Modellen mühsam manuell ausprobieren. Die Details sind schwer zu fassen. »Möglicherweise erhalten wir in einigen Fällen die richtige Antwort aus dem falschen Grund«, meint Quataert. »Vielleicht übersehen wir die eigentlich wichtigen Aspekte für das Wachstum und den Energieübertrag bei Schwarzen Löchern.« Auch Di Matteo gesteht ein, dass nicht wirklich klar ist, wie die Rückkopplung bei aktiven Galaxienkernen funktioniert: »Wir wissen, wie wichtig sie ist. Aber ihre genauen Ursachen bekommen wir nicht zu fassen. Es mangelt uns an einem tief greifenden physikalischen Verständnis der Rückkopplung.«

Ein Teil der Energie wird jedenfalls als Strahlung abgegeben, so viel ist unstrittig. Das verleiht den aktiven Galaxienkernen ihr charakteristisches helles Leuchten. Zudem schleudern Magnetfelder Materie in Form von diffusen galaktischen Winden oder als intensive gebündelte Jets aus der Akkretionsscheibe heraus. Der elektromagnetische Mechanismus, der rotierenden Schwarzen Löchern Energie entziehen und Jets erzeugen kann, wurde schon in den 1970er Jahren identifiziert, der so genannte Blandford-Znajek-Prozess. Aber welche Faktoren die Stärke des galaktischen Leuchtfeuers bestimmen und wie viel von seiner Energie von der Galaxie wieder absorbiert wird, ist laut Narayan »weiterhin ein ungelöstes Problem«. Noch rätselhafter ist der galaktische Wind, der sich kugelschalenförmig von der Akkretionsscheibe ausbreitet. Weil er so ausladend ist, interagiert er tendenziell mehr mit der Galaxie als die schmalen Jets. »Die Preisfrage ist: Wie koppelt die Energie an das Gas?«, sagt Springel.

Einiges passt also nicht. Dafür spricht bereits die Tatsache, dass die Schwarzen Löcher in modernen kosmologischen Modellierungen in manchen Systemen kleiner sind als die tatsächlich beobachteten. Um die Sternentstehung zu unterbinden und rote und tote Gala­xien zu erzeugen, müssen die Programme viel Energie aus den Schwarzen Löchern herausschleudern. Das würgt den Materiezufluss ab. »Die Rückkopplung in den Simulationen ist zu aggressiv eingestellt und bremst das Wachstum vorzeitig aus«, sagt Natarajan.

Die seltsamen Blasen unserer Galaxis

Ein anderes Problem ist genau gegenteilig gelagert, und die Milchstraße ist ein Beispiel dafür. Vergleichbare simulierte Galaxien beherbergen Schwarze Löcher, die drei- bis zehnmal größer sind als Sagittarius A*. Ein genauerer Blick auf die Abläufe bei der Rückkopplung in der Milchstraße und nahe gelegenen Galaxien liefert möglicherweise Hinweise, die dabei helfen, die Diskrepanzen zu beseitigen.

Im Dezember 2020 führten Messungen mit dem ­Röntgenteleskop eROSITA zur Entdeckung zweier Blasen, die im Röntgenbereich leuchten und sich zehntausende Lichtjahre über und unter der Ebene der Milchstraße erstrecken. Die gigantischen Auswölbungen ähneln ebenso verblüffenden sphärischen Strukturen im Spektrum der Gammastrahlen, die ein Jahrzehnt zuvor im Fermi Gamma-ray Space Telescope aufgetaucht waren. Seinerzeit wurden noch heftig zwei verschiedene Hypothesen über den Ursprung der »Fermi-Blasen« diskutiert. Einige hielten sie für Überbleibsel eines Jets, der vor Millionen von Jahren aus Sagittarius A* herausgeschossen ist. Andere vermuteten eher eine Art aufsummierter stellarer Rückkopplung und schrieben die Blasen den Explosionen etlicher Sterne in der Nähe des galaktischen Zentrums zu.

Fermi-Blasen | Die Illustration zeigt die Blasen aus Gammastrahlung, die sich rund 50 000 Lichtjahre über und unter die Ebene der Milchstraße erstrecken.

Als Hsiang-Yi Karen Yang von der taiwanesischen Tsing-Hua-Nationaluniversität die eROSITA-Aufnahmen sah, spekulierte sie sofort über einen gemeinsamen Ursprung der zwei Blasen im Röntgen- und im Gammalicht. Dazu hätten beide von demselben Jet aus einem aktiven Kern in der Milchstraße erzeugt werden müssen. Die Röntgenstrahlen wären dann indirekt durch Gas hervorgerufen worden, das der Jet getroffen und zum Leuchten angeregt hat. Zusammen mit der Plasmaphysikerin Ellen Zweibel und dem Spezialisten für Rückkopplungsprozesse Mateusz Ruszkowski, beide aus den USA, erstellte sie ein Computermodell. Die Ergebnisse des Teams erschienen im März 2022 im Fachmagazin »Nature Astronomy« und erklärten die Form der beobachteten Blasen und der hell leuchtenden Stoßfront. Die Strukturen müssten sich demzufolge im Lauf von 2,6 Millionen Jahren aus einem Jet gebildet haben, der 100 000 Jahre lang aktiv gewesen ist. Diese Zeitskalen sind viel zu kurz für eine stellare Rückkopplung.

Es blubbert | Die Falschfarbenaufnahme des Himmels zeigt die Fermi-Blasen im Gammabereich (rot) und die eROSITA-Blasen im Röntgenbereich (türkis). Beide sind ober- und unterhalb des Zentrums unseres Milchstraßensystems (Bildmitte) angeordnet und haben eine vergleichbare Form. Diese Ähnlichkeit könnte auf einen gemeinsamen Ursprung hindeuten.

Somit bleibt bloß die Möglichkeit, dass sich die Galaxien­kerne in gewöhnlichen Scheibengalaxien wie der Milchstraße weitaus stärker auswirken als bisher angenommen. Yang spricht von einer Art Ökosystem, in dem der aktive Kern, die stellare Rückkopplung sowie das diffuse, heiße Gas in der Umgebung miteinander verflochten sind. Je nach Galaxientyp und Zeitraum herrschen unterschiedliche Effekte und Strömungsmuster vor.

Kartierungen der Sternbewegungen offenbaren galaktische Verschmelzungen

Untersuchungen zur Geschichte und Gegenwart der Milchstraße könnten das Zusammenspiel der Prozesse enthüllen. Mit dem europäischen Weltraumteleskop Gaia lassen sich beispielsweise die Positionen und Bewegungen von Millionen Sternen extrem genau kartieren. Das ermöglicht Rückschlüsse auf vergangene Verschmelzungen mit kleineren Galaxien. Im Prinzip könnten solche Ereignisse den supermassereichen Schwarzen Löchern einen Aktivitätsschub verleihen, indem sie frische Materie heranschaffen. Dann würde der Galaxienkern aufleuchten oder Jets ausbilden. »Zu der Frage nach der Bedeutung von Fusionen läuft auf dem Gebiet eine rege Debatte«, stellt Quataert fest.

So deuten die Gaia-Daten darauf hin, dass in dem Zeitraum, in dem die mit Fermi und eROSITA detektierten Blasen entstanden sind, keine kleinere Galaxie mit der Milchstraße verschmolzen ist. Dann hätte zumindest dieser Jet eine andere Ursache gehabt. Eventuell stoßen herumvagabundierende Gasreservoirs zufällig auf das Schwarze Loch und aktivieren es. Es könnte auf chaotische Weise zwischen Materieaufnahme, Energieausstoß und Ruhephasen wechseln.

Die 2022 veröffentlichte Aufnahme von Sagittarius A* mit dem Event Horizon Telescope gibt angesichts der nur spärlich einfallenden Materie ein neues Rätsel auf. Zuvor war zwar klar, dass nicht alles Gas, das von außen gen Mitte einer Galaxie gezogen wird, es bis zum Ereignishorizont des Schwarzen Lochs schafft. Schließlich wirken die galaktischen Winde, die ständig als Strom aus den Zen­tralbereichen ausgestoßen werden, der Akkretion entgegen. Aber zur Erklärung eines so extrem verdünnten Flusses müssten sie unrealistisch stark sein. »Bei meinen Simulationen sehe ich keine solch immensen Winde«, sagt Narayan. »Das Phänomen reicht einfach nicht für eine vollständige Beschreibung des Geschehens aus.«

Ein Teil der Herausforderung sind die sehr unterschiedlichen Größenskalen, die bei den Phänomenen eine Rolle spielen. Sterne und Schwarze Löcher auf der einen Seite sind viel kleiner als Galaxien und deren Umgebung auf der anderen Seite. Bei der Simulation eines physikalischen Prozesses werden jeweils die Effekte berücksichtigt, die auf dem entsprechenden Maßstab relevant sind. In der Realität hängen jedoch alle Abläufe zusammen. »Verglichen mit der großen Galaxie ist das Schwarze Loch wirklich winzig. Man kann nicht alles in eine einzige überbordende Simulation packen«, erläutert Narayan. »Jedes System ist auf Informationen aus den anderen Bereichen angewiesen, aber es ist oft nicht klar, wie sich die Verbindung herstellen lässt.«

Narayan und Natarajan wollen die Lücken mit verschachtelten Simulationen schließen und ein stimmiges Modell der Strömungen in der Milchstraße und der nahe gelegenen Galaxie Messier 87 erstellen. Das soll auch mehr Klarheit über die Bewegungen des diffusen Gases in und um Galaxien bringen. »Es ist ein entscheidender Teil des ganzen Ökosystems«, betont Quataert. »Wie gelangt all das Gas zum Schwarzen Loch, und wie wird aus ihm dort Energie, die nach außen strebt?« Bei dem neuen Ansatz müssen sämtliche Eingaben und Ausgaben zwischen Berechnungen auf verschiedenen Größenordnungen ineinandergreifen. Dann muss man an weniger Stellschrauben drehen. »Wenn wir die Simulation richtig aufsetzen, wird aus ihr von selbst konsistent hervorgehen, wie viel Gas das Schwarze Loch erreicht«, hofft Narayan. »So können wir detailliert nachschauen, warum es so wenig von der verfügbaren Gesamtmenge aufgenommen hat.« Eine Reihe von Momentaufnahmen soll Galaxien in verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung darstellen.

Noch sind viele Abläufe in den galaktischen Ökosys­temen rätselhaft. Yang ist allerdings optimistisch: »Gerade bricht eine neue Ära an, in der man beginnt, über die Überschneidungen zwischen den verschiedenen Szenarien nachzudenken. Ich hoffe, dass ich dort, wo ich bislang keine klare Antwort habe, sie in ein paar Jahren geben kann.« 

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  • Quellen

Kruijssen, J. M. D. et al.: Kraken reveals itself – the merger history of the Milky Way reconstructed with the E-MOSAICS simulations. Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 498, 2020

Malhan, K. et al.: The Global Dynamical Atlas of the Milky Way mergers: Constraints from Gaia EDR3 based orbits of globular clusters, stellar streams and satellite galaxies. The Astrophysical Journal 926, 2022

Roberts, S. R. et al.: Towards self-consistent modelling of the Sgr A* accretion flow: Linking theory and observation. Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 466, 2017

Yang, H.-Y. K. et al.: Fermi and eROSITA bubbles as relics of the past activity of the Galaxy’s central black hole. Nature Astronomy 6, 2022

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