Direkt zum Inhalt

News: Schwarze Sonne und Wolkendecke

Über Portugal hat die partielle Sonnenfinsternis am Mittwoch, dem 11. August 1999, das europäische Festland erreicht. Um 10.46 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit war in Lissabon nach Augenzeugenberichten deutlich zu erkennen, wie der Mond begann, sich vor die Sonne zu schieben. In Portugal und Griechenland sanken bei dieser bloß partiellen Finsternis die glühenden Sommertemperaturen um einige Grad ab. Die totale Sonnenfinsternis hat in Europa am Mittwochmittag begonnen. Um 12.11 Uhr MESZ schob sich der Mond vollständig vor die Sonne und tauchte die Grafschaft Cornwall an der Südwestspitze Englands in Dunkelheit. Um 12.16 Uhr erreichte der Mondschatten die französische Küste und verdunkelte die nur leicht aufgelockerte Wolkendecke über Cherbourg am Ärmelkanal. Während die Sonnenfinsternis in britischen und französischen Küstenorten bei klarem Himmel gut zu beobachten war, war der Himmel an vielen Orten auf dem europäischen Festland wolkenverhangen. Um 12.29 Uhr erreichte die "Totale" auch Saarlouis in Deutschland.
Mehrere Millionen Menschen zu beiden Seiten des Ärmelkanals verfolgten gebannt von ihren Aussichtsplätzen oder am Fernsehschirm die letzte totale Sonnenfinsternis dieses Jahrhunderts. Von Cherbourg wanderte der Mondschatten in einem 110 Kilometer breiten Streifen Richtung Straßburg, wo er gegen 12.30 Uhr dann die Grenze zu Deutschland überquert. Mehr als 5 000 Städte und Gemeinden lagen in dem Gebiet. Die Schaulustigen, unter ihnen zahlreiche Sommertouristen, postierten sich an insgesamt rund tausend Aussichtspunkten, um dem Naturschauspiel beizuwohnen. International war das Himmelsspektakel ein Fest für viele Millionen Menschen. Sogar Papst Johannes Paul II. hatte ein Einsehen. Mit den Worten: "Ich schließe jetzt, weil ich weiß, daß es einige von Ihnen eilig haben, die Sonnenfinsternis zu sehen," kürzte er gegen 11.15 Uhr seine wöchentliche Generalaudienz einfach ab. Der Heilige Vater beobachtete dann in einem Hubschrauber zwischen dem Vatikan und seiner Ferienresidenz Castel Gandolfo das Naturschauspiel.

Wahre Volksfeststimmung herrschte in Paris. Hunderttausende von Einheimischen und Touristen fanden sich am Eiffelturm, auf dem Montmartre-Hügel, auf dem Concorde-Platz und auf den Champs-Elysees ein, um zwischen den Wolken einen Blick auf die verdunkelte Sonne werfen zu können. Paris lag am Rande des Kernschattengebiets. In den meisten Gebieten im Landesinneren Frankreichs war das Wetter wie befürchtet eher schlecht. Der Himmel gab nur vereinzelt den Blick auf die verdunkelte Sonne frei. Für viele wurde die Sonnenfinsternis so zu einer herben Enttäuschung. Sie hatten seit Tagen dem Jahrhundertereignis entgegengefiebert und mußten nun größtenteils mit Fernsehbildern Vorlieb nehmen, die von Flugzeugen aus gemacht wurden. Diese Flüge waren schon lange ausverkauft. So hatten die Zuschauer wenig davon, daß Frankreich wie Deutschland zu den Ländern gehört, in denen die Sonnenfinsternis besonders lang andauert. Im lothringischen Metz verdunkelt der Mond die Sonne zwei Minuten und 18 Sekunden lang. Die letzte totale Sonnenfinsternis gab es in Frankreich 1961, die nächste Sonnenfinsternis wird wie in Deutschland erst wieder in 82 Jahren stattfinden.

Im Saarland und in großen Regionen Süddeutschlands waren ebenfalls Millionen Menschen auf den Beinen. In die selbst ernannte "Sun City" Stuttgart kamen gar 500 000 Besucher. Doch auch gerade dort versperrte strömender Regen den Blick auf das Spektakel. Ähnlich ging es den Menschen in München und in Saarbrücken. Freien Blick gab es nur im Südosten Bayerns und einigen wenigen anderen Gegenden. Dort, wo ein Blick zu erhaschen war, verfolgten Millionen Menschen das Naturschauspiel, Wissenschaftler starrten in ihre Beobachtungsgeräte, der Straßenverkehr stoppte. In Büros gingen die Lichter an. Überall das selbe Bild: Mit Schutzbrillen ausgestattete Menschen starrten auf das schaurig-schöne Schauspiel, das sich am Himmel bot. Fahles, abnehmendes Licht bis zur völligen Finsternis, die etwa zwei Minuten dauerte.

Auch im Nahen Osten wurde die Sonnenfinsternis von Millionen Menschen mit gespannter Erwartung verfolgt. Moslemführer hatten die Gläubigen aufgefordert, in Moscheen zu beten. Aus Angst vor der Sonnenfinsternis blieben die meisten Palästinenser im Westjordanland und im Gaza-Streifen in ihren Häusern. Die Straßen waren menschenleer. Hingegen stürmten die Israelis die Strände mit ihren Spezialbrillen. In Jordanien heulten kurz vor der Verdunkelung die Sirenen.

Ausgelassene Feiern und Aberglauben charakterisierten die Ereignisse in Rumänien: Bauern in Bergdörfern schlossen sich in ihren Häusern ein, weil sie Angst hatten. Vorher hatten sie die Fenster mit Papier verklebt. Der Fernsehsender "Antena 1" berichtete, manche Landwirte hätten sogar ihren Kühen die Augen verbunden.

Das Ende vom "Himmlischen Lied" von Sonnenschein und Finsternis: Um 14.30 Uhr MESZ endete das Spektakel mit dem Untergang der Sonne im Golf von Bengalen.

Erst nachdem der Schatten des Mondes mit rund 2 .500 Stundenkilometer und sich ständig steigender Geschwindigkeit über den Kontinent hinweg gerast war, normalisierte sich das Leben wieder. Allerdings nicht für diejenigen, die doch einen zu tiefen Blick in die Sonne gewagt haben sollten: Netzhautschädigungen müssen nicht unbedingt sofort auftreten. Es könne bis zu zwei Tagen dauern, bis Betroffene Schäden spürten, sagen Experten. Schmerzhaft seien Netzhautschäden zunächst meist nicht. Die Schädigung zeige sich daran, daß man plötzlich nicht mehr scharf sehen könne. Buchstaben und Quadrate auf Papier verzerren, Farben erscheinen blasser. Allein bei der Sonnenfinsternis im Jahr 1912 erlitten in Deutschland mehr als 3 000 Menschen Netzhautschäden.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.