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Landwirtschaft: "Schwarzes Gold"

Ein durch Kultivierung entstandener Bodentyp soll sowohl das Welternährungsproblem lösen als auch dem Klimawandel entgegenwirken. Kann die Terra Preta do Indio halten, was man sich von ihr verspricht?
Pflanzenkohlesubstrat

Kreisläufe sind das A und O der Natur: Aus dem Samen sprießt der Keimling, die Pflanze wächst, bildet neue Samen und stirbt irgendwann. Mikroorganismen zerlegen die Überreste und schleusen Kohlenstoff, Stickstoff und Mikronährstoffe wieder in das System ein, die neues Leben ermöglichen.

Der Mensch hat sich mit der intensiven Landwirtschaft aus diesem Kreislauf ausgeklinkt. Denn die wachsende Weltbevölkerung fordert mehr Erträge von den Äckern, als diese natürlicherweise zur Verfügung stellen würden. Seit Justus Liebig 1840 die Agrikulturchemie begründete, bringen Landwirte zwar Nährstoffe in Form von synthetischem Dünger aus, womit sie die Produktivität drastisch steigern konnten. Doch auf Dauer überwiegen die negativen Effekte. Denn die hochproduktiven Monokulturen überlasten das System: Nährstoffe werden unausgewogen und in viel zu großen Mengen aufgetragen; der Überschuss landet im Grundwasser. In gefährdeten Gebieten können Böden versalzen und erodieren – heute ist die wertvolle, fruchtbare Humusschicht nur noch ein Bruchteil dessen, was sie einmal war.

Längst ist das ein globales Problem: Weil auf übernutzten Böden kein Korn mehr wächst, steht die Nahrungsmittelproduktion für die zunehmende Weltbevölkerung früher oder später auf der Kippe. Das etwas dagegen unternommen werden muss, ist unumstritten.

Landwirtschaft mit oder ohne "Chemie"?

Nach Ansicht einiger Forscher, unter ihnen Nathaniel Mueller und seine Kollegen vom Institute on the Environment an der University of Minnesota [1], sollte es gelingen, durch sparsame Dosierung und gezielteren Einsatz von synthetischem Dünger Bodendegradierung und andere Beeinträchtigung der Umwelt zu minimieren und gleichzeitig die Nahrungsmittelproduktion weiter zu steigern. Ganz ohne Agrochemie ginge es aber nicht. Andere Experten hingegen stellen die industriemäßige Landwirtschaft mit ihren Monokulturen und Tierhaltungsformen sowie intensivem Einsatz von Technik und Chemie grundsätzlich in Frage. Zu ihnen gehört Haiko Pieplow, Bodenkundler im Bundesumweltministerium. Er warnt: "Ohne eine Umstrukturierung der Anbausysteme, ohne eine Ökologisierung der Landnutzung, ist das Welternährungsproblem nicht zu lösen."

"Ohne eine Umstrukturierung der Anbausysteme, ohne eine Ökologisierung der Landnutzung, ist das Welternährungsproblem nicht zu lösen"
Haiko Pieplow

Auch der Weltagrarbericht stellt fest, dass die globalisierte industrielle Landwirtschaft trotz Überproduktion den Bedarf an ausgewogener Ernährung nicht mehr decken könne. Zu gering sei die Vielfalt der angebauten Hochleistungspflanzen, zu groß die Mengen zur Bewässerung nötigen Trinkwassers – rund 70 Prozent unseres gesamten Verbrauchs –, und zu hoch der Verbrauch fossiler Energien. Doch wie könnte Landwirtschaft im Großformat ohne Agrochemie aussehen?

Anregungen aus der Vergangenheit

Drehen wir auf der Suche nach Alternativen die Erde um 70 Grad in südwestliche Richtung und begeben uns ins Amazonasgebiet. Hier, im tropischen Regenwald, sind die Böden von Natur aus extrem nährstoffarm. Denn wegen der konstant hohen Temperatur und Feuchtigkeit wird organisches Material blitzschnell abgebaut und in pflanzliche Biomasse umgesetzt – für den Ackerbau bleibt nichts Gehaltvolles im Boden zurück.

Drehen wir aber auch die Zeit um rund 2000 Jahre zurück, finden wir in der Amazonasregion, außerhalb des fruchtbaren Überflutungsgebietes des mächtigen Flusses, rund 20 Hektar große Felder und Menschen, die auf ihnen Gemüse anbauen.

Vergleich Oxisol – Terra Preta | Links der typische, nährstoffarme Oxisol des Amazonasbeckens, rechts zum Vergleich eine Terra Preta: Mit Hilfe einer ausgeklügelten Bodenanreicherung sicherten die Urvölker reiche Ernten und damit ihr Überleben

Wie kann das sein? Offenbar hatte dieses Volk das Problem der nährstoffarmen tropischen Böden gelöst: Archäologische Funde lassen auf eine Bevölkerungszahl schließen, welche die der heutigen Naturvölker dort bei Weitem übertrifft – ihre Ernten müssen also äußerst ergiebig gewesen sein. Seit Kurzem kennt man auch den Grund: Mit einer speziellen Düngemethode schufen sie die Schwarze Erde des Amazonasgebietes, die so genannte Terra Preta do Indio, auf der noch heute Bauern ihr Feld bestellen.

"Die Terra Preta ist das Ergebnis eines hochintelligenten Stoffstrom- und Abfallmanagements zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit, durch das ein nachhaltiger Humusaufbau insbesondere durch die Anreicherung und langfristige Speicherung von Kohlenstoff im Boden erfolgt", erläutert Haiko Pieplow. Die Menschen im Amazonasgebiet passten sich damals optimal an die Kreisläufe der Natur an. Sie gaben dem Boden das zurück, was sie ihm entnommen hatten, und zwar in jeder möglichen Form – von Küchenabfällen bis zu den eigenen Fäkalien. Man geht davon aus, dass sie in luftdicht verschlossenen Tongefäßen kohlenstoffreiche Nahrungsreste und stickstoffhaltige Exkremente mehrere Wochen lang fermentierten. Dadurch machten sie die Abfälle unschädlich und reicherten sie überdies mit nützlichen Mikroorganismen an. Der so per Milchsäuregärung entstandene Dünger enthielt deshalb weitaus größere Mengen der für den Nährstoffkreislauf wichtigen Organismen als Kompost.

Um Geruchsbildung zu vermeiden, mischten die Indios Holzkohle bei. Diese hatte einen weiteren Vorteil: Auf Grund ihrer porenreichen Struktur wirkt sie wie ein Schwamm – einmal im Boden, kann sie immer wieder mit dem Stickstoff-Mineraliencocktail aufgeladen werden und jahrelang überdauern. Der Clou hinter den erstaunlichen Erträgen bestand also darin, Exkremente und Abfälle hygienisch zu entsorgen – die Menschen brauchten damalsweder synthetischen Dünger noch Müllabfuhr oder Kanalisation.

Doch die Indios vom Amazonas waren nicht die einzigen, die diese Methode nutzten: Sowohl in afrikanischen Feuchtgebieten als auch hier in Europa soll es Spuren anthropogener Schwarzerden geben (nicht zu verwechseln mit der natürlichen Schwarzerde). Auch in Asien verwendet man die entscheidende Zutat, das Gemisch aus Hefepilzen, Milchsäurebakterien und anderen nützlichen Mikroorganismen, schon lange in der traditionellen Landwirtschaft. Dort trägt es den Namen Bokashi.

Des Rätsels Lösung aus Asien

Bokashi war entscheidend für die Entschlüsselung, die Terra Preta do Indio hergestellt wird. Denn die Hersteller der Schwarzen Erde Amazoniens haben keine Nachfahren mehr – höchstwahrscheinlich erlag ihre Kultur den von Spanischen Konquistadoren eingeschleppten Seuchen. Eine Rezeptur wurde deshalb nicht überliefert. Nachdem holländische Forscher die Wundererde erst 1960 wiederentdeckt hatten, identifizierte und datierte der Bodenkundler Bruno Glaser in den 1990er Jahren ihre Zutaten – und Unmengen von Tonscherben, die stark darauf hindeuteten, dass die Erde von Menschenhand gemacht worden ist. Erst aber in Kombination mit dem Wissen über die Bokashi und ihre Verwendung in der traditionellen japanischen Landwirtschaft, die in Form von Bodenhilfsstoffen in den 1980er Jahren nach Europa gefunden hatte, ergaben die archäologischen Funde aus Südamerika einen Sinn.

Verschiedene Kulturen entwickelten also unabhängig voneinander die gleiche Methode, nährstoffarme Böden dauerhaft fruchtbar zu machen. Warum also sollte der moderne Mensch des 21. Jahrhunderts nicht von ihnen lernen? Das erfordere in erste Linie einen Bewusstseinswandel, meint Pieplow: "Die Bedeutung des Bodens für unsere Existenz ist in unseren Köpfen noch nicht richtig angekommen, wir denken noch nicht genug ganzheitlich in den Kreisläufen der Natur."

"Die Bedeutung des Bodens für unsere Existenz ist in unseren Köpfen noch nicht richtig angekommen"
Haiko Pieplow

Zur Zeit entwickeln Forschergruppen auf der ganzen Welt allerdings bereits konkrete Ideen, wie sich Böden auch in anderen in anderen Breiten mit Holzkohle und Mikroorganismen aufwerten können – innerhalb der letzten zehn Jahre ist die Anzahl der Publikationen darüber exponentiell gestiegen. Dabei geht es vor allem auch um die Frage, ob sich Holzkohle heute dazu eignet, Erträge umweltschonend und dennoch im erforderlichen Umfang zu steigern, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren – ganz im Sinne der nachhaltigen Intensivierung.

Zutaten für die "Berliner Schwarzerde" | Der Botanische Garten der Freien Universität Berlin versucht in einem 2011 angelaufenen Pilotprojekt die betriebseigenen Stoffflüsse zu schließen: Reste und Abfall wie hier Kokosnussschalen, Gehölzschnitt, Staudenrückschnitt, Biokohle, Stammholz (von links im Uhrzeigersinn) werden vermischt und fermentiert. Geplant ist auch, die Toilettenanlagen so umzubauen, dass die Fäkalien aufgefangen und verwertet werden können. Die darauf hergestellte Terra Preta soll den Bedarf an bislang zugekauftem Kompost, Zuschlagstoffen und Fertigerden senken oder sogar decken.

"Eine eindeutige Antwort gibt es da noch nicht", räumt Konstantin Terytze von der FU Berlin ein. Denn, so erläutern auch Bruno Glaser und seine Kollegen in einem Übersichtsartikel [2], ob Holzkohle die Produktivität eines Ackers tatsächlich steigern kann, hängt sowohl vom Bodentyp als auch von ihren Eigenschaften ab. Diese stehen und fallen mit der Herstellungsweise der Kohle, der Pyrolyse.

Knackpunkt Holzkohle

Bei der Pyrolyse, der starken Erhitzung ohne Sauerstoffzufuhr, wird das Kohlenstoffgerüst von Holz lediglich um-, nicht abgebaut. Aus Kohlenstoffketten mit Mehrfachbindungen entstehen dabei stabilere ringförmige Verbindungen, so genannte Aromaten. Je höher das Holz erhitzt wird, auf zwischen 350 und 1100 Grad, desto stabiler das Pyrolyseprodukt – desto besser ist es also im Boden gegen mikrobiellen Abbau gefeit. Die Kohle bleibt dann langfristig im Boden und speichert den Kohlenstoff, den die Biomasse, aus der sie stammt, der Atmosphäre entzogen hat. Will man dagegen einen besonders kargen Boden möglichst schnell aufwerten, so eignet sich solche Holzkohle am besten, die bei niedrigen Temperaturen hergestellt wurde. Denn diese, so vermuten Wissenschaftler um Stephen Joseph von der School of Material Science and Engineering an der University of New South Wales in Sydney, erlaubt mehr Reaktionen, die für die Nährstoffaufnahme wichtig sind [3].

Die Pyrolysebedingungen bestimmen – ebenso wie die verwendeten Rohstoffe – auch den Säuregrad der Holzkohle. Und der kann die Nährstoffverfügbarkeit im Boden entscheidend beeinflussen. Denn sie hängt direkt mit dem Säuregrad der Umgebung zusammen: Je niedriger der pH-Wert, desto stärker sind Kalium, Phosphat oder Magnesium an Bodenpartikel gebunden und desto schlechter können die Wurzelhaare der Pflanzen diese Mineralstoffe aufnehmen. Hohe Nährstoffkonzentrationen allein nutzen den Pflanzen also nichts, solange der pH-Wert nicht stimmt. Eines der Grundprobleme in der Landwirtschaft ist, dass Böden durch Niederschläge und Pflanzenwuchs mit der Zeit versauern. Die Holzkohle wirkt dem entgegen. Ihr Effekt hängt dabei vom Bodentyp ab: In sandigen und lehmigen Böden ist er beispielsweise stärker als in Ton.

Fertiges Pflanzsubstrat | Die Entstehung von Terra Preta beruht nicht auf klassischer Kompostierung, sondern auf einer Milchsäurefermentation. Das hält die Kohlenstoffverluste geringer.

Abgesehen davon, dass das stabile und zugleich hochgradig poröse Kohlenstoffkonstrukt das Bodenmilieu im neutralen Bereich hält, sorgt seine erstaunlich große innere Oberfläche für ausreichende Belüftung, eine höhere Wasserspeicherkapazität und mehr Reaktionsfläche zur Nährstoffaufnahme. Deshalb wird auf den amerikanischen Kontinenten Holzkohle auch heute noch gern aufs Feld aufgebracht. Die innere Oberfläche der Kohle ist umso größer, je stärker sie bei der Pyrolyse erhitzt wurde. Aber auch schon bei niedrigen Herstellungstemperaturen beträgt sie enorme 400 Quadratmeter pro Gramm. Zum Vergleich: Ein Gramm Sand hat eine spezifische Oberfläche von nur 0,1 Quadratmeter.

Die Terra Preta do Indio unterscheidet sich allerdings in einem wichtigen Punkt von einem nur einfach mit Holzkohle versetzten Ackerboden: In der langfristig fruchtbaren Schwarzen Erde dient die porenreiche Oberfläche der Kohle als Lebensraum für eine Vielzahl Mikroorganismen, die regelmäßig aufgetragen werden: Die indigene Bevölkerung Amazoniens erreichte dies mit dem milchsäurefermentierten Cocktail aus Exkrementen und Abfällen.

Nur im Zusammenhang mit dem Bodenleben, das durch die Zuführung von organischen Stoffen und den nützlichen Mikroorganismen gefördert wird, kann Holzkohle also die Fruchtbarkeit der Böden über einen langen Zeitraum erhöhen. Und das ist noch nicht alles: "Auch das Anbausystem ist entscheidend", ergänzt Haiko Pieplow. Die Menschen im Amazonasgebiet legten wahrscheinlich Waldgärten an, in denen auch Mais, Bohnen und Kürbis im Mischanbau kultiviert wurden, mit der sie sich Brachphasen ersparen konnten – ein weiterer Aspekt, den es bei der Umsetzung der Methode heute zu berücksichtigen gilt.

Regulierungsbedarf

Und noch etwas braucht es angesichts des Regulierungseifers unserer Gesellschaft für den Einsatz von Holzkohle in der modernen Landwirtschaft: Eine klare Definition dessen, was man unter die Erde bringen will. Sowohl über die Benennung als auch über die jeweiligen genauen Inhaltsstoffe des Substrates – das unter den verschiedensten Bezeichnungen wie Pflanzenbiokohle, Pflanzenkohle, Holzkohle, Biochar oder Biokohle firmiert – herrscht unter Experten noch kein Konsens. Ohne Einigung aber ist es unmöglich, die verschwelte Biomasse als Bodenhilfsmittel zuzulassen und in die landwirtschaftliche Praxis zu integrieren.

Zunehmend vernetzen sich die weltweit 500 Forscherteams deshalb, etwa im "European Biochar Research Network" oder in der "International Biochar Initiative". Eine weitere dieser Plattformen, das "Biochar Science Network", hat zu Jahresbeginn 2012 Richtlinien für eine unabhängige Zertifizierung von Pflanzenkohle veröffentlicht. Hochkarätige Wissenschaftler stellen damit dem europäischen Markt eine Qualitätskontrolle für die sich rasant entwickelnden Pflanzenkohle-Technologien zur Verfügung. Sie hoffen, so eine Herstellung zu gewährleisten, die wirtschaftlich verantwortungsvoll und praktisch umsetzbar ist, und die vor allem ständig an wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse angepasst wird. Entsprechende Studien erscheinen monatlich – eine Herausforderung ist es also, ausreichend Transparenz für die Anwender zu schaffen.

Diese – Landwirte, Landschaftsgärtner und Hobbybauern – sind es, die neben den ambitionierten Wissenschaftlern einen entscheidenden Beitrag für die Anwendung der Holzkohle in der hiesigen Landwirtschaft leisten. Denn sie erproben, was inzwischen über die Herstellung der Terra Preta bekannt ist – und damit wie eine Umstrukturierung der Agrarwirtschaft in unseren Breiten aussehen könnte.

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  • Quellen
[1] Mueller, N. D. et al.: Closing yield gaps through nutrient and water management. In: Nature 490, S. 254 –257, 2012.
[2] Glaser, B., Lehman, J. Zech, W.: Ameliorating physical and chemical properties of highly weatherd soils in the tropics with charcoal – a review. In: Biology and Fertility of Soils 35, S. 219 – 230, 2002
[3] Joseph, S. D. et al.: An investigation into the reactions of biochar in soil. In: Australian Journal of Soil Research 48, 501–515, 2010.

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