Schwarzloch-Sterne: Sind mysteriöse rote Punkte Schwarze Löcher?

Nur einen Monat nachdem das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) im Sommer 2022 gestartet war, entdeckten Astronomen in den Daten seltsame rote Punkte im frühen Universum, für die sie keine wirkliche Erklärung hatten. Sie vermuteten, dass es sich hier um ähnlich »ausgereifte« Galaxien wie unser Milchstraßensystem handeln könnte, die jedoch schnell und schon wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden sein müssten. Ein Team um Anna De Graaff vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg legt jedoch eine völlig neue These vor, worum es sich bei den roten Punkten handeln könnte: Es taufte sie »Schwarzloch-Sterne« – extrem massereiche Schwarze Löcher, die von einem ungewöhnlichen Gasmantel umhüllt sind, der demjenigen einzelner Sterne ähnelt.
Diese völlig neue Objektklasse ließ sich erst mit dem JWST beobachten, weil sie infrarote Strahlung mit langen Wellenlängen aussendet, die das Weltraumteleskop Hubble nicht erfassen konnte. Das JWST ist jedoch genau hierfür ausgelegt. Die ersten Daten vom JWST waren allerdings nicht ausreichend für eine genauere Analyse, weshalb De Graaffs Arbeitsgruppe zusätzliche Beobachtungszeit beantragte. Insgesamt gewannen die Forschenden aus fast 60 Stunden Beobachtungszeit die Spektren von 4500 Galaxien aus dem frühen Universum, unter denen sie schließlich 35 der kleinen, mysteriösen roten Punkte ausmachten – darunter ein Objekt, das so weit entfernt ist, dass dessen Strahlung 11,9 Milliarden Jahre unterwegs war, bis sie uns erreichte. Es wurde als »The Cliff« bezeichnet und intensiv untersucht.
Sein Spektrum weist einen steilen Anstieg der Strahlungsleistung im ultravioletten Bereich auf: bei Wellenlängen, die nur geringfügig kürzer sind als die des violetten sichtbaren Lichts. Für die Beobachtungen liegt jener starke Anstieg wegen der Expansion des Universums allerdings nicht mehr im UV-, sondern bereits im Nahinfrarotbereich: ein Phänomen, das als Balmer-Break bezeichnet wird und bestimmte Galaxien kennzeichnet. Bei »The Cliff« verläuft der Anstieg jedoch deutlich steiler und eher wie bei einem einzelnen Stern und nicht wie bei diesen Galaxien, weshalb de Graaff und Co eine alternative Erklärung suchten.
Sie entwickelten daher ein Modell, das sie schließlich als »Schwarzloch-Stern« bezeichneten: Im Kern befindet sich demnach ein extrem massereiches Schwarzes Loch mit einer Akkretionsscheibe, das von einer ausgedehnten Hülle aus Wasserstoffgas umgeben ist. Von klassischen Sternen unterscheiden sich die Objekte, da in ihrem Inneren keine Kernfusion abläuft. Und die Gashülle wird von extremen Turbulenzen durchwirbelt, die so bei noch keinem Stern nachgewiesen wurden. Das Leuchten entsteht, weil die extrem massereichen Schwarzen Löcher riesige Mengen an Materie schnell anziehen, sie in Energie umwandeln und dabei Licht abstrahlen.
Endgültig belegt ist diese These jedoch noch nicht, schränken De Graaff und Co selbst in einer Mitteilung ein. Ähnlich sieht das auch der an der Studie beteiligte Astronom Joel Leja von der Pennsylvania State University: »Niemand weiß wirklich, warum oder woher die gigantischen Schwarzen Löcher im Zentrum von Galaxien stammen. Diese Schwarzloch-Sterne könnten die erste Phase der Entstehung jener Schwarzen Löcher sein, die wir heute in Galaxien sehen, quasi extrem massereiche Schwarze Löcher in ihrem frühen Kindesalter.« Weitere Beobachtungszeit am JWST soll helfen, um die merkwürdigen roten Punkte aufzuklären.
Die Quelle »The Cliff« weist eine kosmologische Rotverschiebung von z = 3,5 auf. Es handelt sich dabei um ein anderes Objekt als die kürzlich in die Diskussion geratenen JWST-Quellen mit z = 17 und z = 25. Doch auch hier werden Schwarze Löcher vermutet.
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