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News: Schwefelgeschichte

An den Rändern der Kontinente geht es rund: Sie sind wahre "biogeochemische Reaktoren", in denen eine Vielzahl von Auf-, Um- und Abbauprozessen stattfinden, mit und ohne lebende Beteiligung. Für eines der wichtigsten Elemente, den Schwefel, gibt es nun überraschende Neuigkeiten.
Meer
Es gibt Dinge, die lassen sich guten Gewissens als sehr stabil bezeichnen. Dazu gehörte nach Wissenschaftlermeinung auch der Sulfatgehalt der Ozeane: Sie bilden ein riesiges Reservoir des nach Chlorid zweithäufigsten Anion des Meerwassers, und der geringe Eintrag durch Flüsse vom Festland kann daran nur in langen, geologischen Zeiträumen etwas ändern.

Doch die Wissenschaftler haben sich getäuscht: Der Sulfathaushalt der Meere ist weitaus dynamischer als angenommen, wie Alexandra Turchyn und Daniel Schrag von der Harvard University nun zeigen konnten. Dabei ließen sich die Forscher die schwankende Geschichte nicht vom Schwefel selbst erzählen, sondern zogen, wie häufig in den Geowissenschaften, den am Geschehen beteiligten Sauerstoff zu Rate – sicher eingelagert in die höchst schwerlöslichen Baritkristalle (BaSO4), die sich bereitwillig im Zusammenspiel von Plankton und organischer Materie im Meerwasser bilden und in den Sedimenten ihr Ruheplätzchen finden.

Warum Sauerstoff? Weil die unterschiedlichen Isotope des Elements erzählen, durch welchen Prozess die jeweilige Sulfatverbindung entstand. Bei Verwitterungsprozessen, in denen Sulfide direkt oxidiert werden, bilden sich Sulfate mit einem hohen Anteil an leichten Sauerstoffisotopen. Eine partielle Reduktion von Sulfaten, die teilweise in Sulfiden mündet, entfernt dagegen vor allem das leichte 16O, weshalb die verbleibenden Sulfate relativ reicher am schwereren Isotop 18O sind. Ähnlich sieht das Ergebnis aus, wenn Bakterien eingreifen und in den Sedimentschlämmen Sulfid zu Sulfat oxidieren, ein sehr gängiger Prozess mit allerdings eher magerer Energieausbeute.

Was auf den ersten Blick kompliziert scheinen mag, bietet eine einfache Unterscheidung zwischen Sulfat aus Verwitterungsquellen und Sulfat aus mikrobiellen Prozessen. Mit diesem simplen Anzeiger machten sich Turchyn und Schrag nun auf die Spurensuche in der Vergangenheit: Sie analysierten Sedimentbohrkerne, die zehn Millionen Jahre zurückreichten. Und dabei stellten sie einen erstaunlich abrupten Rückgang der 18O-Gehalte um fünf Promille in den letzten drei Millionen Jahren fest.

Was bedeutet das? In den Jahrmillionen zuvor waren offensichtlich Bakterien die Sulfat-Hauptproduzenten – und zwar sehr eifrige, hatten ihre Aktivitäten doch sogar zu einem stetigen leichten Anstieg des schwereren Sauerstoffisotops geführt. Dann jedoch wandelte sich die Quelle, und die Schwefelverbindungen stammten nun überwiegend aus Verwitterungsprozessen.

Solche Daten rufen geradezu nach einer Überprüfung mittels eines Modells. Also fütterten die Wissenschaftler ihre Computer. Eine Erklärung für das Phänomen schiebt den damals gerade so langsam in Gang kommenden Eiszeiten die Verantwortung zu: Sinkende Meeresspiegel hätten weite Küstenflächen trockengelegt, in denen nun zum einen keine marinen Bakterien mehr als Sulfatproduzenten aktiv sein konnten und zum anderen die nun an luftige Oberfläche geratenen sulfidhaltigen Sedimentschlämme rasch der Verwitterung anheim fielen – und schon gewann das leichtere Isotop an Boden.

Gleichzeitig, so meldete das Modell, musste der Sulfatgehalt zu jenen Zeiten um zehn bis zwanzig Prozent höher gelegen haben als in den vergangenen Jahrmillionen des späten Miozäns. Wieder genügen die Eiszeiten als Erklärung: In den nun deutlich kühleren Gewässern wurde mehr Sauerstoff gelöst, was die Reoxidation von Sulfiden zu Sulfaten kräftig angekurbelt haben dürfte.

Die Ergebnisse aus der Vergangenheit haben auch einen interessanten Bezug zu einem großen Rätsel der Gegenwart, erklären Louis Derry von der Cornell University und Richard Murray von der Boston University: Wie viel Kohlenstoff speichern die Weltmeere? Denn der Sulfathaushalt der Ozeane hat einen entscheidenden Einfluss auf die Alkalinität oder das Säurebindungsvermögen des Meerwassers – jenes Maß für die Menge an Wasserstoffionen, die vor allem durch Hydrogencarbonat (HCO3-), Carbonat (CO32-) und Hydroxid (OH-) gebunden werden können. Diese Verbindungen wiederum stehen in einem Gleichgewicht mit gelöstem Kohlendioxid und damit der Kapazität des Wassers, jenes Treibhausgas aufzunehmen. Wirkt Sulfat hier nun als Konkurrent, geht die Alkalinität zurück und damit auch das Speichervermögen. Es wäre daher sehr interessant, so meinen die beiden Wissenschaftler, unter dem Blickwinkel Alkalinität einen weitere Spurensuche in der Vergangenheit anzugehen. Vielleich erweist sich in unseren Ozeanen ja noch weit mehr als gar nicht so stabil wie lange vermutet.

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