Sciencefiction als Methode: Die Zukunft erforschen, bevor sie eintritt

Vieles haben die Macher des Hollywood-Blockbusters »Zurück in die Zukunft II« erstaunlicherweise richtig vorhergesagt. Als der Film im Jahr 1989 gedreht wurde, lag das Jahr 2015 noch in weiter Ferne, und dennoch kommuniziert Marty McFly darin per Videotelefon, nutzt einen Regen-Radar und gleitet auf einem Hoverboard durch die Straßen, das sich mit etwas Fantasie als E-Scooter deuten lässt. Die wohl folgenreichste technologische Entwicklung der Jahre zwischen 1985 und 2015 haben die Filmemacher jedoch nicht kommen sehen: das Internet. Und doch taugt der Film als Vorlage für eine spannende Idee – nämlich, wie sich die Auswirkungen neuer Technologien auf die Gesellschaft besser erforschen lassen.
Was im Film reine Sciencefiction ist, schlagen drei Wissenschaftler nun als ernsthafte Forschungsmethode vor. In einem Artikel in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals »Nature« plädieren sie für ein radikales Umdenken in der verhaltenswissenschaftlichen Zukunftsforschung: Statt sich auf vage Annahmen oder qualitative Einschätzungen zu verlassen, solle mithilfe quantitativer Daten systematisch untersucht werden, wie Menschen auf neue Technologien reagieren.
Die Forscher – Iyad Rahwan vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Azim Shariff von der University of British Columbia und Jean-François Bonnefon von der Universität Toulouse – nennen ihre Vision eine »Sciencefiction-Wissenschaft«. Ziel sei es, verschiedene Zukunftsszenarien zu entwerfen und experimentell herauszufinden, wie Menschen in diesen möglichen Welten handeln oder denken würden. Als Werkzeuge schlagen sie klassische Videosequenzen, Augmented-Reality-Simulationen, immersive Umgebungen oder sogar den realen Nachbau spezifischer Settings wie etwa einer Mondstation vor.
Wie soll man die Folgen von etwas untersuchen, was es noch gar nicht gibt?
»Angenommen, Verhaltensforscher hätten in einem spekulativen Experiment die Folgen sozialer Medien auf die psychische Gesundheit und die Demokratie untersuchen können, bevor es soziale Medien überhaupt gab«, schreiben die Autoren in ihrem Artikel. »Dann hätten sie womöglich erkannt, dass die Teilnehmer sich stark miteinander vergleichen, was das Selbstwertgefühl schwächt, oder sich ständig moralisch empören, was die gesellschaftliche Spaltung verstärkt.« Die Erkenntnisse hätten dabei helfen können, soziale Medien vorausschauend zu gestalten und zu regulieren, anstatt nur ihren Auswirkungen hinterherzulaufen.
Das eigentliche Problem ist: Die meisten Studien zu sozialen und psychologischen Folgen neuer Technologien entstehen erst im Nachhinein. Zunächst wird etwas erfunden, verbreitet sich rasant – und erst dann beginnen Wissenschaftler, seine gesellschaftlichen Auswirkungen zu analysieren. Warum? Weil niemand mit Sicherheit sagen kann, welche Technologien sich tatsächlich durchsetzen. Wie soll man also die Folgen von etwas untersuchen, was es noch gar nicht gibt?
Autonomes Fahren oder Leben auf dem Mars
Auch Rahwan und seine Mitautoren sehen dieses Dilemma und schlagen eine pragmatische Lösung vor: Der Fokus sollte auf Technologien liegen, die bereits vorstellbar oder gut simulierbar sind – etwa das Leben auf dem Mars. Alternativ könnten auch jene Entwicklungen untersucht werden, die technisch nahezu ausgereift sind, aber den Durchbruch zum Massenmarkt noch nicht geschafft haben, wie autonomes Fahren oder Roboter im Alltag.
»Einige Kollegen fragen mich, warum wir überhaupt versuchen sollten, die Auswirkungen zukünftiger Technologien auf das Verhalten quantitativ zu erforschen, angesichts des hohen Risikos, dass unsere Daten falsch sind«, sagt Jean-François Bonnefon. »Meine übliche Antwort lautet dann, dass schwache Belege immer noch besser sind als gar keine Belege.« Es ganz zu lassen, solchen Fragen nachzugehen, sei für ihn keine Option, daher wolle er lieber dazu beitragen, bessere Methoden zu entwickeln – oder direkt ein völig neues Forschungsgebiet zu begründen.
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