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Zusammenbruch eines Ökosystems: Seeigelwüsten ersetzen Tangwälder

Vor der Küste Nordkaliforniens spielt sich ein weiteres ökologisches Desaster ab. Ein artenreiches Ökosystem wird aufgefressen – und wird wohl lange nicht mehr wiederkehren.
Seeigel vor der kalifornischen Küste

Lange haben die Braunalgen- oder Tangwälder vor der nordkalifornischen Küste jede Krise überstanden, auch größere Hitzewellen im Meer, das hier normalerweise kühl ist. Eine ungewöhnlich starke Aufheizung 2014 verursachte einen abrupten Kollaps, an dessen Ende 95 Prozent der ursprünglichen Tangbestände der Region zerstört waren und durch eine Art Wüste mit massenhaften Seeigelbeständen ersetzt wurden. Das berichten die Biologin Meredith McPherson von der University of California in Santa Cruz und ihr Team in »Communications Biology«.

Die Tangwälder vor Nordkalifornien gedeihen in normalerweise kaltem und nährstoffreichem Auftriebswasser und bilden ein artenreiches Ökosystem sowie eine Kinderstube vieler Fischarten. Während El-Niño-Ereignissen und anderer Wärmephasen im Meer wird der Aufstieg des Tiefenwassers verhindert, und es dominieren nährstoffarme, warme Bedingungen, in denen die Braunalgen schlechter wachsen und die von ihnen bedeckte Fläche zurückgeht. Normalerweise erholen sich die Braunalgen davon rasch und vollständig.

Bedingt durch zu häufige und starke Warmwasserblasen sowie die Überdüngung des Wassers in der Region in den letzten Jahren kam es allerdings ab 2013 auch zu einem massenhaften Sterben von Seesternen. Sauerstoffmangel machte die Tiere krankheitsanfälliger, so dass sie von Bakterien befallen wurden und zu Schleim zerflossen. Seesterne sind jedoch die wichtigsten Fressfeinde bestimmter Seeigel, die wiederum kräftig die Braunalgen beweiden.

Tangwälder | Braunalgen vor der kalifornischen Küste bieten vielen Fischen eine Kinderstube und Zuflucht.

Ohne diese Gegenspieler konnten sich die Seeigel stark vermehren und sich intensiv über die durch die Hitzewelle belasteten Braunalgen hermachen. »Das Zusammentreffen beider Ereignisse führte dazu, dass die Tangwälder dramatisch reduziert wurden«, sagt der an der Studie beteiligte Raphael Kudela. Die hungrigen Seeigel sorgen zudem dafür, dass alle aufkeimenden Algen sofort wieder abgeweidet werden: Statt der arten- und strukturreichen Tangwälder dehnen sich nun kahle Flächen im Meer aus.

Im Gegensatz zu anderen Küstengebieten Nordamerikas, in denen die Braunalgen wachsen, fehlen hier die Seeotter, die ebenfalls Seeigel fressen und deren Bestand einhegen können. »Seeotter wurden seit 1800 nicht mehr an der Nordküste beobachtet. Anhand der Satellitenbilder der letzten 35 Jahre konnten wir sehen, dass die Braunalgen auch ohne sie gut zurechtkamen. Als dann aber noch die Seesterne als Fressfeinde der Seeigel verschwanden, gab es im System niemanden mehr, der sie in Schach halten konnte«, sagt McPherson.

Solange weder die Otter noch die Seesterne zurückkehren, sieht es für die Tangwälder schlecht aus – selbst wenn die übrigen ökologischen Bedingungen passen sollten. Jede Alge wird sofort gefressen. Man hat sogar Versuche unternommen, die Seeigel manuell von Tauchern entfernen zu lassen, um den Braunalgen einen Startvorteil zu geben. Allerdings ohne Erfolg. Laut McPherson könnte nur eine Seuche helfen, die zu einem Massensterben der Seeigel führt. Doch auch dann sei es ungewiss, ob sich das Ökosystem wirklich erholen würde. Immerhin beginnt sich die Hitzewelle im Meer erstmals seit 2014 abzuschwächen, so dass die Wissenschaftler die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich die Bedingungen vor Ort endlich wieder etwas normalisieren könnten.

Nahrungsmangel scheint dagegen mittelfristig keine Lösung der Seeigelplage zu sein: Da Seeigel nicht nur Seetang und andere Algen abweiden, sondern auch Wirbellose sowie Aas, überleben sie sehr lange in großer Zahl, während Seuchen ihre Bestände tatsächlich in kürzerer Zeit drastisch reduzieren können. Bis die Tiere tatsächlich verhungern, könnte also das Ökosystem irreversibel (oder zumindest auf sehr lange Dauer) geschädigt sein – irgendwann wächst der Tang schlicht nicht mehr nach.

Anm. d. Red.: Der Artikel wurde nachträglich noch um den letzten Absatz erweitert.

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