Ostsee: Weltkriegsmunition ist das überraschend bessere Zuhause

Seesterne, Krabben, Würmer: Munitionsreste aus dem Zweiten Weltkrieg bieten auffällig vielen Meeresbewohnern in der Ostsee eine gute Heimat. Dort leben sogar mehr Arten und Individuen als in den umgebenden Sedimenten, wie eine Studie in der Lübecker Bucht zeigt. »Das Interessante ist, dass es so viele Tiere gibt - das haben wir nicht erwartet«, sagte Andrey Vedenin vom Forschungsinstitut Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven der Deutschen Presse-Agentur.
Etwa 43 000 Individuen pro Quadratmeter - überwiegend Würmer - hatten die Forscher auf Sprengköpfen von V1-Marschflugkörpern nachgewiesen. Die Tiere fühlen sich demnach auf dem harten Material wohl. In den umgebenden Sedimenten lebten dagegen nur 8200 Individuen pro Quadratmeter.
Das Team um Vedenin hatte im Oktober 2024 mit einem ferngesteuerten Unterwasserfahrzeug in der Lübecker Bucht ein neu entdecktes Munitionsablagerungsgebiet in rund 20 Meter Tiefe untersucht. Die Analysen der Videoaufnahmen aus einer hochauflösenden Kamera fanden auf den Sprengköpfen mit insgesamt acht Spezies allerdings keine sehr große Artenvielfalt, wie der Biologe Vedenin betonte.
Zu den gefundenen Tieren zählen Seesterne, Seenelken, Krabben und Würmer: »Typische, normale Ostsee-Organismen, die aber in solcher Dichte und Menge hier sonst nicht vorkommen«, so Vedenin. Dieses Ergebnis hat die Experten erstaunt. Doch auch wenn die harten Sprengköpfe eine reiche Fauna trugen, waren manche Bereiche um die Weltkriegsmunition frei von Lebewesen.
Die Arbeitsgruppe schließt daraus, dass diese Umgebung wegen Chemikalien aus der alten Munition zu giftig für die Tiere ist. Konzentrationen von Giften wie TNT sowie Ammoniumnitrat und Phosphor sei stellenweise sehr hoch gewesen, sagte er. Die Sprengköpfe sollen deshalb geborgen werden. Einfach sei das nicht, so Vedenin. Da einzelne Objekte verrostet und miteinander verklebt seien, könnten dabei Phosphor oder andere Substanzen austreten. Mit Steinen oder Beton wollen die Forscher die Lebensräume für die Tiere auf der alten Munition ersetzen.
Granaten, Torpedos, Minen: Viel Altmunition in der Ostsee
Im Bereich der deutschen Nord- und Ostseeküste liegen schätzungsweise 1,6 Millionen Tonnen konventionelle Kriegsmunition auf dem Meeresgrund. Die Munitionshüllen rosten immer stärker durch, und dabei treten Schadstoffe aus, wie Geomar-Direktorin Katja Matthes im Juni 2025 auf einer Tagung zur Bergung der Altlasten sagte. In der südwestlichen Ostsee seien bereits rund 3000 Kilogramm giftige Chemikalien freigesetzt worden.
Die Bundesregierung hat für ein Sofortprogramm zur Bergung von Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Im Herbst 2024 hatten drei Unternehmen im Auftrag des Bundesumweltministeriums damit begonnen, Weltkriegsmunition aus der Lübecker Bucht zu bergen.
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