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News: Sehen statt riechen

Liebe geht durch die Nase - bei vielen Tieren und vielleicht auch beim Menschen, obwohl das verantwortliche Organ bei uns verkümmert ist. Womöglich verlor es seine Funktion, weil der Mensch und seine nächsten Verwandten mit dem Farbensehen auch bunte Reize als Anzeichen für Paarungsbereitschaft entwickelten.
Sehen statt riechen
Der Versuch ist inzwischen klassisch und unzählige Male wiederholt worden: Frauen riechen an von Männern durchgeschwitzten T-Shirts und entscheiden dann, welchen Träger sie am attraktivsten finden. Pheromone, flüchtige oder wasserlösliche Moleküle, sollen hier als Duftnote die Qualität des möglichen Paarungspartners verraten.

Was beim Menschen noch umstritten, ist bei vielen anderen Säugetieren und Insekten gang und gäbe. Insofern stellt sich die Frage, ob und wenn ja, warum der Mensch – und mit ihm offensichtlich auch die anderen Affen Afrikas und Asiens – diese chemischen Botschaften aufgegeben hat. Denn das für den Empfang und die Weiterleitung zuständige Vomeronasalorgan im Nasenraum ist bei uns verkümmert. Oder hatte etwas anderes dessen Aufgabe übernommen?

Jianzhi Zhang von der University of Michigan und seine Kollegen konzentrierten sich daher auf ein Protein, von dem sie wussten, dass es bei Mäusen als Andockstelle für Pheromone dient – und nur dafür: Ist es defekt, können die Tiere die Duftmoleküle nicht mehr wahrnehmen.

Als die Wissenschaftler nun die Gensequenz mit den entsprechenden Abschnitten beim Menschen und verschiedenen anderen Affen verglichen, stellten sie fest, dass bei den so genannten Altweltaffen, zu denen neben dem Menschen auch Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans, Gibbons und Paviane gehören, ein Stoppsignal das Ablesen des Gens vorzeitig abbricht. Zwar liegt jene Anweisung erst kurz vor dem Ende des Gens, doch ist die nachfolgende Sequenz höchstwahrscheinlich für die Struktur des Proteins unerlässlich: Das aus der verkürzten Information zusammengebaute Eiweiß dürfte also seine Funktion nicht ausüben können. Die einzige Ausnahme: Bei Orangutans fehlt das Stoppsignal.

Und auch bei den Neuweltaffen fanden die Forscher das Stoppsignal nicht, die Tiere besitzen also einen funktionsfähigen Rezeptor für Pheromonmoleküle, der ihnen das Wahrnehmen der Duftbotschaften ermöglicht. Demnach, so erklären Zhang und seine Kollegen, muss das Stoppsignal nach der Auftrennung in Alt- und Neuweltaffen vor etwa 35 Millionen Jahren, aber vor der weiteren Aufspaltung innerhalb der Altweltaffen vor etwa 23 Millionen Jahren entstanden sein – und die Orang-Utans, als Angehörige der Altweltaffen, haben es dann im weiteren Verlauf der Evolution wieder verloren.

Warum aber konnten die Altweltaffen plötzlich auf Pheromone verzichten? Weil sie einen anderen Weg fanden, Paarungsbereitschaft und weitere Signale im Zusammenhang mit der Partnerwahl zu übermitteln, erklären die Forscher. Dahinter steckt ihrer Ansicht nach die Verdopplung einer Erbanlage, die zum Sehsinn gehört: des Gens für das rot/grün-empfindliche Opsin auf dem X-Chromosom. Vorher nur in einfacher Ausführung vorhanden, ermöglichte es allein weiblichen Affen ein Farbensehen, da sie mit ihren zwei X-Chromosomen eine doppelte Ausführung mit sich tragen. Den Männchen allerdings mit ihrem einzelnen X-Chromosom blieb die bunte Welt und damit auch irgendwelche roten oder grünen Reize verborgen. Etwa zur selben Zeit, als das Gen für den Pheromon-Rezeptor zerstört wurde, verdoppelte sich aber die entsprechende Sequenz des Opsin-Gens, und auch männliche Altweltaffen sahen nun die Welt in Farbe.

Heute fällt auf, dass viele Altweltaffen beispielsweise über rote Schwellungen ihre Paarungsbereitschaft signalisieren – ein Zeichen, das über größere Strecken sichtbar ist. Gleichzeitig ist es für den Betrachter eindeutig, während er bei einer Duftbotschaft, die von irgendwoher in seine Nase geweht wurde, den Absender erst noch aufspüren muss. Farbige Signale bieten daher eine Reihe von Vorteilen gegenüber chemischen Nachrichten, weshalb der frühere Weg wohl an Bedeutung verlor, vermuten die Forscher. Ganz bedeutungslos scheint er denn aber doch geworden nicht zu sein angesichts der zahlreichen unbeirrbaren Frauennasen bei durchgeschwitzten Männer-T-Shirts.

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