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Anthropologie: Sehr alter Rechtshänder hat zerkratzte Zähne

Einem Homo habilis wurde nachgewiesen, dass er sich selbst die Zähne zerkratzte. Er entlarvt sich damit als der früheste derzeit bekannte Rechtshänder.
Das Fossil mit der Kennzeichnung "OH 65" aus Tansania wird einem Homo habilis zugeordnet und ist nahezu vollständig erhalten. Die Kratzer auf den Schneidezähnen sind auch nach 1,8 Millionen Jahren mit bloßem Auge erkennbar und verraten etwas über die Rechtshändigkeit des Individuums.

Wie in einem Kriminalfall ermittelten Forscher anhand von Indizien, mit welcher Hand der Homo habilis mit der Fossilkennzeichnung OH 65 vor 1,8 Millionen Jahren ein Werkzeug benutzte – und bestimmten ihn so eindeutig als Rechtshänder. Bislang sei noch kein älterer Beleg für Rechtshändigkeit bekannt.

Die Forscher um David Frayer von der University of Kansas in Lawrence untersuchten Kratzer auf den vorderen Zähnen des Fossils. An deren Verlauf ist nicht nur ablesbar, wie der Frühmensch Nahrung zu sich nahm, sondern auch, welche Hand er dabei bevorzugte.

Zu Zeiten des Homo habilis war es üblich, die Vorderzähne als dritte Hand zu benutzen und Dinge damit festzuhalten. Die Kratzer und Einschnitte auf den Zähnen weisen darauf hin, dass der Homo habilis seine Zähne mitunter als "Schneidebrettchen" benutzt hat. Er spannte die Nahrung zwischen Vorderzähnen und linker Hand auf, und mit der rechten Hand führte er ein Steinwerkzeug, mit dem er sich Bissen abschnitt. Diese aus heutiger Sicht etwas rabiate Bearbeitung führte zu einem Netzwerk aus Kratzern und Kerben. Ähnlich zerkratzte Zähne wurden bereits beim europäischen Neandertaler dokumentiert.

Wie der Frühmensch "OH 65" seine Zähne nutzte | Die Schemazeichnung verdeutlicht, wie der Homo habilis seine vorderen Zähne als "Schneidebrettchen" benutzt hat. Das Steinwerkzeug hinterließ viele Kratzer und Kerben im Zahnschmelz. Sie entlarven diesen Homo habilis nun als Rechtshänder.

Die Kerben sind mit bloßem Auge schon zu erkennen, doch um den Kiefer zu schonen, haben die Wissenschaftler einen Abdruck aus Gießharz hergestellt. Anschließend fertigten sie Bilder an und vermaßen Zahl, Winkel und Länge der Kratzer.

Sie entdeckten dabei eine auffällige Regelmäßigkeit in den Kerben: Sehr viele Einschnitte verlaufen schräg und – aus der Sicht des Homo habilis – von links oben nach rechts unten. Dieses Muster lässt die Forscher folgern, dass "OH 65" das Steinwerkzeug mit der rechten Hand führte. Insgesamt analysierte das Team 559 Kratzer. Davon verlaufen 46 Prozent nach dem Muster eines Rechtshänders, nur etwa 11 Prozent der Kerben würden auf einen Linkshänder hindeuten. Die restlichen Einschnitte weisen eine horizontale oder vertikale Orientierung auf.

Mit dem Rasterelektronenmikroskop zeigen sich großflächige Überschneidungen der Kratzer. Außerdem sind einige Kratzerkanten abgenutzter als andere. Laut den Forschern weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass der Homo habilis die Kerben in Intervallen über einen größeren Zeitraum hinweg erzeugte.

Auch bei Tieren tritt Gliedmaßenpräferenz auf, zum Beispiel bei Kängurus und Affen. Bei Schimpansen gibt es etwa gleich viele Rechts- wie Linkshänder, während 90 Prozent der Menschen die rechte Hand bevorzugen. Ziel der Forscher um Frayer ist es herauszufinden, wann die Verteilung zu Gunsten der Rechtshändigkeit gekippt ist. Sie vermuten einen Zusammenhang zwischen dem Werkzeuggebrauch und der Sprachentwicklung, denn beides wird von Arealen in der linken Gehirnhälfte gesteuert.

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