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Vogelzug: Seitenblicke

Das Erdmagnetfeld weist ihnen den Weg, über Tausende Kilometer. Doch wie funktioniert der innere Kompass von Zugvögeln? Wie norden sie ihn ein?
Gartengrasmücke
Sie sind fort. Noch letzte Woche saßen ganze Horden von Staren in den Bäumen vor dem Bürofenster und ließen sich deren Früchte schmecken. Heute ist nicht mal einer der schwarz-gepunkteten Gesellen zu sehen: Sie haben sich nun endgültig gesammelt und auf den Weg in ihr Winterquartier gemacht. Erst nächstes Frühjahr werden sie uns wieder zu Gesicht und Ohren kommen.

Und mit ihnen die ganze weitere Schar der Zugvögel, deren beeindruckende Orientierungsleistung noch immer jede Menge Rätsel birgt. Dass sie das Erdmagnetfeld mit einem inneren Kompass nutzen, haben inzwischen viele Experimente belegt. Doch wie erfassen sie den unsichtbaren Wegweiser?

In einem beliebten Experiment zur Beantwortung dieser Frage setzen Forscher die Tiere in Käfige und manipulieren dann das sie umgebende Magnetfeld. Werden die Vögel vom Zugtrieb erfasst, beginnen sie, in ihrem Gefängnis umherzuflattern – und strecken, beim Erholen auf der Stange, den Schnabel nach und nach in Richtung des angestrebten, aber nun unerreichbaren Ziels. Haben Wissenschaftler nun die Feldorientierung geändert, drehen sich auch die Wanderlustigen mit – oder aber sind gänzlich verwirrt, wenn die äußere Navigationshilfe fehlt.

Auch Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg und seine Kollegen wählten diesen Versuchsansatz. Bevor sie ihre Versuchsteilnehmer, heimische Gartengrasmücken (Sylvia borin), in die Käfige setzten, klebten sie ihnen allerdings noch ein kleines Stückchen, Infrarotlicht reflektierendes Klebeband an den Kopf und zeichneten die nächtlichen Unruhephasen der Zugumtriebigen auf.

Und dadurch kamen sie einem interessanten Verhalten auf die Spur: Kurz vor den ersten Anfällen von Reiselust und später vor jedem Flatteranfall drehten die Vögel den Kopf weit zur Seite und wieder zurück. Manchmal schauten sie anschließend auch noch in die andere Richtung. Insgesamt zählten die Wissenschaftler in einer Stunde immerhin gut fünfzig Seitenblicke – und hatten sie die Tiere des Magnetfelds beraubt, verdreifachte sich sogar die Zahl.

Natürlich schauen Gartengrasmücken auch sonst zur Seite: wenn sie beispielsweise einen neuen Sitzplatz erkunden. Dann aber drehen sie den Kopf nicht unbedingt wieder zurück. Und auffällig war, dass sich die Frequenz der Kopfbewegungen in den zehn Minuten vor den ersten Unruhephasen von zwei auf etwa sechs pro Minute steigerte – als wollten die Vögel ihren Kompass noch einmal ordentlich ausrichten, bevor sie starten. Kamen sie dann nach einer Inspektion des Käfigdachs und einem kurzen Zwischenstopp am Käfigboden auf der Sitzstange wieder zur Ruhe, waren sie in der ersten Minute ebenfalls intensiv mit Blicken zur Seite beschäftigt – es galt wohl, die Orientierung neu einzunorden. Und: Nach dieser Überprüfung drehten sich die meisten Tiere in einem Magnetfeld in die richtige Richtung, während ihre Artgenossen ohne hilfreiches Feld sich rein zufällig auf ihrer Stange neu positionierten.

Alles in allem deutliche Hinweise, dass die gehäuften Blicke zur Seite den Gartengrasmücken und vielleicht auch anderen Zugvögeln dabei helfen, die Ausrichtung des Erdmagnetfelds wahrzunehmen. Sollten kleine Magnetitminerale die Basis des inneren Kompass sein – so die eine Theorie –, dann könnte das Kopfdrehen eine Art Einpendeln der "inneren Nadel" bewirken, bei der die Tiere nach der besten Übereinstimmung mit dem äußeren Feld suchen. Ist die Magnetfeldortung mit visuellen Mustern verknüpft – die andere Theorie –, dann könnte es sein, dass die Vögel deren geringfügige Unterschiede sogar erst durch die Seitenblicke erfassen können, spekulieren Mouritsen und seine Kollegen. Und wenn es nichts wahrzunehmen gibt, weil das umgebende Magnetfeld schlicht fehlt, dann versuchen die Tiere es eben immer und immer wieder, ob sie nicht doch ein Restchen Navigationshilfe finden können.

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