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News: Selbstbestimmtes Vitamin B1

Im Gegensatz zu uns Menschen - die es mit der Nahrung aufnehmen müssen - können Bakterien das wasserlösliche Vitamin B1 selbst herstellen. Wenn sie genug davon haben, schaltet das Produkt die Herstellung selbst ab.
Höhere Tiere machen es sich mit der Vitaminversorgung recht einfach. Statt die wichtigen Stoffe selbst herzustellen, lassen sie diese Arbeit von Mikroorganismen erledigen und nehmen die fertigen Vitamine letztendlich bequem mit der Nahrung auf. So bleibt die komplizierte Synthesearbeit an den fleißigen Einzellern hängen, die – zu allem Übel – auch noch teilweise ohne Vorlage an die Arbeit gehen müssen.

Denn während bei der "normalen" Proteinsynthese eine bewegliche RNA-Kopie als Blaupause bereitsteht, an der sich das Ribosom beim Zusammenbau der Proteinkette strikt hält, gibt es beispielsweise für das kleine, wasserlösliche Thiamin – das Vitamin B1 – keine zusammenhängende Bauanleitung. Stattdessen bauen mehrere Enzyme das Molekül in Teamarbeit zusammen.

Und genau diese Kooperation bereitete den Forschern bislang Kopfzerbrechen. Schließlich ist die Blaupause sonst auch gleichzeitig der Schalter, durch den die Herstellung bei ausreichender Produktmenge wieder gestoppt wird, indem das fertige Protein an die RNA bindet. Wie aber kommt die Produktion des Vitamins zum Erliegen, wenn es keine RNA-Vorlage gibt, die solche Regulationswege ermöglicht?

Ronald Breaker von der Yale University hegte schon länger einen Verdacht: Könnte das Vitamin etwa selbst der Täter sein? Diese Spekulation war allerdings unvereinbar mit der gängigen Theorie, dass nur Proteine an bewegliche RNA-Moleküle binden und so die Produktion des betreffenden Proteins mindern können.

Um ihre Idee zu überprüfen, stellte das Team um Breaker ein künstliches RNA-Konstrukt her. Das aus zwei Teilen bestehende Molekül barg im vorderen Abschnitt die Vorlagen für zwei Enzyme der Thiaminproduktion, während der hintere Bereich gut messbaren Kontrollabschnitten vorbehalten war. Dem Konstrukt bei der Arbeit zugeschaut, entdeckten die Forscher, dass die RNA-Vorlage ein inniges Verhältnis mit dem Vitamin B1 und seiner aktiven Form, dem so genannten Thiaminpyrophosphat (TPP) einging: Beides hielt es eng umschlungen.

Aber das war nicht alles. Steckten die Wissenschaftler ihre künstliche RNA mit Ribosomen zusammen in ein Reagenzröhrchen, verringerte das Vitamin die Produktion seiner eigenen Bauherren um den Faktor 18. Möglich wurde dies durch eine Strukturänderung der RNA-Kopie. Hatte das Vitamin B1 an die RNA gebunden, verbog sich das ganze Molekül derart, dass wichtige Stellen für die anschließende Proteinsynthese nicht mehr zugänglich waren. Die RNA "versteckte" sie vielmehr. Ähnliche Strukturänderungen entdeckte Breaker vor einigen Jahren auch bei der Synthese vom Vitamin B12.

Breaker sieht dies als Beweis für einen Protein-unabhängigen Regulationsweg. Je mehr dieser Synthesewege sich finden lassen, desto stärker könnte die Proteinwelt ins Wanken geraten, da die RNA-Schalter Überbleibsel einer von RNA-Molekülen dominierten Welt sein könnten. Ganz überraschend kommt die Erkenntnis nicht, hatten RNA-Moleküle im Labor ihre Eigenständigkeit schon mehrfach unter Beweis gestellt. Nun scheint Breaker den lange gesuchten Beweis erbracht zu haben, dass RNA-Moleküle ihre Kapazitäten auch im "richtigen" Leben einsetzen. "Das ist sehr befriedigend", empfindet Jack Szostak von der Harvard University die Ergebnisse seines Kollegen.

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