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News: Selbsteingeleitete Vernichtung

Das Actingerüst ihrer Wirtszelle zu zerstören, ist eine unter Viren beliebte Möglichkeit zur Zellflucht. Adenoviren treiben dies auf die Spitze und nutzen Actin sogar als Co-Faktor, mit dem sie die ganzen Zerstörung einleiten.
Ohne eigene Zellmaschinerie zur Vermehrung stecken Viren ziemlich in der Klemme. Doch auf elegante Weise haben sie das Problem gelöst: Sie lassen ihre Wirtszellen die meiste Arbeit machen. Haben die Viren dann unzählige Kopien angefertigt, stehen sie vor einem neuen Problem. Um die Infektion fortsetzen zu können, müssen sie die potenziellen Keime in Umlauf bringen, sie also aus der Zelle ausschleusen.

Um dies zu erreichen, bringen viele Viren die sie beheimatenen Zellen völlig aus der Fassung. Dazu zerstören sie das haltgebende innere Gerüst, indem sie die länglichen Actinmolekülen mit einem speziellen Protein in kleine Stückchen zerlegen. Wenn Actin und auch noch andere Cytoskelettproteine zerkleinert sind, verliert die Zelle ihre Form und bricht auf. Nun können die neu synthetisierten Viruspartikel schnell die Flucht ergreifen und andere Zellen kapern.

Ein spezielles Virus, das für Infektionen der Atemwege und des Darmtrakts sorgt, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Denn die Adenoviren nutzen Actin selbst als zusätzliche Komponente der Virenflucht, wie Walter Mangel vom Brookhaven National Laboratory entdeckte.

In früheren Arbeiten konnte seine Arbeitsgruppe nachweisen, dass eine Protease – ein proteinschneidendes Protein – an der vollständigen Reifung der neu produzierten Viren maßgeblich beteiligt ist. Denn das Enzym entfernt aus den neuen viralen Proteinen bestimmte Abschnitte, die nach ihrer Fertigstellung nicht mehr gebraucht werden und lässt infektiöse virale Partikel übrig. Diese virale Protease liegt im Cytoplasma als inaktive Form vor und muss in den Zellkern wandern, wo sie zwei Co-Faktoren in die aktive Variante umwandeln.

Als Walter Mangel in einem Seminar der Princeton University von diesen Ergebnissen berichtete, fiel dem dort arbeitenden Chemiker Clarence Schutt die erstaunliche Ähnlichkeit des einen Co-Aktivators mit Actin auf. Daraufhin fragten sich die Wissenschaftler, ob Actin möglicherweise die Protease aktivieren könnte. Und tatsächlich: Mischten sie die Protease des Adenovirus mit Actinmolekülen, steigerte dieser Komplex die Aktivität der schneidenden Protease, genau wie es der virale Co-Faktor getan hätte.

Damit war bewiesen, dass Actin sich sozusagen selbst ein Grab schaufelt und für den Zusammenbruch der zellulären Fassung beiträgt. "Das wirklich Interessante an diesem Fall ist, dass Actin der Co-Faktor für seine eigene Zerstörung ist", beschreibt Mangel das erstaunliche Zusammenspiel.

Als nächsten Schritt wollen Mangel und sein Team den Komplex aus Actin und viraler Protease kristallisieren. Mithilfe von Synchrotronstrahlung – im Teilchenbeschleuniger gewonnene energiereiche Strahlung beliebiger Wellenlänge – soll dann die atomare Struktur der rätselhaften Verbindung ans Licht kommen. "Die Struktur könnte dann dazu genutzt werden, Medikamente zu entwickeln, mit denen die Interaktion zwischen Actin und Protease verhindert werden kann", spekuliert Mangel. Solche Medikamente wären in der Tat ein völlig neuer Typ antiviraler Mittel.

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