Planetenforschung: Seltsame Strömung soll eines der größten Mars-Rätsel lösen

Der Mars sieht aus, als sei er aus zwei Teilen unterschiedlicher Planeten zusammengeschustert worden. Seine Südhalbkugel besteht aus stark verkraterten Hochländern, während eine fünf Kilometer tiefer liegende, flache Ebene die nördliche Hemisphäre einnimmt. Die verbreitetste Erklärung für diesen auffälligen Unterschied ist jene, die früher oder später für jede Merkwürdigkeit im Sonnensystem herangezogen wird: ein gigantischer Einschlag vor Milliarden Jahren. Es gibt jedoch eine weitere Hypothese, bei der Fachleute die Ursache im Inneren des Mars lokalisieren. Demnach nämlich bewegt sich das verformbare Gestein im Inneren des Planeten auf außerordentlich merkwürdige Weise und erzeugt so die Höhen und Tiefen der Oberfläche. Und genau darauf deuten Marsbeben hin, berichten nun zwei Geophysiker in der Fachzeitschrift »Geophysical Research Letters«.
Weijia Sun von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und Hrvoje Tkalčić von der Australian National University in Canberra schließen das aus Daten des Marslanders InSight. Die Unterschiede zwischen Bebenwellen auf Nord- und Südhalbkugel weisen laut ihrer Interpretation darauf hin, dass das Mantelgestein unter der Südhalbkugel aufsteigt, nach Norden strömt und dort wieder zum Marskern hinabsinkt. Dabei hebt und senkt die Strömung des Tiefengesteins jeweils auch die darüberliegende Kruste. Eine solche Ringströmung bezeichnet man als Konvektion. Sie transportiert Hitze aus dem Kern zur Oberfläche. Doch normalerweise würde man – wie auf der Erde – viele kleinere Auf- und Abströmungen erwarten und nicht eine einzelne riesige Konvektionszelle, die den ganzen Planeten umfasst.
Dass das Tiefengestein des Mars sich auf diese seltsame Weise verhält, schließen die Fachleute aus Vergleichen von Bebenwellen der Nord- und der Südhalbkugel. In den Daten des Landers InSight, der in den Jahren 2018 bis 2022 Marsbeben aufzeichnete, identifizierten sie eine bisher nicht bekannte Gruppe von sechs Marsbeben in der Terra-Cimmeria-Region in den südlichen Hochländern. Ein entscheidender Fortschritt, denn zuvor kannte man nur Beben in der nördlichen Tiefebene. Anhand von Beben auf beiden Halbkugeln dagegen kann man die Verhältnisse unterhalb der Marskruste direkt vergleichen. Dazu verwendet man Techniken der seismischen Tomografie, die es erlauben, anhand der gemessenen Wellenform der Erschütterungen Aussagen über die von den Wellen durchquerten Gesteinsschichten zu machen. Abhängig davon, wie heiß und verformbar das Gestein ist und wie scharf die Grenzen zwischen den Schichten sind, werden die seismischen Wellen gebremst, gebeugt und gedämpft.
Auf der Erde erhält man auf diese Weise mit ganzen Netzen von Sensoren detaillierte Einblicke in die Struktur der Erde, tief abgetauchte Erdplatten oder die Magmakammern von Vulkanen. Auf dem Mars hatte man dagegen nur eine Messtation, nämlich den Lander InSight. Entsprechend wenig detailliert sind die Einblicke, die Sun und Tkalčić anhand der Daten gewannen. Es gelang ihnen allerdings, eine wichtige Größe zu messen, nämlich wie stark die Bebenwellen im oberen Mantel des Mars gedämpft werden. Der Mantel erstreckt sich zwischen Kruste und Kern des Mars und ist heiß genug, um plastisch zu fließen. Wie die Daten der beiden Forscher zeigen, ist der Mantel unter der südlichen Hemisphäre rund 200 Grad Celsius heißer als unter der Nordhalbkugel. Das lässt darauf schließen, dass dort heißes Gestein aufsteigt, zur Nordhalbkugel wandert und erst dort wieder absinkt.
Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass die Kruste der Hochländer deutlich dicker ist. Sie wirkt als Deckel, der die Hitze des Mantels festhält. Um abzukühlen und wieder zu sinken, muss der Mantel deswegen unter die dünnere Nordhalbkugel wandern, was das Muster von je einer Auf- und Abströmung stabilisiert. Allerdings bleiben eine ganze Menge Fragen über den Mars weiter ungeklärt, die das Bild der Prozesse im Marsmantel deutlich verändern können. Zum Beispiel ist selbst die dünne Kruste unter der Nordhalbkugel weit dicker als die der Erde; warum das so ist, ist ungeklärt. Außerdem muss auch das immense vulkanische Tharsis-Hochland mit seinen vier Mega-Vulkanen Olympus, Ascraeus, Pavonis und Arsia Mons mit Prozessen im Mantel zusammenhängen, die erheblichen Einfluss auf die Strömungen und Temperaturverhältnisse in der Tiefe haben. Bisher weiß noch niemand wirklich, was die merkwürdigen Landschaften unseres seltsamen Nachbarplaneten wirklich geformt hat.
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