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Strukturchemie: Seltsamer Zucker

Auch wenn Tuberkulose hierzulande viel von ihrem Schrecken verloren hat, sterben noch immer weltweit jährlich rund zwei Millionen Menschen an dieser Infektionskrankheit. In der Zellwand des Tuberkulose-Erreger haben Forscher nun ein Kohlenhydrat mit unerwarteter Struktur entdeckt, das ein neuer Ausgangspunkt für die Pharmaforschung sein könnte.
Die meisten Bakterien schützen sich mit einer kompliziert aufgebauten Zellwand vor der äußeren Umgebung. Der Hautbestandteil der Zellwand von Mykobakterien, wozu auch der Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis zählt, nennt sich Lipoarabinomannan (LAM) – ein Molekül mit einem verzweigten Teil aus vielen Zucker-Bausteinen, das über einen fettartigen Teil in der Zellwand verankert ist. LAM spielt eine wichtige Rolle bei der Infektion, denn es hilft den Mykobakterien beim Eindringen in Makrophagen, dämpft damit die Immunantwort und schützt sich gegen eine Oxidation.

Achim Treumann von der Universität Leeds und seine Kollegen haben nun bei der Untersuchung der Zellwand des Tuberkulose-Erregers eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Einzelne Endguppen auf der Außenseite des Zellwand-Moleküls tragen noch einen weiteren Zucker, eine so genannte Methylthiopentofuranose. Ein solcher Zucker besteht aus fünf Kohlenstoffatomen, wobei eine seiner üblicherweise fünf Sauerstoffatome ist durch Schwefel ersetzt ist, der eine Methylgruppe trägt. Einen derartigen Methylthio-Zucker haben Wissenschaftler bisher noch nie in einem Mehrfachzuckers gefunden. Möglicherweise ist das Schwefelatom für die Oxidationsschutzwirkung von LAM verantwortlich.

Erstaunlich ist dieser Zucker aber noch aus einem weiteren Grund: Er hat eine unerwartete Konfiguration. Wie viele Zucker ist er zu einem fünfgliedrigen Ring aus vier Kohlenstoffatomen und einem Sauerstoffatom geschlossen. Nun gibt es aber acht Möglichkeiten, wie ein solcher Fünfring genau aussehen kann, denn an jedem der vier Ring-Kohlenstoffatome hängt eine weitere Atomgruppe, die ober- oder unterhalb der Ebene des Fünfrings liegen kann.

Treumann und seine Kollegen nahmen die Mühe auf sich, alle acht Varianten zu synthetisieren. Ein eingehender spektrometrischer Vergleich der acht Zucker mit dem aus dem Naturstoff isolierten "Original" erlaubte dem Team dann, die korrekte Struktur zu identifizieren. Dabei handelt es sich um eine als "xylo" bezeichnete Konfiguration. Und das ist ungewöhnlich, denn xylo-konfigurierte Zucker findet man sonst eigentlich fast nur bei Pflanzen, nicht aber bei Bakterien.

"Die Entdeckung des ungewöhnlichen Zuckerbestandteils von LAM könnte helfen, dessen Rolle bei der Infektion mit Mykobakterien weiter zu erforschen," meint Treumann. "Weil dieser Zucker so ungewöhnlich ist, könnten Enzyme, die für seine Biosynthese notwendig sind, einen Angriffspunkt für neue Tuberkulose-Medikamente darstellen."

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