Seuchen: Wo die Seesterne der Körperfresser-Krankheit entgehen

Ab 2013 beobachteten Wissenschaftler ein Massensterben von Seesternen vor der nordamerikanischen Pazifikküste: Millionenfach lösten sich die Tiere in Schleim auf und zerflossen schlichtweg. Begünstigt durch erwärmtes Wasser und in der Folge ausgelöste, verstärkte Sauerstoffarmut scheinen sich bestimmte Bakterien auf den Seesternen zu vermehren, die zu verschleimenden Gewebeschäden bis hin zum Tod führen. Die »Seastar Wasting Disease« (SSWD) genannte Krankheit hat beispielsweise bislang die Zahl der Sonnenblumenseesterne (Pycnopodia helianthoides) um mehr als 90 Prozent reduziert. Doch es gibt ein Refugium, in dem die Tiere noch überleben, wie Alyssa-Lois Madden Gehman vom Hakai Institute und ihr Team entdeckt haben: Die Stachelhäuter überdauern in kühlen Bereichen kanadischer Fjorde.
SSWD profitiert von wärmerem Wasser und hat sich als Folge des Klimawandels entsprechend im Pazifischen Ozean ausgebreitet, wo die Bakterien inzwischen generell bessere Lebensbedingungen vorfinden. Immer wieder kommt es vor der nordamerikanischen Westküste nun zu marinen Hitzewellen, welche die an kaltes Wasser angepassten Organismen stresst und ihre Krankheitsanfälligkeit erhöht. Das zeigt sich ganz deutlich bei Seesternen, deren Bestände vor Kanada seit Jahrzehnten stichprobenartig erhoben werden: eine Datenreihe, die Madden Gehman und Co auswerten konnten.
Allerdings gibt es dabei bedeutende regionale Unterschiede, wie die Arbeitsgruppe bei einem Vergleich feststellen konnte: In Fjorden von British Columbia etwa siedeln die Sonnenblumenseesterne weiterhin sehr dicht, während sie in anderen Küstenbereichen, etwa auf vorgelagerten Inseln, fast vollständig verschwunden sind. Fjorde sind lang gestreckte, schmale Meeresarme, die weit ins Festland und teilweise auch tief ins Wasser hineinreichen. Vielfach münden hier zudem Abflüsse ins Meer, die kaltes Schmelzwasser aus Gletschern heranführen. Gleichzeitig treten dort immer wieder sehr kühle Fallwinde auf, die beispielsweise von arktischen Kaltluftausbrüchen hervorgerufen werden.
All das kühlt das Meerwasser in den Fjorden und verhindert oder verzögert dessen Aufwärmung. Zudem reichern diese Winde das Wasser mit Sauerstoff an: perfekte Bedingungen für das Überleben der Seesterne. Dabei mögen diese Tiere zu kaltes Wasser eigentlich nicht, weshalb sie im Sommer, wenn der Gletscherabfluss am stärksten ist, in die Tiefe wandern. Dort sind die Lebensbedingungen ausgeglichener, was die Seesternbestände am besten gedeihen lässt.
Wie lange diese Refugien den Klimawandel überdauern, ist unklar: Die spezielle Situation der Fjorde könnte die Stachelhäuter im Pazifik zumindest noch eine Weile begünstigen. Weltweit ist SSWD dagegen auf dem Vormarsch: 2022 wurde sie erstmals in der Irischen See nachgewiesen.
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