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Intimtechnik: Wie Sextoys das Liebesleben verändern

Vibratoren, Dildo und Gleitmittel sind auf dem Vormarsch - immer mehr auch bei Paaren. Fachleute sehen einige positive Effekte. Ein paar Dinge gibt es dabei aber zu beachten.
Sextoy

An ihr erstes Sexspielzeug kann Sophie Link sich noch gut erinnern: Es war ein Vibrator in Form eines großen lila Penis. Sie hatte ihn gemeinsam mit ihren Freundinnen in einem Sexshop gekauft – kichernd und ein bisschen rot im Gesicht. »Das erste Ausprobieren war dann leider eine ziemliche Enttäuschung«, berichtet Link. Einen Orgasmus bekam die damals 18-Jährige erst, nachdem sie mit einer Schere bewaffnet den Motor des Vibrators ausbaute und diesen auf die Eichel ihrer Klitoris setzte, also jenes kleinen Knubbels, der sich zwischen den inneren Scheidenlippen befindet. Den Rest des Sextoys führte sie weiter ein. Ihren Freundinnen erzählte sie davon nichts. »Das war mir dann doch zu peinlich«, sagt Link.

Gut 18 Jahre ist das nun her. Heute ist Sophie 36 Jahre alt, arbeitet als Communitym anagerin selbst in der Erotikbranche – und in Sachen Sexspielzeug hat sich einiges getan. Gut die Hälfte (52 Prozent) der heterosexuellen Frauen und Männer zwischen 18 und 69 Jahren nutzen Vibratoren, Dildos und Gleitmittel in der Partnerschaft, rund 72 Prozent der Frauen und 31 Prozent der Männer verwenden sie beim Solosex. Unter Menschen, die homo- oder bisexuell sind, scheinen Sextoys sogar noch stärker verbreitet zu sein. So das Ergebnis einer repräsentativen Untersuchung der Technischen Universität Ilmenau um die Medienpsychologin Nicola Döring aus dem Jahr 2019.

»Nur wer weiß, was ihm oder ihr im Bett gefällt, kann das seinem Partner oder seiner Partnerin auch kommunizieren«
Lisa RustigeSexualforscherin am UKE

Dass der Gebrauch von Sexspielzeugen kein Tabu mehr ist, bewertet Lisa Rustige vom Institut für Sexualforschung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) erst mal positiv: »Paare können mit ihnen ihr Liebesleben bereichern und Singles mehr Abwechslung in den Solosex bringen.« Gerade jungen Frauen böte Selbstbefriedigung – egal, ob mit Sexspielzeug oder ohne – zudem die Möglichkeit, ihren Körper besser kennen zu lernen und ihre sexuellen Vorlieben zu erkunden. »Nur wer weiß, was ihm oder ihr im Bett gefällt, kann das seinem Partner oder seiner Partnerin auch kommunizieren«, so Rustige.

Laurie Mintz, Professorin für Psychologie an der University of Florida und Autorin des Buches »Richtig kommen«, begegnet in ihrer Arbeit zudem vielen Frauen, die ihren ersten Orgasmus mit einem Vibrator erlebten. »Vibrationen, insbesondere an der Klitoris, erzeugen ein einzigartiges Gefühl, das Frauen hilft, leichter und zuverlässiger zum Orgasmus zu gelangen«, so Mintz. Das Erreichen des ersten Orgasmus mit einem Vibrator sei für diese Frauen oft eine sehr wichtige Erfahrung, da viele zuvor andere Methoden – etwa mit den Fingern – ausprobiert hätten und keinen Erfolg gehabt hätten. Einige fragten sich daher, ob sie überhaupt zum Orgasmus fähig seien. »Mit dem Vibrator lernen sie, dass sie zum Höhepunkt kommen können«, sagt die Psychologin. Studien zeigen auch, dass Selbstbefriedigung (mit oder ohne Sexspielzeug) bei Frauen zu einem besseren Körpergefühl beiträgt, das Selbstbewusstsein stärkt und den Spaß am Sex steigert.

Sexspielzeuge in der Therapie

Überhaupt wird der Gebrauch von Sexspielzeugen in Deutschland als überwiegend positiv empfunden, wie die erwähnte Untersuchung der Technischen Universität Ilmenau zeigt. Auf die Frage, wie die 1723 Befragten den Gebrauch von Sexspielzeugen einschätzen, bewerteten die meisten ihn entsprechend. Für Studienautorin Döring ist das nur nachvollziehbar. Denn Sexspielzeuge wurden von der Industrie eigens dafür entwickelt, Lust zu bereiten und das sexuelle Wohlbefinden zu steigern. Die Psychologin sieht in Vibratoren und Co. daher ein enormes Potenzial – nicht nur in Sachen Lustgewinn, sondern auch für die sexuelle Gesundheit.

Richtig konzipiert, könnten Toys beispielsweise Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung oder solchen, die bereits sehr alt sind, das Liebesspiel erleichtern. Sexualforscherin Rustige ergänzt: »Nicht umsonst werden Sexspielzeuge, so genannte Vaginaltrainer, schon lange erfolgreich in der Sexualtherapie eingesetzt.« Etwa bei Frauen, die sich vor Schmerzen bei der Penetration fürchten. »Das Einführen der Vaginaltrainer verbunden mit einer Psychotherapie hilft ihnen, die Ängste zu bearbeiten«, so Rustige.

Die vibrierenden Helferchen haben aber auch Schattenseiten: Manche Frauen fühlen sich laut der Autorin Hannah Frith von der University of Brighton durch Sexspielzeuge unter Druck gesetzt, beim Geschlechtsverkehr einen Orgasmus zu bekommen; eine andere Studie zeigt, dass einige Männer befürchten, ihrer Partnerin nicht zu genügen – sie fühlen sich also in ihrer Männlichkeit bedroht.

Will die Partnerin einen Dildo, weil der Penis zu klein ist?

»Schuld daran sind aber nicht die Sexspielzeuge, sondern die Voraussetzungen, unter denen sie benutzt werden«, erklärt Sexualmediziner Markus Valk. Das heißt: Einen Mann, der generell unter seiner Penisgröße leidet, könne ein Vibrator im Bett durchaus einschüchtern. Das Gleiche gelte für Frauen, die kein positives Verhältnis zu ihrem Körper und zu ihrer Sexualität haben. In seiner Praxis erlebt der Sexualtherapeut zudem immer wieder, dass Partner oder Partnerinnen Sexspielzeuge eigenmächtig bestellen, um das vermeintlich eingeschlafene Liebesleben etwas aufzupeppen – und den anderen dadurch überfordern. Da brauche es dann klare Kommunikation. Menschen, denen das passiert, sollten sich trauen, ihrem Partner oder ihrer Partnerin ihre Bedenken zu äußern.

Dass Frauen sich unter Druck gesetzt fühlen, zum Orgasmus zu kommen, ist kein neues Phänomen. Bereits in den 1920er Jahren befürchteten einige, als Frau nicht zu genügen, wenn der Höhepunkt ausblieb, manche empfanden sich gar als minderwertig. Das zeigt eine Analyse von mehr als 2000 Briefen Rat suchender Frauen der Mittelschicht an die britische Autorin Marie Stopes.

Marketingsprüche wie »Sexspielzeuge mit Orgasmus-Garantie« können diesen Druck bestärken, bestätigt Sexualmediziner Valk. Frauen, denen das so geht, rät er, dieses Unwohlsein in der Partnerschaft anzusprechen und sich darauf zu konzentrieren, was ihnen gefällt. Guten Sex mit der Orgasmusqualität gleichzusetzen, sei unsinnig. »Nur weil jemand beim Geschlechtsverkehr immer einen Orgasmus hat, bedeutet das schließlich nicht, dass beide Partner den Sex als erfüllend und befriedigend erleben«, so Valk. Der Orgasmus sage nichts über die Stärke der Bindung zweier Menschen aus.

Junge Frauen sollen den eigenen Körper erkunden

Jungen Frauen rät Sexualforscherin Rustige dazu, ihren Körper erst mal ohne Sexspielzeug zu erkunden. »Sich selbst anzufassen, Venuslippen, Klitoris und Scheideninneres zu berühren, hilft, einen positiven Bezug zu seinem Körper aufzubauen«, sagt sie. Den eigenen Körper zu akzeptieren (wenn möglich wertzuschätzen), sei die Grundvoraussetzung, um seine sexuellen Bedürfnisse und Vorlieben zu erkunden. Dildo und Vibrator könnten dann Abwechslung in die Selbstbefriedigung bringen und den Horizont erweitern.

Worüber wenig gesprochen wird, ist das Risiko der Übertragung von Krankheiten: »Wenn Toys nicht richtig gereinigt werden, können sich Keime darauf ungehindert vermehren«, erklärt Gynäkologin Doris Scharrel. Wer Vibrator und Co. nutzt, solle sie daher vor und nach dem Liebesspiel gründlich mit Wasser und Seife reinigen und gegebenenfalls desinfizieren. »Da Desinfektionsmittel die empfindliche Haut im Genitalbereich angreifen können, ist es ratsam, mit Wasser nachzuspülen«, betont Scharrel. Die sicherste Methode, sich vor Krankheitskeimen zu schützen, sei wie beim konventionellen Geschlechtsverkehr: das gute alte Kondom.

Nutzerinnen und Nutzer scheinen das allerdings oft nicht zu wissen. In einer Untersuchung einer Gruppe um die Psychologin Jessica Wood von der University of Guelph gab ein Drittel der 1435 befragten Männer und Frauen an, ihr Sexspielzeug nur unregelmäßig zu reinigen. Von denen, die ihr Toy mit anderen teilten, benutzen gerade einmal zwölf Prozent ein Kondom. Die Konsequenz: Diejenigen, die es teilten, hatten in den sechs Monaten davor öfter eine Pilzinfektion als diejenigen, die ihr Toy allein verwendeten.

Sexspielzeug kann HPV übertragen

Humane Papillomviren (HPV), die bei Frauen zu Gebärmutterhalskrebs führen können, lassen sich durch Sexspielzeuge ebenfalls übertragen, wie eine Studie der University of Indiana zeigt. Jessica Wood und ihre Kollegen raten daher, den richtigen Gebrauch von Sexspielzeugen in die sexuelle Aufklärung miteinzubeziehen. Die Ergebnisse der kanadischen Untersuchung lassen sich zwar nicht einfach auf Deutschland übertragen; die Empfehlung, mit Jugendlichen im Sexualkundeunterricht über die Reinigung von Toys zu reden, befürwortet Scharrel dennoch. Sprechen sollte man allerdings nicht nur über die Risiken, sondern auch über die Chancen: »Menschen mit einer sexuell übertragbaren Krankheit, die ihren Sexualpartner nicht anstecken wollen, können alternativ Sexspielzeug nutzen«, so die Frauenärztin.

Die 36-jährige Link gehört zu denen, die ihr Sextoy regelmäßig reinigen und dem Vibrator beim One-Night-Stand ein Kondom überstreifen. »Sicher ist sicher«, sagt sie. In Sachen Hygiene hat sie also keine Probleme. Was ihr jedoch aufgefallen ist: Über die Jahre hat sie sich sehr auf die Stimulation ihres Vibrators eingestellt. Ihren Orgasmus bekommt sie quasi auf Knopfdruck. »Wenn ich wenig Zeit habe, ist das super«, sagt sie – beim Sex mit einem Partner oder einer Partnerin hat sie allerdings gemerkt, dass sie um einiges länger braucht, bis sie zum Höhepunkt kommt. Was sie zu der Frage führte: Habe ich mich zu sehr an den Vibrator gewöhnt?

»Frauen, die ihren Vibrator regelmäßig benutzen, können sich daran gewöhnen, auf diese Weise zum Höhepunkt zu kommen«, bestätigt Psychologin Mintz. Dies sei aber nicht spezifisch für Vibratoren, sondern betreffe Sex im Allgemeinen. Das heißt: Menschen, die beispielsweise immer eine bestimmte Fingerbewegung verwenden, können es schwieriger finden, auf andere Weise zum Höhepunkt zu gelangen.

Sexspielzeuge machen nicht süchtig

Psychologin Mintz sieht darin kein Problem: »Wenn jemand immer so zum Orgasmus kommt, warum nicht dabei bleiben?« Menschen, die das ändern möchten, rät Mintz, sich einfach mal auf andere Weise zu befriedigen. Bei vielen werde sich der Körper auf andere Arten der Stimulation umstellen. Die Frage, ob man nach seinem Sexspielzeug süchtig werden kann, beantwortet Sexualwissenschaftlerin Mintz mit einem klaren Nein. Vibratoren seien Hilfsmittel, um schneller und zuverlässiger zum Orgasmus zu gelangen – und nach einem Werkzeug werde man nicht süchtig.

»Wer nur noch Hilfsmittel benutzt und sich zu sehr auf den Orgasmus fixiert, kann den Bezug zu seinem Körper und seiner Sinnlichkeit verlieren«, warnt Sexualwissenschaftlerin Rustige. Auch sie rät daher zur Variation. Etwa, indem man bewusst »langsam macht« und den ganzen Körper durch Streicheln in die Sexualität mit einbezieht.

Das hat sich auch Link vorgenommen. Sie will sich zukünftig mehr Zeit für ihre Selbstbefriedigung nehmen. Vielleicht mal eine Kerze aufstellen und wieder öfter die Hände benutzen. Verzichten will sie auf ihren Vibrator nicht. Denn letztendlich bereitet er ihr vor allem eins: Lust.

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