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Hirnforschung: Sexualverhalten hängt von speziellen Nervenzellen ab

Weibliche Säugetiere akzeptieren Paarungsversuche oft nur während der fruchtbaren Phase ihres Fortpflanzungszyklus. Bei Mäusen wird das von einer ganz spezifischen Hirnregion kontrolliert.
Weiße Maus in einem Labor
Ob Mäuseweibchen paarungswillige Männchen zurückweisen oder nicht, darüber entscheidet offenbar eine ganz bestimmte Nervenzellgruppe in der Hirnregion des Hypothalamus.

Bei vielen Säugetieren gehen die Weibchen nur während ihrer fruchtbaren Phase auf Paarungsversuche ein. Außerhalb dieses Zeitraums weisen sie Männchen zurück. Bei Mäusen wird das von einem relativ eng umrissenen Hirnbereich gesteuert, wie eine Forschungsgruppe um Susana Lima von der Champalimaud Foundation herausgefunden hat.

»Sexuelle Zurückweisung ist ein aktives Verhalten«, erläutert Lima in einer Pressemitteilung. »Die Weibchen zeigen Verteidigungshandlungen, etwa indem sie weglaufen oder Männchen treten beziehungsweise wegstoßen.« Wie die Studie ergeben hat, geht dieses Verhalten vom Hypothalamus aus, einer evolutionär alten Region des Zwischenhirns. Der Hypothalamus reguliert das Hormonsystem und die vegetativen Nervenfunktionen; er beeinflusst maßgeblich das Sozial- und Sexualverhalten zahlreicher Spezies einschließlich des Menschen.

Lima und ihr Team untersuchten eine Zellgruppe, die innerhalb des Hypothalamus bauchseitig mittig sitzt. Diese so genannten VMH-Neurone reagieren auf das Hormon Progesteron, dessen Ausschüttung während des Fortpflanzungszyklus schwankt. Ihre Aktivität lässt sich mit fotometrischen Verfahren überwachen, die Kalziumionen in den Zellen erfassen. Damit beobachteten die Fachleute die VMH-Zellen von Weibchen, während diese mit Männchen interagierten. Es zeigte sich: Bei nicht empfänglichen Weibchen war eine Untergruppe der VMH-Zellen hochaktiv, was mit Verteidigungsverhalten wie Treten und Stoßen einherging. Bei empfänglichen Tieren hingegen erwiesen sich die Zellen als weitgehend stumm.

Manipuliertes Sexualverhalten

Elektrophysiologische Messungen an Hirngewebeschnitten ergaben, dass die VMH-Zellen bei nicht empfänglichen Weibchen mehr erregende Signale von vorgeschalteten Neuronen empfangen, weshalb sie verstärkt aktiv werden. Bei empfänglichen Nagern hingegen erhalten sie vermehrt hemmende Signale. Das ließ sich im Tierversuch sogar künstlich auslösen: Mittels optogenetischer Verfahren aktivierte das Forschungsteam die VMH-Zellen mit Licht. Geschah das während einer fruchtbaren Phase (wenn die Zellen normalerweise eher stumm sind), begannen die Mäuseweibchen, sich zurückweisend zu verhalten. »Es ist, als würde man einen Schalter umlegen – obwohl die Weibchen fruchtbar waren, verhielten sie sich so, als ob sie es nicht wären«, sagt Basma Husain, die an der Studie mitwirkte.

Umgekehrt führte das Stummschalten der VMH-Zellen mit einem chemischen Wirkstoff dazu, dass nicht empfängliche Weibchen sich weniger ablehnend zeigten. Sie wurden dadurch aber nicht fruchtbar – was auf zwei verschiedene Gruppen von Hirnzellen hindeutet, von denen eine das Verhalten und die andere die Fruchtbarkeit reguliert.

»Auf diese Weise hat das Gehirn gewissermaßen zwei Regelknöpfe«, erklärt Lima. »Das ist ein effizienter Weg, das Verhalten des Tiers auszubalancieren, um sicherzustellen, dass die Paarung dann stattfindet, wenn eine Empfängnis am wahrscheinlichsten ist. Gleichzeitig wird es dadurch möglich, die Risiken und Kosten einer Paarung, zu denen die Gefährdung durch Raubtiere oder Krankheiten zählt, zu minimieren.«

  • Quellen

Neuron 10.1016/j.neuron.2024.10.026, 2024

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