Shell Jugendstudie: Generation Z wie Zuversicht
Die junge Generation hat ihren Ruf weg. Sie gilt als sensibel, mit dem Smartphone verwachsen und bequem. Ihr Arbeitsleben soll flexibel und sinnstiftend sein, am besten mit minimalem Einsatz. Zudem ist die Generation Z als »Generation Krise« bekannt. Von der Zuspitzung der Klimakrise über die Coronapandemie bis hin zu den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten hat sie eine Serie von Katastrophen erlebt, die kaum Zeit zum Luftholen ließ. Das Bild, das junge Menschen heute zeichnen, ist oft entsprechend düster. Doch stimmen diese Klischees?
Seit 1953 dokumentieren die Shell Jugendstudien, wie es um die jungen Deutschen steht. Etwa alle vier Jahre gibt der gleichnamige Mineralölkonzern sie heraus, so dass Sozialwissenschaftler auch Langzeitvergleiche anstellen können. Nun erschien die 19. Ausgabe – eine umfangreiche Analyse der Werte, Einstellungen und Gewohnheiten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland 2024. Dazu hat ein Team um den Politikwissenschaftler Mathias Albert von der Universität Bielefeld gut 2500 Menschen zwischen 12 und 25 Jahren systematisch befragt, eine Stichprobe, die repräsentativ für die junge Generation im Land ist.
Junge Männer sind offener rechts
Ein zentrales Thema der Studie ist die politische Einstellung. Sowohl bei der Europawahl als auch bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg machten auffällig viele junge Deutsche ihr Kreuz bei der rechtspopulistischen AfD. Was ist der Hintergrund? Geht da am Ende ein Rechtsruck durch die deutsche Jugend?
Im Vergleich zur letzten Shell Jugendstudie 2019 ordnen sich tatsächlich mehr Jugendliche dem politisch rechten Spektrum zu – allerdings gilt das nur für die männlichen Befragten. War es 2019 noch weniger als jeder Fünfte, bezeichnet sich jetzt jeder Vierte der Jungen und jungen Männer aus der Stichprobe als »rechts« oder »eher rechts«. Von einem radikalen Rechtsruck einer ganzen Generation kann laut den Autoren der Shell Jugendstudie aber keine Rede sein, denn junge Menschen stufen sich, wie in den vergangenen Erhebungen auch, im Schnitt sogar als leicht links ein. Neben dem rechten Lager hat auch das linke leicht zugelegt – und zwar unabhängig vom Geschlecht. Auffallend ausgedünnt ist allerdings die Gruppe der Unentschlossenen und derer, die die sich nicht für Politik interessieren.
Die neue Shell Jugendstudie zeigt ebenfalls: Junge Leute sind durchaus anfällig für Populismus – so bereits das Ergebnis der letzten Untersuchung 2019. Diesmal stimmte zum Beispiel jede fünfte befragte Person dem rechtspopulistischen Argument zu, Deutschland sei ohne Europa besser dran. Studienleiter Mathias Albert sagt: »Wir sehen in bestimmten Gruppen der jungen Generation einen Hang zum Populismus, der sich dann auch an den politischen Rändern mehr und mehr verfestigt«. Was sich vor allem geändert habe: »Jugendliche, die sich als politisch rechts einordnen, tragen das stärker nach außen und gehen zur Wahl.« Sie seien eher männlich, stammten öfter aus Ostdeutschland und hätten im Schnitt eine geringere Schulbildung.
Obwohl die AfD auf Plattformen wie TikTok mit einfachen Lösungen und starken Worten bei jungen Menschen auf Stimmenfang geht, lastet Mathias Albert die Verfestigung des rechten Spektrums nicht den sozialen Medien an: »Die Nutzung sozialer Medien verursacht nicht die Hinwendung einer bestimmten Gruppe von Jugendlichen nach rechts. Sie verstärkt diese Tendenz eher.« Man dürfe die Medienkompetenz der Jugendlichen nicht unterschätzen. Denn auch das belegt die Shell Studie: Keineswegs beschaffen sich Jugendliche politische Infos nur über Tiktok, Youtube oder Facebook. Eine Mehrheit hält Informationen aus den klassischen Medien wie ARD- oder ZDF-Fernsehnachrichten und überregionalen Zeitungen für am vertrauenswürdigsten.
»Das Vertrauen in die Demokratie ist auf einem Höchststand«Mathias Albert, Leiter der Shell Jugendstudie 2024
Zwar sind viele Jugendliche den Ergebnissen der neuen Shell Jugendstudie zufolge unzufrieden damit, wie die Dinge in Deutschland laufen. Doch diese Unzufriedenheit führt nicht zu einer grundsätzlichen Kritik am System. Auch wenn junge Menschen den einzelnen politischen Parteien nicht viel zutrauen, zweifeln sie staatliche und überstaatliche Institutionen größtenteils nicht an. »Das Vertrauen in die Demokratie ist sogar auf einem Höchststand«, sagt Mathias Albert, der Studienleiter. »Jugendliche wissen mehrheitlich zu schätzen, in einem Land mit funktionierenden Institutionen zu leben.«
Das Interesse am Weltgeschehen ist groß. Und das ist die vielleicht spannendste Erkenntnis der Studie: Die Jugend zieht sich angesichts der vielen Krisen nicht ins Private zurück. Ihr politisches Bewusstsein ist seit 2019 stark gestiegen. Aktuell stuft sich die Mehrheit der Befragten als politisch interessiert ein. In den 1990er und 2000er Jahren waren die entsprechenden Werte deutlich niedriger. Auch die Bereitschaft zum politischen und sozialen Engagement ist deutlich gewachsen – von 22 Prozent im Jahr 2002 auf 37 Prozent 2024. 40 Prozent geben nun an, oft für die Gesellschaft oder für andere Menschen aktiv zu sein. Sie engagieren sich nach eigenen Angaben etwa für sozial Benachteiligte oder Seniorinnen und Senioren. Selbst in diesen bedrückenden Zeiten haben sich die Jugendlichen den Glauben an Gestaltungsmöglichkeiten bewahrt. Wenn man sich engagiert, kann man die Verhältnisse beeinflussen, davon ist die Mehrheit überzeugt.
Armut oder Klima: Unterschiedliche Sorgen je nach Milieu
Auch was die Generation Z beunruhigt, haben Albrecht und sein Team gefragt. Die größte Angst macht der Krieg in Europa, gefolgt von der Sorge um die wirtschaftliche Lage. Am dritthäufigsten fürchten sich die Jugendlichen vor einer wachsenden Feindseligkeit innerhalb der Gesellschaft. Danach kommen Umweltverschmutzung und Klimawandel.
Zwar ist es um »Fridays for Future« still geworden, doch der Klimaschutz ist den jungen Menschen in Deutschland weiterhin ein wichtiges Anliegen. 80 Prozent von ihnen sind davon überzeugt, dass vor allem der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist. Viele sind auch bereit, im Kampf dagegen eigene Opfer zu bringen – doch längst nicht alle. Der Aussage »Zu Gunsten von Klima und Umwelt sollten wir alle bereit sein, unseren derzeitigen Lebensstandard einzuschränken« stimmen 57 Prozent zu, 22 Prozent sind unsicher und 19 Prozent widersprechen.
Ein bewusster und nachhaltiger Umgang mit Ressourcen liegt einem Großteil der jungen Generation am Herzen: Mehr als zwei Drittel sprechen sich dafür aus, Dinge möglichst lange zu benutzen, statt sie zu ersetzen. Zwei Drittel versuchen bewusst, Strom zu sparen. Sechs von zehn der über 18-Jährigen benutzen nach eigener Auskunft statt eines Autos möglichst oft das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel. Gleichzeitig werden für viele junge Menschen materielle Werte wichtiger. Drei von vier Befragten streben einen hohen Lebensstandard an – entgegen dem Klischee sind zwei Drittel bereit, viel zu arbeiten, wenn sie dadurch mehr Geld verdienen können.
Generell kann man die Sicht der Jugend auf die Welt nicht auf eine einfache Formel bringen. Vor allem der Bildungsgrad bestimmt, was den Einzelnen umtreibt. Die Angst vor Zuwanderung beschäftigt zum Beispiel eher junge Menschen mit Hauptschulabschluss als jene, die Abitur haben oder anstreben. Eine wachsende Feindschaft zwischen den Menschen beunruhigt immerhin rund die Hälfte der Haupt- und Realschüler oder jene mit entsprechendem Abschluss; unter den Gymnasiasten und jenen mit Abitur sind es mit etwa 70 Prozent deutlich mehr. Weniger gut situierte junge Menschen machen sich im Schnitt geringere Sorgen um den Klimawandel als um einen finanziellen Abstieg.
Eines ist die Generation Z hingegen ganz sicher: krisenerprobt. Während der Pandemie musste sie massiv einstecken. Schule und Uni fanden überwiegend digital statt, echte menschliche Begegnungen gab es vor allem in den Lockdown-Wochen nur noch selten. Dabei ist in dieser Lebensphase Kontakt zu Gleichaltrigen besonders wichtig. Die erste Shell Jugendstudie seit diesem globalen Einschnitt zeigt daher wenig überraschend: Die Pandemie hatte Folgen – die immer noch durchschlagen. So hat etwa die Einsamkeit zugenommen, vor allem unter den Mädchen und jungen Frauen. Die negativen Erinnerungen an die Coronazeit überwiegen, doch mehr als die Hälfte der Jugendlichen gab an, heute keine Folgen der Pandemie mehr zu spüren. »Sie hat Spuren bei einem signifikanten Teil der jungen Menschen hinterlassen und es gibt Nachwirkungen«, sagt Albert. »Aber es ist erstaunlich, wie schnell die Mehrheit der Jugendlichen die Coronapandemie hinter sich gelassen hat.« Auch wenn sie zum Beispiel von den Bildungsinstitutionen enttäuscht wurden, hätten sie erlebt, wie wir als Gesellschaft die schwere Krise bewältigt haben. »Das ist ein Lerneffekt, aus dem sich möglicherweise der gesellschaftliche Optimismus der Jugendlichen speisen mag.«
Insgesamt blicken die jungen Deutschen optimistisch nach vorne – was manchen erstaunen dürfte. Obwohl ihre Welt in den fünf Jahren seit der letzten Erhebung von mehreren teils brutalen Krisen erschüttert wurde, sind sogar etwas mehr Befragte als 2019 zuversichtlich, was die Zukunft der Gesellschaft angeht. Trotz vieler Sorgen und Ängste ist die Mehrheit der jungen Generation davon überzeugt, dass ein lebenswertes Morgen machbar und gestaltbar ist. Ein möglicher Grund für Optimismus in diesen Zeiten: Zumindest der Arbeitsmarkt entwickelt sich für junge Menschen aktuell positiv. Dabei kommt die große Nachfrage nach Auszubildenden vor allem Jugendlichen aus weniger privilegierten Familien zugute. Seit der Jahrtausendwende waren sich noch nie so viele Heranwachsende sicher, dass sie nach der Ausbildung von ihrem Betrieb übernommen werden oder nach dem Studium rasch Arbeit finden. Die Angst vor Arbeitslosigkeit ist entsprechend auf ein Rekordtief gesunken.
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