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Photonik: Sichtbar falsches Licht

Ob als Baustoff für Tarnkappen oder superhochauflösende Mikroskope - Materialien mit negativem Brechungsindex beflügeln die Fantasie. Inzwischen gelingt es Forschern aber auch, mit verschiedenen Methoden negative Brechung sichtbaren Lichts im Labor Wirklichkeit werden zu lassen.
Linkshändige Flüssigkeit
Menschen, die im Wasser stehen, wirken gedrungener. Das liegt daran, dass das Licht beim Übergang von Wasser zur Luft ein wenig abgelenkt wird. Aber wie sähe es aus, wenn man diese Ablenkung drastisch ändern könnte? Könnten durchsichtige Stoffe mit radikal anderen Eigenschaften Objekte unsichtbar machen? Bereits in einem Optiklehrbuch von 1904 spielte Arthur Schneider mit der Überlegung, dass ein Material mit sehr exotischen Eigenschaften Licht anders brechen würde. 1968 erarbeitete Victor Veselago zu dieser Idee das theoretische Konzept, das Forscher jetzt praktisch umzusetzen versuchen: Sie wollen ein Material konstruieren, das Licht "falsch" bricht und unsere Seherfahrungen damit auf den Kopf stellt. Zunächst glückte dies jedoch nur außerhalb des sichtbaren Spektrums.

Stab in negativ brechender Flüssigkeit | Hier stimmt was nicht: Der Stab knickt nicht sanft ab, wie wir das bei Flüssigkeiten gewohnt sind, sondern erscheint widernatürlich verformt. So sähen wir einen Gegenstand, der in ein negativ brechendes Medium eingetaucht würde. Soweit ist die Wissenschaft jedoch noch nicht: Dies ist nur ein computergenerierter Vorgeschmack.
Durch die geschickte Kombination zweier physikalisch maßgeschneiderter Kristalle war es 2003 Yong Zhang und seinen Kollegen vom National Renewable Energy Laboratory erstmals gelungen, die "falsche" Brechung im sichtbaren Licht zu zeigen [1]. Tückisch an solchen Kristallen ist allerdings, dass ihr Verhalten extrem von Winkel und Wellenlänge des einfallenden Lichts abhängt und nicht nach Belieben zu variieren ist. Daher suchen Forscher nach anderen Wegen, "negativ brechende" Stoffe zu fabrizieren.

Von negativer Brechung spricht man bei dieser künstlichen Form der Lichtablenkung deshalb, weil der Winkel zwischen einfallendem Licht und einem senkrecht auf der Oberfläche gedachten Lot beim Abknicken nicht nur wie üblich kleiner, sondern negativ wird: Das Licht verhält sich, als würde es vom Lot zurückprallen. Dadurch wird der Brechungsindex – ein Maß dieses Brechungswinkels, der von den elektrischen und magnetischen Eigenschaften des Materials abhängt – ebenfalls negativ.

Winkelabhängige Brechung an Photonischen Kristallen | Dass der Brechungsindex von der Wellenlänge abhängen kann, sehen wir am Regenbogen hinter einem Prisma. Bei photonischen Kristallen spielt jedoch auch der Einstrahlwinkel eine erhebliche Rolle. Das untere Bild zeigt normale Brechung an der Übergangsfläche der beiden Kristalle. Im oberen Bild bricht der Kristall jedoch bei nur leicht verändertem Winkel plötzlich negativ.
Auf zwei Wegen sind Wissenschaftler jetzt in den sichtbaren Bereich vorgedrungen. Auf der einen Seite steht die "echte" negative Brechung, wie Gunnar Dolling von der Universität Karlsruhe sie nennt [2]. Sie nutzt winzige Bauteile – kleiner als die Wellenlänge des verwendeten Lichts – die zu einem so genannten Metamaterial zusammengesetzt werden. Kleinste Schwingkreise regeln die magnetische Leitfähigkeit des Materials, ein feines Drahtgeflecht seine Durchlässigkeit für elektrische Felder. Solange die Komponenten deutlich kleiner sind als die Lichtwellenlänge, wirken sie auf das Licht nicht als einzelne Bestandteile, sondern als verschwommenes Ganzes. "Das Licht sieht diese Bauteile nicht, es spürt nur ihre Wirkung", so Dolling.

Bei entsprechend großer Wellenlänge ist es kein Problem, die technischen Segmente klein genug zu halten und damit die elektrischen und magnetischen Eigenschaften eines Metamaterials so einzustellen, dass ein negativer Brechungsindex entsteht: Mikrowellen erlauben Bauteile im Millimeterbreich. Sichtbares Licht ist jedoch erheblich kurzwelliger. Indem die Forscher die Bauelemente bis in den Nanobereich miniaturisierten, erreichten sie nun schließlich das langwelligere, rote Ende des sichtbaren Spektrums.

Das Verfahren bringt allerdings einige unumgängliche Schwierigkeiten mit sich. Zum einen basiert die magnetische Steuerung durch Schwingkreise auf Resonanz, was zwangsläufig zur teilweisen Absorbtion des Lichts führt: Die Welle gibt einen Teil ab und regt damit die Schwingkreise an. Zum anderen schränkt die Geometrie der Bauteile den negativ gebrochenen Winkel- und Wellenlängenbereich für sichtbares Licht stark ein.

Plasmonen-Brechung | Eine schematische Darstellung des Versuchs von Henri Lezec und seinen Kollegen: Von unten wird über eine Vertiefung grünes Licht in den Wellenleiter eingekoppelt. Als Mischzustand aus Licht und Elektronenwelle trifft das Signal dann auf ein "Wellenleiter-Prisma", wo es negativ gebrochen wird, um den Wellenleiter schließlich als grünes Licht wieder zu verlassen.
Diesen Problemen gehen Henri Lezec und sein Team am California Institute of Technology ein Stück weit aus dem Weg, indem sie die Negativbrechung ins Reich der Plasmonik verschieben, wo sie leichter zu handhaben ist [3]. Plasmonen sind Dichteschwankungen von Ladungsträgern, die sich als Wellen im Material fortpflanzen. Sie lassen sich in Wellenleitern durch die Schichtdicke ausgewählter Metalle und Isolatoren sehr präzise steuern. Im Experiment erregten die Forscher mit blau-grünem Licht Plasmonen in einem Sandwich aus Wellenleitern. Am anderen Ende des Wellenleiters strahlten die Elektronenschwingungen das Licht wieder ab und zwar in einem Winkel, der negativer Lichtbrechung entspricht.

Der Umweg über Elektronen birgt eine ganze Reihe von Vorteilen: Wellenleiter sind sehr viel einfacher herzustellen und maßzuschneidern als immer weiter zu verkleinernde Metamaterialien und funktionieren weitgehend unabhängig vom Winkel des eingestrahlten Lichts. Weil die Technik nicht auf Resonanz beruht, lassen sich zusätzlich Strahlungsverluste stärker einschränken. Auch der negativ gebrochene Wellenlängenbereich kann durch höhere dielektrische Leitfähigkeit des Wellenleiterkerns deutlich erweitert werden.

Die Anwendungen, die am fernen Horizont auftauchen, sind sehr attraktiv. Bisher stieß die Lichtmikroskopie an eine Grenze: So wie das Licht die Bauteile eines Metamaterials "nicht sieht", die seine Wellenlänge deutlich unterschreiten, kann auch die lichtbasierte Mikroskopie keine Details ausmachen, die unter dieser Wellenlängengrenze liegen. Zwar gibt es schon jetzt Methoden, dieses Limit geringfügig zu drücken, aber die Annäherung an einen negativen Brechungsindex von exakt minus eins würde die Auflösung eines Lichtmikroskops im theoretischen Grenzwert unendlich erhöhen: Das perfekte Mikroskop.

Auch Tarnkappen werden gerne als futuristische Anwendung negativ brechender Materialien genannt. Allerdings ist dazu streng genommen keine Negativbrechung, sondern nur die gekonnte Manipulation der magnetischen Lichtkomponente notwendig, die durch die Forschung an Metamaterialien vorangetrieben wird. Für große Wellenlängen gelingt es sogar schon, einen einfachen Körper "unsichtbar" zu machen, indem man die Mikrowellen geschickt um ihn herumführt.

Aber bis diese Technologien marktreif werden, dürfen wir uns freuen, dass Wissenschaftler von Zeit zu Zeit neue Licht-Phänomene vermelden, die der Intuition zuwider laufen: Licht, das nicht reflektiert wird oder scheinbar rückwärts läuft; ein Dopplereffekt, bei dem (auf Schall übertragen) eine sich entfernende Schallquelle höher klingt als eine herannahende oder Teilchen, denen ihr Tscherenkow-"Überschall"-Kegel vorausläuft statt zu folgen.

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