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Neurobiologie: Sichtbar gemachte Verdrahtung

Ein Lichtmikroskop reicht nicht mehr aus, um auf der Spur der Gedanken die feinsten Fortsätze von Nervenzellen zu verfolgen, schon gar nicht in verschiedenen Ebenen. Aber mit Scheibchentaktik erlaubt es nun ein neu entwickeltes Gerät, automatisch dreidimensionale Bilder von biologischen Geweben zu erstellen.
Nervenzelle
Wer den Informationsfluss beim Denken verfolgen will, der muss auch die feinsten Ausläufer von Nervenzellen beobachten können, die selbst weit voneinander entfernte Zellen miteinander verbinden. Diese "Drähte" des Gehirns sind allerdings oft weniger als hundert Nanometer im Durchmesser dünn, was deutlich unter der optischen Auflösungsgrenze von Lichtmikroskopen liegt. Und: Sie sind fast überall im Gehirn so dicht gepackt, dass die einzelnen Fortsätze im Gewirr untergehen.

Nun haben Winfried Denk und Heinz Horstmann vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung aber eine neue Methode entwickelt, mit der sich die nötige Auflösung erzielen lässt: Sie kombinierten ein Elektronenmikroskop mit einem in der Probenkammer montierten Mikrotom, einem Apparat, der sehr dünne Gewebeschnitte herstellt. Das Mikrotom schneidet etwa 50 Nanometer dünne Scheibchen von einem Plastikblock ab, in dem das zu untersuchende Gehirngewebe eingebettet ist. Nach jedem Schnitt macht das Elektronenmikroskop ein Bild der Schnittfläche. Dieser Vorgang kann beliebig oft wiederholt und auch automatisiert werden. Auf diese Weise entsteht ein digitaler Bilderstapel und damit ein dreidimensionales Abbild der Gewebeprobe. In diesem kann man selbst dünnste Nervenfortsätze erkennen und in drei Dimensionen verfolgen.

Diese Methode, von den Autoren "Serielle Rasterelektronenmikroskopie der Blockoberfläche" (serial block-face scanning electron microscopy, SBFSEM) genannt, unterscheidet sich von bisher zur Beobachtung von biologische Proben verwendeten Verfahren zum einen dadurch, dass man zur Abbildung nicht Elektronen nutzt, die den dünnen Gewebeschitt durchdringen wie bei der Transmissionselektronenmikroskopie, sondern jene, die von der Oberfläche des Gewebeblocks zurückgeworfen werden. Hinzu kommt als zweiter wesentlicher Unterschied das in die Vakuumkammer des Elektronenmikroskops montierte Mikrotom.

Rekonstruktion von "Nervendrähten" | Rekonstruktion von "Nervendrähten" unter Verwendung eines dreidimensionalen Bilderstapels, der mit der SBFSEM-Technik gewonnen wurde: Gezeigt sind auch Original-Bildausschnitte, auf denen die zwischen den Drähten gefundenen synaptischen Verbindungen zu sehen sind. Blau gezeichnet ist ein Hauptdendrit, ein baumartig verzweigtes System von Nervenzellfortsätzen, das Eingangssignale von den Synapsen einsammelt, grün ein dendritischer Seitenast. Bei den anderen Fortsätzen handelt es sich um Axone, Nervenzellfortsätze, die eine elektrische Erregung, oft über erhebliche Distanzen, weiterleiten und dann via Synapsen auf die Dendriten anderer Zellen übertragen.
Da konventionelle Mikrotome aus verschiedenen Gründen dafür nicht geeignet sind, haben die Autoren ein spezielles Mikrotom entwickelt, in dem sich insbesondere die Probe während des Schneidevorgangs nicht bewegt. Dies ist deshalb wichtig, da einer der Hauptvorteile der SBFSEM-Methode darin besteht, dass die Aufnahmen im Bilderstapel sehr gut überlappen, was das Verfolgen von neuronalen Fortsätzen erheblich erleichtert. Hingegen sind Ungenauigkeiten bei der Überlappung und Verzerrungen die Hauptprobleme bei der konventionellen Serienschnitt-Elektronenmikroskopie und müssen dort manuell korrigiert werden. Das macht die Aufnahme von großen Gewebebereichen praktisch unmöglich, während die Max-Planck-Forscher ohne weiteres Bilderstapel mit 2000 Bildern mit SBFSEM aufnehmen können.

Die Wissenschaftler erwarten, dass neue Färbetechniken und automatische Bilderkennungsmethoden es in Zukunft ermöglichen werden, Nervenfortsätze in SBFSEM-Bilderstapeln in großem Stil zu verfolgen. Während Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung speziell an der Entschlüsselung neuronaler Schaltkreise interessiert sind, dürfte die neue Technik zur Herstellung dreidimensionaler Gewebeaufnahmen auch in anderen Bereichen der Biologie sowie in der diagnostischen Medizin auf erhebliches Interesse stoßen.

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