Berechenbar genial: Wenn der Geistesblitz gleich einschlägt

Aha-Momente kommen nicht völlig aus dem Nichts. Vielmehr lassen sie sich durch feine Veränderungen im Verhalten vorhersagen: In den Minuten, bevor der Groschen fällt, werden die Gesten und Schreibbewegungen von Menschen, die über einem Problem brüten, weniger kalkulierbar. Das zeigt die Studie einer Gruppe um die Kognitionswissenschaftlerin Shadab Tabatabaeian von der University of California in Merced, die Mitte August 2025 im Fachblatt »PNAS« erschienen ist.
Für seine Untersuchung filmte das Team sechs promovierte Mathematikerinnen und Mathematiker, die in ihren Büros oder Seminarräumen Aufgaben aus dem traditionsreichen Putnam-Wettbewerb bearbeiteten. Insgesamt nahmen die Forschenden 14 Sitzungen auf, in denen die Untersuchten an schwierigen Beweisen tüftelten. Dabei protokollierten sie über 4600 einzelne Momente, in denen die Aufmerksamkeit sichtbar wechselte – zum Beispiel, wenn jemand den Blick von einer Formel zu einer Zeichnung lenkte oder mit der Hand von einem Teil der Tafel zum anderen zeigte. Entscheidend war dabei der Moment, an dem die Teilnehmenden spontan ein »Ah!« oder »Jetzt sehe ich es!« äußerten. Solche plötzlichen Einsichten traten in fast allen Sitzungen auf, insgesamt 27-mal.
Die Forschenden analysierten, wie vorhersehbar die Abfolge dieser sichtbaren Schritte war. Mithilfe des informationstheoretischen Maßes des »Überraschungswerts« konnten sie zeigen: Kurz vor einem Durchbruch stieg die Unvorhersehbarkeit deutlich an. Die Arbeit ähnelte in diesen Phasen eher einem Tasten und Erkunden, wirkte spielerischer und weniger routiniert. Es wurden ungewöhnliche Verknüpfungen ausprobiert, bislang getrennte Dinge auf einmal miteinander verbunden. Unmittelbar nach dem Aha-Moment sank die Unvorhersehbarkeit dann wieder – ein Hinweis darauf, dass sich die Denkvorgänge stabilisierten.
Die Studie nutzt damit ein Prinzip, das aus der Erforschung komplexer Systeme bekannt ist: Auch in Ökosystemen oder beim Klima sind abrupte Umbrüche oft durch zunehmende Schwankungen im Vorfeld zu erkennen. Übertragen auf mathematische Denkprozesse heißt das: Selbst scheinbar blitzartige Erkenntnisschübe folgen einer Dynamik, die sich beobachten und quantifizieren lässt.
Die Implikationen reichen über die Mathematik hinaus. Wenn kreative Durchbrüche so klaren Mustern folgen, könnten ähnliche Verfahren künftig auch andere Bereiche erhellen – von der Medizin bis zur Kunst.
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