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News: Sind die Deutschen risikoscheu und technikfeindlich?

Im Zuge der Standortdebatte werden von Industrie und Politik oftmals Technikfeindlichkeit und Risikoscheu der deutschen Öffentlichkeit beklagt. Allerdings: Eine generelle Technikfeindlichkeit gibt es in Deutschland nicht, so das Fazit einer Studie von Prof. Dr. Ortwin Renn und Dr. Michael Zwick von der Stuttgarter Akademie für Technikfolgenabschätzung, die sie im Auftrag der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt” des Deutschen Bundestages verfaßt haben.
Nach der Studie von Renn und Zwick stoßen hierzulande allenfalls Groß- und Risikotechnologien auf Skepsis – übrigens keineswegs ein deutsches Spezifikum. Auch in anderen Industriegesellschaften werden derartige Technologien mehr und mehr begründungspflichtig. Es mangele nicht an Akzeptanz, statt dessen stellen die Autoren häufig unzulängliche Kommunikation zwischen Unternehmen und Politik einerseits und der Öffentlichkeit andererseits fest. Gefragt seien deshalb ein gesellschaftsweiter „Zieldiskurs” über die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft, die Erweiterung von Partizipationsrechten, die Verbesserung von Technik- und Risikokommunikation und die Einbindung der so gewonnenen Ergebnisse in den politischen Entscheidungsprozeß.

Einige Ergebnisse in Schlaglichtern: Technik im Arbeitsleben, vor allem aber Haushalts-, Freizeit- und andere technische Produkte erfreuen sich in Deutschland breiter Zustimmung. Akzeptanzprobleme rufen allerdings „Groß- und Risikotechnologien” hervor – großtechnische Projekte also, denen ein hohes Katastrophenpotential zugeschrieben wird und deren Risiken als aufgezwungen, ungleich verteilt und nur unzureichend kontrollierbar angesehen werden. Hier zeigt sich deutlich eine ambivalente Einstellung der Bevölkerung, die teils positive, teils negative Auswirkungen erwartet. Die Angst vor der Technik als Jobkiller, vor allem aber befürchtete Umweltprobleme haben sich bei der Auswertung der Untersuchungen als Ursachen für Vorbehalte gegenüber Technik und ihren Risiken erwiesen – ein Phänomen, das sich auch international beobachten läßt.

Was den Umgang mit Risiken angeht, stellten die Autoren deutliche Unterschiede zwischen einzelnen gesellschaftlichen Gruppierungen fest. Die Laienöffentlichkeit bewertet Risiken auf der Basis eigener Erfahrung und bestimmter Faustregeln. Ihre Kriterien sind das Katastrophenpotential, die soziale Verteilung von Nutzen und Lasten, die Kontrollierbarkeit der Risiken und die Frage, ob Risiken freiwillig übernommen oder aufgezwungen werden. In Wissenschaft, Industrie, Politik und Verwaltung herrschen hingegen mathematisch abgeleitete Risikokonzepte vor. Hier wird Risiko kalkuliert als Eintrittswahrscheinlichkeit mal der Schwere eines Schadens.

Die Technik- und Risikodebatte wird auf unterschiedlichen Ebenen geführt. Die Medien bestimmen, was auf die Tagesordnung des öffentlichen Interesses gelangt. Sie verstärken den Eindruck drohender Katastrophen und suchen nach Sündenböcken. Doch weder Katastrophenjournalismus noch Schadensberichterstattung gelingt es, die öffentliche Meinung in nennenswertem Maße zu beeinflussen. Überzeugte Technikgegner versuchen, Ängste zu erzeugen und Mitstreiter zu mobilisieren. Überzeugte Befürworter großtechnischer Anlagen rechnen der Öffentlichkeit die Unwahrscheinlichkeit von Störfällen und Katastrophen vor und sprechen gerne von zumutbaren „Restrisiken”.

Entscheidend ist, daß diese drei Arten von Risikokommunikation nebeneinander ablaufen und sich nicht vereinbaren lassen. Die Fronten verhärten sich und es kommt zu einer immer stärkeren Verweigerungshaltung der Öffentlichkeit. Eine Selbstblockade der Gesellschaft steht zubefürchten.

Verstärkt wird diese Entwicklung durch die schleichende Einführung von Technologien und den Versuch, sie nachträglich zu rechtfertigen. Diese Strategie zeigt zwar kurzfristig Erfolge, zerrüttet aber langfristig das Vertrauen in Politik und Industrie und stärkt letztlich die Position von Modernisierungsgegnern. Nach Einschätzung der Studie liegt die Lösung dieses Problems vor allem in fairen, ergebnisoffenen Dialogverfahren.

Erfahrungen, die mit derartigen Verfahren auf lokaler Ebene gewonnen wurden, liegen in Deutschland seit einigen Jahren vor. Was nach Meinung der Autoren fehlt, ist deren Anwendung über den lokalen Bereich hinaus. Vor allem aber gilt es sicherzustellen, daß die Ergebnisse solcher Diskurse die angemessene Berücksichtigung im politischen Entscheidungsprozeß finden.

Die Initiative für das Buch „Risiko- und Technikakzeptanz” ging von der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt” des Deutschen Bundestages aus. In ihrem Auftrag werteten die beiden Autoren die Ergebnisse von Untersuchungen zur Technik- und Risikoakzeptanz aus. Ortwin Renn und Michael Zwick bezogen mehr als 300 Publikationen in ihre Studie ein. Sie bietet einen aktuellen und umfassenden Überblick über die Wahrnehmung und Bewertung von Technik und Risiken in Deutschland.

Ortwin Renn und Michael M. Zwick: „Risiko- und Technikakzeptanz”, Hrsg. Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt” des 13. Deutschen Bundestages, Springer-Verlag, Preis 69.- DM, ISBN 3-540-63596-3

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