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News: Sinniger Kompass

Wenn Zugvögel reisen, dann nutzen sie eine ganze Reihe von Navigationshilfen: Sternen- und Sonnenlicht, Magnetfeldlinien oder auch prominente menschengemachte Wegmarken wie die eine oder andere hell erleuchtete Überlandstraße. Da haben es wandernde Schildkröten im Ozean schon erheblich schwerer.
Schildkröte
Wenn Meeresschildkröten des Nachts das Licht der Welt erblicken, dann sollte ihnen dies möglichst nicht in Form einer Taschenlampe entgegen leuchten – so etwas kann tödlich enden für das junge Reptilienleben. Denn frisch aus dem von Muttern im Strandsand verbuddelten Schildkrötenei gepellt, bleibt einem wehrlosen Jungen nicht viel Zeit, um sich vor allerlei Fressfeinden in die relative Sicherheit des nächtlichen Ozeans zu robben. Dabei folgt der Nachwuchs, unter anderem, den heranbrandenden Ozeanwellen – verwechselt aber gerne auch einmal vermeintlich lockende Lichtreflexe des schimmernden Meeres mit von landeinwärts blitzenden Lampen uninformierter Schlüpf-Beobachtungstouristen. Taschenlampen sind bei professionellen Schildkrötenforschern daher tabu, allein schon wegen der Gefahr, sonst alle fehlinformiert in Richtung Land kriechenden Reptilien mühsam einzeln ins Meerwasser tragen zu müssen.

Der optische Sinn eignet sich also wohl nicht für die späteren, enorm langen Wanderzüge durch die blauen, trüben Weiten der Ozeane, ein anderer, verlässlicherer Orientierungsmechanismus ist dringend nötig. Spätestens hier, das ist schon seit längerem bekannt, vertrauen ganz junge Schildkröten einem einfachen magnetischen Sinn, der aber kaum mehr erlaub, als Nord von Süd wie per Kompassnadel zu unterscheiden.

Die fast blind exakte Schildkröten-Orientierung im Meer ist mit einem so simplen Richtungskompasses aber nicht zu gewährleisten. Denn setzt man gefangene Tiere etwa weit entfernt von dem Ort aus, wo sie ins Netz gingen, so finden sie dennoch mit atemberaubender Sicherheit zurück in ihr ursprüngliches Revier. Dies erfordert nicht nur Infomationen über Nord-Süd-Richtungen, sondern genaue Kenntnis darüber, wo man sich im Augenblick, in Bezug auf einen anzusteuernden Zielpunkt, eigentlich befindet – also eine anhand der Gegenbenheiten des jeweiligen Standorts stets neu gezeichnete innere Karte, die sie sich offenbar mit dem Erwachsenwerden aneignen.

Von Zugvögeln und Brieftauben sind solche inneren Karten, die weit mehr als die Nord-Süd-Orientierung beinhalten, längst bekannt. Die Tiere erfassen dazu die von Ort zu Ort abweichenden Eigenheiten der Feldlinien des Erdmagnetfeldes, also etwa deren charakteristische lokale Stärke, Neigung und Richtung. Vergleichbare Fähigkeiten entdeckten Kenneth Lohmann von der Universität von North Carolina in Chapel Hill und seine Kollegen aber auch schon bei vergleichsweise einfach organisierten, wirbellosen Tieren wie den Langusten. Und zu ähnlichen Leistungen, meinte Lohmann nun, sollten Meeresschildkröten eigentlich auch in der Lage sein – oder es zumindest im Laufe der Jahre lernen.

Um dies zu überprüfen, entwickelte sein Team einen Erdmagnetfeld-Simulator für Schildkröten – im Prinzip nichts weiter als eine enorme Magnetspule um ein zentrales Wasserbassin, in dessen Mitte eine Art Fesselharnisch fixierte Schildkröten-Versuchskaninchen am Fortkommen im Becken hinderte, ihnen dabei aber Paddelbewegungen und die Drehung der Körperachse in alle gewünschten Schwimmrichtungen erlaubte.

In diese Magnetfeld-Schwimmarena platzierten die Wissenschaftler nun einzelne junge Exemplare der Suppenschildkröte Chelonia mydas, die sie sämtlich aus einer eng umrissenen Region der nahen Küstengewässer Zentralfloridas gefangen hatten. Mit Hilfe der Magnetspule simulierten die Forscher dann für eine Gruppe der fixierten Schildkröten-Probanden die Magnetfeld-Verhältnisse, welche rund 350 Kilometer südlich des Fangortes der Tiere vorherrschen – und einer zweiten Gruppe spiegelten sie vor, sie würden sich 350 Kilometer nördlich davon befinden. Wie würden die Tiere reagieren, denen so eine plötzliche drastische Ortsveränderung suggeriert werden sollte?

Sie reagierten so, als ob sie nach Hause schwimmen wollten: Die Tiere im simulierten Norden orientierten ihre Schwimmrichtung flugs gen Süden, die Tiere im südlichen Magnet-Simulationsfeld gen Norden – jeweils in Richtung ihrer vermuteten Heimat. Auch Schildkröten erstellen sich also, so Lohmann, eindeutig eine an den Eigenheiten des Magnetfeldes orientierte Karte. Ob dies ihr einziger Navigationskniff ist, bleibt indes unklar – gut möglich, so die Forscher, dass die Schildkröten das Magnetfeld nur als einen Orientierungsparameter nutzen, sich anderweitig aber etwa an den Küstenlinien entlanghangeln. Verknüpfen sie dabei sogar mehrere Charakteristika des Magnetfeldes, also Stärke und Inklination beispielsweise, wären für die Tiere dann jedenfalls wirklich alle Fleckchen vor Florida eindeutig unterscheidbar. Und verwirrende Lichtsignale von der Küste spielen, einmal im Leben erfolgreich im Ozean angekommen, ohnehin keine Rolle mehr.

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