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News: Sinnvoll gestutzt

Stückelt man ein beim Muskelschwund defektes und daher funktionsloses Protein geschickt zusammen, dann nimmt es seine eigentlichen Aufgaben zumindest in Grenzen wieder wahr. Vorher aber muss den hilfreichen Zurechtschneidern die Tür zu den betroffenen Muskelzellen geöffnet werden.
Wissen ist Macht sollte man meinen, auch in der Medizin. Leider stimmt dies nicht immer: Viele Krankheiten bleiben unheilbar, obwohl über ihre Ursachen und Auswirkungen selbst kleinste Details bekannt sind. Ein Beispiel ist die häufigste erbliche Muskelschwunderkrankung, die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne: Sie trifft eines von etwa 3000 bis 5000 Kindern – fast immer Jungen – und endet unausweichlich tödlich.

Die Ursache der Erbkrankheit ist bestens erforscht: Die X-Chromosomen der Betroffenen tragen eine fehlerhafte Version der genetischen Bauanleitung für das Protein Dystrophin. Dieser Eiweißbaustein ist wesentlich am Aufbau aller Muskelzellen des Körpers beteiligt. Ohne das funktionsfähige Protein aber verfällt schließlich nach und nach sämtliches Muskelgewebe. Und so sind, noch bevor sie volljährig werden, die erkrankten Menschen pflegebedürftig, die wenigsten erreichen das 25. Lebensjahr, sondern sterben vorher meist an Herzversagen oder Ersticken.

Wirklich erfolgversprechende Therapieansätze konnten aus dem Wissen um die Ursachen des Muskelschwunds bislang nicht abgeleitet werde. Naheliegend wäre es, den Muskelausfall durch die geregelte Zufuhr funktionsfähiger Dystrophin-Proteine auszugleichen – idealerweise etwa durch einen gezielten Austausch aller defekten Dystrophin-Gene durch intakte Versionen. Derartige gentherapeutische Eingriffe bleiben allerdings vorerst Utopie. Gesucht sind daher Alternativen, mit denen das fehlerhafte Genprodukt von Muskelschwundkranken so manipuliert werden könnte, dass es zumindest teilweise wieder die ihm zugedachten Aufgaben im Muskelgewebe erfüllen kann.

Wenn nicht direkt am Gen, so bietet sich ein Eingriff einen Arbeitschritt weiter in der Proteinproduktion der Zelle an: beim so genannten Spleißen. Hierbei schneiden Enzyme äußerst exakt überflüssige Stücke aus der ersten Eins-zu-eins-Kopie des abgelesenen DNA-Abschnittes heraus und fügen die verbleibenden, notwendigen RNA-Schnipsel, die Exons, wieder zusammen. Als Boten-RNA (mRNA) macht sich dieser fadenförmige Informationsträger mit der endgültigen Bauanleitung auf zu den Orten der Endmontage, den Ribosomen.

In der mRNA des fehlerhaften Muskelschwund-Dystrophin ist ein bestimmtes Exon besonders häufig mutiert. Es codiert für einen Zentralbereich des Proteins, der für die Funktion nicht unbedingt notwendig ist. Allerdings sorgt die Art der Mutation aber auch dafür, dass auch alle darauf folgenden Abschnitte nur noch sinnlose Fehlinformationen weitergeben können. Den fehlerhaften Abschnitt kann man nun während des Spleißvorgangs gezielt, unter Zuhilfenahme einer entsprechenden Antisense-RNA, entfernen und es entsteht eine um diesen Abschnitt gekürzte Version der mRNA.

Das daraus gebildete Dystrophin-Eiweiß ist zwar dementsprechend etwas kürzer, doch die Rosskur scheint erfolgreich, offenbar: Zumindest in der Petrischale zeigte sich die gekappte Version des mutierten Dystrophins als durchaus in der Lage, seine eigentlichen Aufgaben im Muskelgewebe zumindest teilweise zu erfüllen – viel besser jedenfalls als die unbeschnittenen mutierten Dystrophine.

Bleibt nur ein Problem: Die gesamte Prozedur funktioniert bislang zwar auf dem Papier und in Petrischalen – nicht jedoch in lebenden Organismen. Mäuse etwa, die an der Nager-Variante der Duchenne-Muskeldystrophie litten, sprachen auf den Ansatz kaum an. Eine Forschergruppe um Qi Long Lu vom Medical Research Council Clinical Sciences Centre in London lieferte nun offenbar einen entscheidenden Anschub. Sie erweiterten den Therapieansatz durch die Zugabe eines Detergens, welches bekanntermaßen das Eindringen von DNA-Partikeln in lebende Zellen erleichtert. An Muskelschwund leidende Mäuse, denen das Kombi-Präparat gespritzt wurde, bauten im Gegensatz zu unbehandelten Versuchstieren in der Folge wieder deutlich an Muskelmasse auf – offenbar gelangte die für diesen Erfolg notwendige Antisense-RNA mithilfe des Detergens leichter in die Zellen der betroffenen Muskeln. In einem Fall hielt die Produktion des Ersatz-Dystrophins nach einmaliger Injektion gar für drei Monate vor.

Für große Hoffnungen auf Heilung betroffener Menschen ist es aber wohl noch zu früh – bis der Therapieansatz hier umgesetzt werden kann, wird noch einige Forschungsarbeit notwendig sein. Beispielsweise muss das Präparat an menschliche Organismen angepasst, die Stabilität der entscheidenden Antisense-RNA noch erhöht und eine geeignete "Verpackung" gefunden werden, um ein zukünftiges Medikament einfach in den Blutstrom injizieren zu können: Nur so kann es sich sinnvoll körperweit ausbreiten. Noch einiges zu tun also – das neue Wissen wird dabei aber sicher helfen.

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