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Anatomie: Skelettanalysen korrigieren Dinosaurier-Irrtum

Bisher galten Bandscheiben als Sonderweg der Säugetiere. Tatsächlich aber hatten Dinos einst ebenfalls dieses Merkmal. Bis sie ein effektiveres Rückgrat evolvierten.
Tyrannosaurus rex

Dank einer überraschenden Entdeckung müssen wir uns mit unseren Rückenleiden nicht mehr ganz so allein fühlen. Anders als bisher meist vermutet, besaßen auch Dinosaurier und andere Urzeitechsen ein entscheidendes anatomisches Detail in der Wirbelsäule: Bandscheiben. Diese knorpeligen Scheiben zwischen den Wirbelkörpern sah man bisher als eher zweischneidige evolutionäre Erfindung der Säugetiere an. Vögel und Reptilien dagegen besitzen Gelenke aus ineinandergreifenden Knochenflächen – das nahm man deswegen auch für ihre ausgestorbenen Verwandten an. Dem widerspricht jedoch nun eine neue Untersuchung in »Scientific Reports«.

Wie ein Team um die Paläontologin Tanja Wintrich von der Universität Bonn berichtet, ist die Bandscheibe vielmehr eine evolutionär sehr alte Erfindung der Wirbeltiere. Detaillierte Untersuchungen an den Wirbelknochen von insgesamt 19 ausgestorbenen und noch existierenden Tierarten zeigen deutliche Indizien für Bandscheiben bei sehr unterschiedlichen Tiergruppen. Darunter sind neben Dinosauriern auch Ichthyosaurier, andere Meeresreptilien und urzeitliche Krokodile. Kugelgelenke nutzten dagegen schon früh die gigantischen Sauropoden. Das Team um Wintrich vermutet, dass Bandscheiben für deren lange Hälse zu instabil waren.

Bei den urtümlichsten Reptilien fand das Team einen deutlichen Hinweis, dass Bandscheiben das gemeinsame Erbe aller Wirbeltiere sind. Sie hatten einen durchgehenden Knorpelstab in der Wirbelsäule, das Notochord. Aus diesem entwickelte sich bei Säugetieren der Gallertkern im Zentrum der Bandscheibe, der sich bei einem Bandscheibenvorfall auswölbt und auf die Nerven des Rückenmarks drückt. Nun entdeckte Wintrichs Team auch bei den anderen untersuchten Wirbeltiergruppen Anzeichen dafür, dass die Bandscheibe dort eigenständig evolvierte.

Warum wurden die Bandscheiben übersehen?

Die Gruppe um Wintrich schreibt den Irrtum um die Bandscheibe denn auch weniger den fehlenden Belegen zu als selektiver Wahrnehmung und Desinteresse. Fachleute, die sich mit fossilen Knochen beschäftigen, mögen sich der Komplexität der Knorpelverbindungen zwischen ihnen nicht voll bewusst sein. Tatsächlich fand eine Arbeitsgruppe schon 2001 Hinweise auf einen Bandscheibenvorfall bei einem Plesiosaurier – einem nur entfernt mit Säugetieren verwandten Meeresreptil. Das Team habe die Existenz der Bandscheibe schlicht angenommen.

Die Annahme, Bandscheiben gebe es nur bei Säugetieren, kam womöglich durch den umgekehrten Fehlschluss zu Stande: Heute gibt es sie tatsächlich fast ausschließlich bei Säugetieren. Viele der Bandscheiben tragenden Reptiliengruppen starben aus. Die Raubsaurier, aus denen die Vögel hervorgingen, entwickelten später das Kugelgelenk in der Wirbelsäule. Nach diesem Szenario entwickelten die Säugetiere keineswegs die Bandscheibe neu, sondern waren die einzige überlebende Gruppe, die diese urtümliche Struktur beibehielt. Die Dinosaurier dagegen legten sich zwischenzeitlich ein stabileres Rückgrat zu. Die Vögel haben es immer noch.

Wichtiger Grund dafür könnte sogar die geringere Stabilität der Bandscheiben gewesen sein, spekuliert die Gruppe um Wintrich. Bei so gigantischen Tieren wie Tyrannosaurus rex hätte die Stabilität der Wirbelsäule wohl tatsächlich eine erhebliche Rolle gespielt. Ob allerdings der Urzeit-Räuber wirklich ebenso oft mit Bandscheibenvorfällen zu kämpfen hatte wie wir, ist zumindest fraglich. Unsere Anfälligkeit für diesen Wirbelsäulenschaden ist mindestens ebenso sehr Erbe unseres aufrechten Gangs wie der Bandscheibe selbst. Die Raubsaurier hielten ihre Wirbelsäule dagegen meist eher horizontal.

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