Geistige Fitness: Oma daddelt sich fit

Instagram, TikTok, Google: alles schlecht für den Kopf, das ist Allgemeinwissen, oder eher Allgemeingefühl. Doch zuletzt behaupteten gleich zwei große wissenschaftliche Studien etwas ganz anderes. Das Internet ist gut für dich – wenn du über 50 bist. Es soll zu mehr geistiger Fitness verhelfen, zu mehr Lebensfreude und weniger Einsamkeit.
Was für ein Gegensatz zum Streit darüber, wie sich digitale Medien auf junge Menschen auswirken. Derzeit beraten Fachleute im Auftrag der Bundesregierung darüber, ob soziale Medien für Jugendliche unter 16 Jahren ganz verboten werden sollten. Die Sorge: Instagram und TikTok schadeten ihrer psychischen Gesundheit. Tatsächlich zeigen Studien bei Jugendlichen eher negative Effekte.
Doch auch für Erwachsene zeichnen einige Forscher ein düsteres Bild, manche sprechen gar von »digitaler Demenz«. Hinter dem Schlagwort steckt die Hypothese, dass geistig schneller abbaut, wer ständig vor dem Bildschirm hängt. Die beiden Neuropsychologen Jared Benge und Michael Scullin aus den USA wollten wissen, ob das stimmt. In einer riesigen Metaanalyse fassten sie die Daten von mehr als 400 000 Personen zusammen, die Teilnehmer waren im Schnitt fast 69 Jahre alt. Das Ergebnis, veröffentlicht in Nature Human Behaviour: von wegen digitale Demenz, im Gegenteil! Wer Computer, Internet oder Smartphone häufiger benutzte, hatte ein um rund 50 Prozent geringeres Risiko für kognitive Beeinträchtigungen.
Der positive Effekt war sogar größer als der von bildschirmfreien Beschäftigungen wie Kartenspielen, Kreuzworträtseln oder Lesen (minus 31 Prozent) – und Sport (minus 35 Prozent). Und er hatte auch Bestand, wenn die Forscher andere Faktoren berücksichtigten, die positiv auf die geistige Fitness wirken, wie Bildung, Beruf, Einkommen oder körperliche Gesundheit. Die Schlussfolgerung von Benge und Scullin: Der positive Effekt könne nicht einfach dadurch zustande kommen, dass Menschen mit höherer Bildung und höherem Einkommen (die ohnehin oft kognitiv stärker sind) häufiger Smartphones nutzen.
Die Ergebnisse der Studie betreffen Millionen Deutsche: Inzwischen besitzen 83 Prozent der Menschen über 60 Jahre in Deutschland ein Smartphone. Überhaupt nicht im Internet unterwegs sind nur noch 13 Prozent dieser Altersgruppe. Und für Menschen zwischen 60 und 70 ist das Smartphone inzwischen das Mediengerät, auf das sie am wenigsten verzichten wollen. Damit hat es den Fernseher überholt. Im Netz nutzen die Älteren vor allem Suchmaschinen, E-Mails und Messengerdienste wie WhatsApp; 25 Prozent sind in sozialen Netzwerken unterwegs.
»Digitale Medien sind für ältere Menschen kognitiv anregend, das zeigen viele Studien«, sagt Hans-Werner Wahl. Der 71-jährige Psychologe erforscht, wie Ältere von der Digitalisierung profitieren können; er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie. »Die Technik kann außerdem für Erfolgserlebnisse sorgen: Das kriege ich noch hin!« Nicht selten gebe das älteren Menschen insgesamt mehr Selbstvertrauen, hat der Seniorprofessor von der Universität Heidelberg beobachtet. »Die sagen dann: ›Eigentlich hatte ich schon alles aufgegeben, aber wenn ich das mit dem Smartphone schaffe, dann kann ich vielleicht auch wieder mehr rausgehen.‹«
Im Netz
83 Prozent der Menschen über 60 Jahre in Deutschland besitzen ein Smartphone, 2021 waren es nur 72 Prozent. Bei den über 80-Jährigen ist der Anstieg noch rasanter: von 41 auf 59 Prozent.
Wie genau Smartphones geistig fit halten, dazu haben die Autoren der Metaanalyse gleich mehrere Vermutungen. Es könnte daran liegen, dass der Umgang mit den Geräten und den Apps darauf knifflig ist, also ein gutes Training fürs Gehirn. Außerdem macht die Technik es leichter, mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben, auch das ist gut für die geistige Beweglichkeit. Und schließlich kann es helfen, manche Aufgaben aufs Handy auszulagern und so den Kopf frei zu haben für anderes.
Es könnte aber natürlich auch andersherum sein – wer geistig fitter ist, beschäftigt sich eher mit neuer Technik. Um etwas mehr über Ursache und Wirkung herauszufinden, haben einige Studien Testpersonen über längere Zeit begleitet. Und wer am Anfang häufiger Internet, Computer oder Smartphone nutzte, war mehrere Jahre später kognitiv leistungsfähiger. Das deutet zumindest darauf hin, dass digitale Medien tatsächlich zur geistigen Fitness beitragen.
Wirkt das Smartphone auf Junge und Ältere unterschiedlich?
Womöglich können sie sogar noch mehr: die psychische Gesundheit von älteren Menschen verbessern. Das lässt eine Metaanalyse mit immerhin fast 90 000 Teilnehmern aus 23 Ländern vermuten, ebenfalls veröffentlicht in Nature Human Behaviour. Wer häufiger das Internet nutzte, der hatte weniger depressive Symptome, war zufriedener mit seinem Leben und gesünder.
Die Effekte waren allerdings deutlich kleiner als bei der geistigen Fitness, und wenn die Forscher Bildung, Einkommen, körperliche Gesundheit berücksichtigten, waren die Zusammenhänge in der Hälfte der Länder nicht mehr signifikant – könnten also Zufall sein. Auch in Deutschland war das beim Effekt auf die depressiven Symptome der Fall. Das zeigt, wie wichtig die Lebensbedingungen für die psychische Gesundheit sind.
Was die Studie trotzdem interessant macht: Die Wissenschaftler aus Hongkong fanden keinen negativen Effekt – ganz anders als Untersuchungen mit Jugendlichen. Junge Menschen, die öfter das Smartphone oder Social Media nutzten, hatten laut Studien im Schnitt etwas häufiger Symptome von Depressionen, Ängsten oder Essstörungen. Wirkt das Smartphone also auf Junge und Ältere unterschiedlich – und wenn ja, warum?
Einen Hinweis gibt eine kleine Untersuchung aus Coronazeiten, unter anderem von Forscherinnen des Robert Koch-Instituts (RKI). Wie sich die Smartphone-Nutzung auf die Psyche auswirkte, hing tatsächlich vom Alter der Teilnehmer ab. Jüngere Testpersonen, die besonders viel Zeit mit dem Handy verbrachten, fühlten sich weniger mit anderen Menschen verbunden. Ältere Probanden, die es besonders intensiv nutzten, berichteten das Gegenteil.
»Jüngere und Ältere verwenden digitale Technik sehr unterschiedlich«, sagt Florian Fischer von der Hochschule Kempten. Der 38-Jährige erforscht, wie sich die Digitalisierung nutzen lässt, um die Gesundheit älterer Menschen zu verbessern. »Junge Menschen leben ganz selbstverständlich in der digitalen Welt, es ist das Medium, in dem sie sich bewegen«, erklärt er. »Ältere dagegen nutzen die Technik eher bewusst als Werkzeuge für bestimmte Zwecke.«
Das hat Fischer auch bei einer digitalen Schnitzeljagd beobachtet, die er mit seinen Kollegen für Menschen unterschiedlichen Alters konzipiert hat. Eine App führte die Teilnehmer durch verschiedene Orte im Allgäu, wo sie Rätsel lösen und dabei etwas über Gesundheit lernen sollten. Die Jugendlichen hätten vor allem Spaß an der Technik selbst gehabt, ältere Probanden hätten sie dagegen eher als Mittel genutzt, um die Aufgaben zu erledigen.
Vor allem aber unterschieden sich jüngere und ältere Nutzer in zwei zentralen Punkten, sagt der Wissenschaftler: »Ältere Menschen reflektieren aufgrund ihrer Lebenserfahrung eher, was sie im Netz sehen und tun. Und sie haben oft ein stabileres soziales Netzwerk außerhalb des Internets.« Das alles könne dazu führen, dass das Smartphone für ältere Menschen eher positive Effekte hat.
Das Internet kann für Verbundenheit sorgen
In der Studie der RKI-Forscherinnen zeigte sich das sogar bei ein und derselben Art der Nutzung, nämlich den sozialen Medien. Jüngere Teilnehmer, die besonders viel Zeit auf Instagram, Snapchat oder Facebook verbrachten, fühlten sich einsamer – ältere, die genau dieselben Apps häufig nutzten, dagegen weniger einsam.
»Das könnte daran liegen, dass ältere Menschen soziale Medien eher verwenden, um in Kontakt zu bleiben«, vermutet Florian Fischer. »Jüngere dagegen haben stärker das Gefühl, sich selbst darstellen zu müssen, sie empfinden eher sozialen Druck.«
Man müsse aber auch beachten, dass Jugendliche und Senioren in unterschiedlichen »Ökosystemen« leben, sagt der Psychologe Hans-Werner Wahl: »Das Umfeld von Jungen bietet eher zu viel Stimulation, das von Älteren eher zu wenig.« Das Smartphone könne bei älteren Menschen deshalb für positive Anregung sorgen, sagt der Altersforscher – während er ganz froh sei, dass sein Enkel das Handy in der Schule abgebe.
Doch gerade die digitale Technik könnte im besten Fall die Welten ein bisschen zusammenrücken lassen. »Digitale Medien sind im Moment eigentlich das beste Mittel, um im Kontakt mit der jüngeren Generation zu bleiben«, meint der Seniorprofessor. Nicht nur, indem die Älteren hin und wieder mit dem Enkel videotelefonieren oder mal eine WhatsApp schicken. Sondern auch, indem sie sich von der Enkelin die neue App erklären lassen – und nebenbei, was in ihrem Alltag so vorgeht.
So könnten manche Vorzüge des Digitalen in die Welt jenseits des Netzes herüberschwappen. Das gelte auch für Freizeitaktivitäten, sagt Wahl. »Es hilft schon, wenn ich in einer App sehen kann, was heute in der Gemeinde los ist.« Und ganz bald könne die KI auch praktische Probleme lösen: »Da sagt mir der Chatbot, morgen gibt es da und da ein Theaterstück, du kommst noch im Hellen mit dem Bus hin, dann musst du 200 Meter laufen, für den Rückweg empfehle ich dir ein Taxi.«
Und sogar wenn es mit dem Rausgehen schwierig wird, kann das Internet für Verbundenheit sorgen. Das zeigt eine Studie unter sehr alten Menschen in Nordrhein-Westfalen. Die Probandinnen und Probanden waren zwischen 80 und 103 Jahre alt, ein Viertel von ihnen ging mit Smartphone oder Tablet ins Netz. Und diese surfenden Hochbetagten fühlten sich autonomer, weniger desorientiert und weniger einsam.
Genau hier liegt eine Verbindung zur geistigen Fitness: Einsamkeit wiederum erhöht nämlich das Risiko für Demenz und andere kognitive Beeinträchtigungen, wie Studien sehr klar zeigen. Wer also in Kontakt bleibt mit anderen, bleibt auch beweglich im Kopf. Und das funktioniert eben nicht nur offline.
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