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Smartwatches: Ohne Smartwatch? Wären sie wohl tot

Smartwatches und Smartphones sammeln nicht nur Gesundheitsdaten. Sie könnten ein Frühwarnsystem für schwere Krankheiten werden – das manchmal mehr sieht als ein Arzt.
Eine Person überprüft den Herzfrequenzmonitor auf einer Smartwatch, die 75 bpm anzeigt. Die Uhr zeigt ein EKG-Diagramm. Die Szene ist im Freien bei hellem Sonnenlicht.
Detaillierten Einblick in das, was im Körper vorgeht: Smartwatches können Gefahren erkennen.

Ken Counihan? Hätte wohl nicht überlebt. Adam Croft? Wäre womöglich an einem Schlaganfall gestorben. Und die schwangere Rachel Manalo? Hätte wahrscheinlich ihr Baby verloren – und ihr Leben.

Sie alle haben großes Glück gehabt, sie gingen rechtzeitig zum Arzt oder in eine Klinik. Wobei: War es wirklich Glück? Oder war es nicht eher das genaue Gegenteil davon – kühle Berechnung? Alle drei wurden von einem Computer gewarnt, der sich an ihrem Handgelenk befand: einer Smartwatch.

In den USA erzählen Medien viele solcher Geschichten von kleinen digitalen Begleitern, die Leben retten. Die Uhren und ihre Pendants in den Taschen, die Smartphones, entdecken je nach Modell auffällige Herzrhythmusstörungen oder einen Sauerstoffmangel, sie erkennen Atemaussetzer im Schlaf oder schlagen Alarm, wenn der Gang so unsicher geworden ist, dass man zu stürzen droht.

Auch die Deutschen sind für die digitale Überwachung ihrer Gesundheit durchaus aufgeschlossen: Drei Viertel halten detaillierte Körperdaten für sinnvoll, um Krankheiten vorzubeugen oder rechtzeitig zu erkennen, ergab eine Umfrage des deutschen Digitalverbands Bitkom aus dem Jahr 2024. Und mehr als die Hälfte glaubt, dass die Geräte die Gesundheitsvorsorge revolutionieren werden.

In Zukunft könnten Smartwatch und Smartphone nicht nur warnen, wenn es brenzlig wird, sondern Gefahren schon im Voraus erkennen – die großen Fortschritte mit künstlicher Intelligenz sollen es ermöglichen. Forscherinnen und Forscher testen die Geräte bereits zur Früherkennung von Krankheiten. Sie könnten weitere Aufgaben übernehmen: Sie sollen Ärzten bei der Diagnose helfen und Behandlungen verbessern. Das Potenzial der kleinen Geräte haben auch die Technologieunternehmen erkannt: »Unser Ziel ist es, Gesundheitsinformationen zu demokratisieren und dabei zu helfen, die eigene Gesundheit besser zu verstehen«, erklärt Sumbul Desai, Vice President of Health bei Apple, einem Hersteller, der besonders intensiv in den Bereich investiert.

Die Gesundheits-Gadgets könnten damit ein jahrzehntealtes Versprechen einlösen: das von der personalisierten Medizin – Diagnosen und Therapien also, die ganz auf den Einzelnen zugeschnitten sind.

Peter Ehrich ist seiner Smartwatch heute schon dankbar. Er hat darum gebeten, seinen Namen zu ändern, um seine Privatsphäre zu schützen. Vier Jahre ist es her, dass der 43-Jährige allein in den Harz fuhr, um mal runterzukommen in der anstrengenden Coronazeit. Vielleicht hörte er im Urlaub mehr in sich hinein, jedenfalls bemerkte er, dass sein Herz »ein bisschen mehr pochte als sonst«. Auch in Momenten, in denen er sich gar nicht anstrengte. Irgendetwas stimmt nicht, dachte Ehrich. Zurück in der Heimat, ging er zum Kardiologen. Der gab ihm ein Gerät mit, das einen Tag lang seine Herzströme aufzeichnete. Es fand: nichts. Kein Wunder, in diesen 24 Stunden war das Pochen eben nicht aufgetreten.

Ehrich kaufte sich eine Apple Watch. Mit der konnte er selbst ein EKG anfertigen, auf Knopfdruck – also genau dann, wenn das Herz wieder pochte. Das Ergebnis zeigte er dem Kardiologen. Der fand in den EKG-Daten gleich zwei Herzrhythmusstörungen: Ehrichs Herz machte Extraschläge zwischen den normalen, außerdem gaben die Vorhöfe Signale ab, die das Herz rasen ließen. Ohne Smartwatch, da ist Ehrich sich sicher, hätte es viel länger gedauert, seine gefährliche Erkrankung zu erkennen und ihm rechtzeitig zu helfen.

Dass die Apple Watch ein Vorhofflimmern erkennen kann, haben Forscher von der Stanford University wissenschaftlich belegt. An der Studie hatten acht Monate lang insgesamt 420 000 Probanden teilgenommen, das Ergebnis wurde 2019 im Fachmagazin »New England Journal of Medicine« veröffentlicht.

Smartphones und -watches haben einen großen Vorteil: Ihre Besitzer tragen sie ständig nah am Körper, in Hosentaschen, manche sogar nachts am Arm. Diverse Sensoren gewinnen so unablässig Daten, künstliche Intelligenz erkennt darin Muster. Und die Gadgets sind weit verbreitet: Nach der Bitkom-Umfrage nutzen 78 Prozent der Deutschen ab 16 Jahren ein Smartphone und 36 Prozent eine Smartwatch.

Bei Peter Ehrich registrierte die Smartwatch, dass die Extraschläge seines Herzens mit der Zeit zunahmen. Schließlich zeigte die Smart Watch 10 000 am Tag an – etwa alle neun Herzschläge ein zusätzlicher. Der Kardiologe an der Uniklinik riet Ehrich zu einem Eingriff, bei dem bestimmte Bereiche im Herzen verödet werden. Die Extraschläge seien seitdem verschwunden, erzählt Ehrich, die Vorhofstörung aber sei leider geblieben. Seine Smartwatch trägt er deshalb jetzt ständig, manchmal zeigt sie einen Puls von 150 Schlägen in der Minute – ein Warnsignal, dass er eine Ruhepause einlegen muss.

Der Kardiologe Benjamin Meder kennt inzwischen viele solcher Geschichten. Er ist stellvertretender ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Heidelberg und zudem Professor für Precision Digital Health. »Zu uns kommen sehr häufig Patienten, ganz junge wie sehr alte, die über Herzstolpern klagen und sich fragen, ob das gefährlich ist«, sagt Meder.

Da sei zum Beispiel der junge Mann gewesen, bei dem es immer dann auftrat, wenn er Ski fuhr. Weil man in solchen Momenten eben kein EKG machen kann, kaufte auch er sich eine Smartwatch und zeichnete immer dann seine Herzströme auf, wenn er die Symptome verspürte – mitten auf der Piste. »Er hatte wirklich eine so genannte ventrikuläre Tachykardie«, erzählt Meder, eine Herzrhythmusstörung, die das Risiko »immens erhöht, am plötzlichen Herztod zu versterben«. Nach einer Operation war das Problem beseitigt.

Die häufigste Herzrhythmusstörung in Deutschland ist aber das Vorhofflimmern. Dabei schlagen die Vorhöfe des Herzens unregelmäßig und unkoordiniert. Die Deutsche Herzstiftung schätzt, dass hier zu Lande 1,5 bis 2 Millionen Menschen daran leiden. Wird es nicht behandelt, kann es schwer wiegende Folgen haben, etwa ein Fünftel aller Schlaganfälle sind darauf zurückzuführen. Würde man das früh entdecken, könnte man viel Leid verhindern.

»Allein aus der höheren Anzahl entdeckter Fälle lässt sich leider nicht auf den Nutzen der Früherkennung mittels Smartwatch schließen«Naomi Fujita-Rohwerder, Professorin für Evidenzbasierte Medizin und Digital Health

Also Smartwatches für alle, bezahlt von der Krankenkasse? Naomi Fujita-Rohwerder sieht die neue Gerätemedizin kritisch. Sie leitet die Arbeitsgruppe Digitalisierung beim Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin. Zwar könne sie die Begeisterung eines jeden Einzelnen über die Smartwatch verstehen, bei dem das Gerät eine Herzrhythmusstörung entdeckt habe. Sie sehe aber auch Probleme, vor allem, wenn die Uhren zur Früherkennung bei gesunden Menschen ohne erhöhtes Erkrankungsrisiko eingesetzt würden.

Zum einen bestätige sich längst nicht jeder Verdacht, wie Studien zeigten. »Bis die Betroffenen einen Arzt aufgesucht haben und sich die Meldung der Smartwatch als falsch herausgestellt hat, machen sie sich Sorgen und danach vielleicht auch noch.« Wie häufig solche unnötigen Arztbesuche vorkämen, sei unbekannt. Es sei jedoch zu befürchten, dass es zu einer wachsenden Belastung des Gesundheitssystems komme – immer mehr Menschen hätten eine Smartwatch.

Sensiblere und wertvollere Daten gibt es kaum

Zum anderen sei bisher unklar, ob die mittels Smartwatch zusätzlich entdeckten Fälle von Vorhofflimmern langfristig tatsächlich zu weniger Folgeerkrankungen wie Schlaganfällen oder Herzinsuffizienz führten. Ob Smartwatches oder -phones den Betroffenen mehr nutzten als schadeten, sei noch nicht gut untersucht. »Allein aus der höheren Anzahl entdeckter Fälle lässt sich leider nicht auf den Nutzen der Früherkennung mittels Smartwatch schließen«, sagt Fujita-Rohwerder.

Tatsächlich ist die Zuverlässigkeit je nach Hersteller und Messwert sehr unterschiedlich, ergab eine Studie von 2024. Bei Werten zur körperlichen Aktivität gab es größere Abweichungen: Die Probanden hatten also beispielsweise weniger Schritte gemacht, als die Smartwatch gemessen hatte. Herzrhythmusstörungen dagegen wurden ziemlich gut identifiziert und nur selten übersehen.

Benjamin Meder sieht den Einsatz der kleinen Geräte ganz pragmatisch: Smartwatches seien in der Kardiologie vor allem dann sehr wertvoll, wenn ein normales EKG keine Diagnose liefern könnte, »digitale Anamnese« nennt er das. Sie seien gute Hinweisgeber mit einer oftmals hohen Qualität – wenn die Geräte von namhaften Herstellern stammten wie Garmin, Apple oder Google.

Die Hersteller spielen auch eine wichtige Rolle, wenn es um den Datenschutz geht. Apple etwa betont immer wieder, wie sicher die Daten seien. Die Deutschen interessieren sich dafür allerdings nicht sonderlich: Nur ein Viertel sorgt sich beim Tragen der Gadgets um die Sicherheit der Gesundheitsdaten, zeigte die Umfrage von Bitkom.

Das mutet fast schon kurios an, hat doch keine Ärztin, kein Physiotherapeut und keine Krankenkasse einen so detaillierten Einblick in das, was im Körper vorgeht. Sensiblere und wertvollere Daten gibt es wohl nicht. Im Zusammenspiel mit künstlicher Intelligenz werden diese noch wertvoller. Forscherinnen und Forscher können damit inzwischen Zusammenhänge entdecken, die man bislang nicht einmal geahnt hat.

Aldo Faisal zum Beispiel. Er leitet an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Digital Health, hat außerdem eine Professur für künstliche Intelligenz und Neurowissenschaften am Imperial College London. Er wollte per Smartphone auf Persönlichkeitsmerkmale seiner Probanden schließen. Die Geräte maßen dazu das Verhalten und die Bewegung der Testpersonen: wie häufig sie etwa ihr Handy entsperrten, wie oft sie telefonierten oder tippten und wie viel sie herumliefen. Die Ergebnisse verglich Faisal mit dem Resultat eines klassischen Persönlichkeitstests, den die Probanden zuvor gemacht hatten: Es zeigte sich eine recht große Übereinstimmung.

Faisal ging noch einen Schritt weiter. Mit dem Wissen, welches Persönlichkeitsprofil jemand hat, konnte dann eine KI digitale Mikrointerventionen durchführen, also jemandem sagen: »Mach das, mach das nicht, oder tu mehr hiervon – nimm jetzt nicht den Fahrstuhl, sondern die Treppe« – solche Aufforderungen schickte das Handy, erzählt Faisal. Der Unterschied zu herkömmlichen Fitness-Apps, die ihre Nutzer auch in unpassenden Momenten auffordern, irgendetwas zu tun: Die KI meldete sich bei den Probanden genau dann mit Tipps, wenn deren Bereitschaft hoch war, diese umzusetzen – sie passte sich an die Situation und die Persönlichkeit der Nutzer an. Durch die gezielten minimalen Eingriffe konnten die Forscher eine »systematische Verbesserung in der psychischen Gesundheit erreichen«, sagt Faisal. Entstanden ist daraus die App Mindcraft, die jetzt in London an Jugendlichen erprobt wird, die an Essstörungen, Depressionen oder Angststörungen leiden.

Auch zur Früherkennung von Krankheiten könnten die tragbaren Gadgets beitragen. Forscherinnen und Forscher der britischen Cardiff University konnten beispielsweise mit Bewegungsmessern, die viel simpler sind als Smartphones oder -watches, schon Jahre im Voraus erkennen, ob Menschen an Parkinson erkranken würden – der Nervenkrankheit, bei der die Betroffenen stark zittern.

»Die Krebsfrüherkennung wird ein großes Anwendungsgebiet werden, da bin ich mir ziemlich sicher«Benjamin Meder, Kardiologe

Der Kardiologe Benjamin Meder setzt große Hoffnungen in die Früherkennung. Denn zu Beginn einer Erkrankung, wenn Symptome noch schwach ausgeprägt seien, wenn sie mal auftauchten und wieder verschwänden, wenn die Leistungsfähigkeit bloß peu à peu sinke – dann bemerke man selbst das häufig nicht. »Aber ein Smartphone mit einer guten KI dahinter, die merkt das schon«, sagt Meder. Auch wenn jemand 40 Jahre alt sei, die KI aber behaupte, er sei 60 Jahre alt, müsse man genauer hinschauen, womöglich stecke eine ernste Krankheit wie Krebs dahinter, sagt er. »Das muss man natürlich alles mit Studien begleiten, doch die Krebsfrüherkennung wird ein großes Anwendungsgebiet werden, da bin ich mir ziemlich sicher.«

Herzcheck to go, persönliche Tipps für die Gesundheit, Früherkennung von Krankheiten: Es hat sich immens viel getan in der Gesundheitsvorsorge per Smartphone und Smartwatch. Der Kardiologe Meder erinnert sich noch an seine erste Smartwatch. Die hatte er auch auf einer Autofahrt ums Handgelenk, erzählt er. Kaum war er losgefahren, lobte ihn das Gerät dafür, dass er schon fünf Kilometer gejoggt sei.

Weitere Links und Quellen finden Sie hier.

Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 06/2025.

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