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Persönlichkeitsentwicklung: So ändere ich mein Emotionsprofil

Der Psychologe Richard Davidson erforscht, wie man die Gefühle in neue Bahnen lenken kann. Dazu schaut er vor allem hinter die Stirn von meditierenden Mönchen. An sich arbeiten könne aber jeder: »Der Spielraum ist größer als gedacht.«
Frau aus der Vogelperspektive

Der Psychologe und Hirnforscher Richard J. Davidson (geboren 1951) ist ein Pionier der Mind-Body-Medizin. Er forscht als Direktor am Waisman Center für Neuroimaging und gründete das Center for Healthy Minds an der University of Wisconsin in Madison. Bekannt ist er vor allem für seine Arbeiten mit tibetischen Mönchen. Neben dem Konzept der Emotionsstile beschrieb er unter anderem den Verlauf emotionaler Reaktionen (»affektive Chronometrie«) als Folge der Eigenschaften von neuronalen Schaltkreisen – dem Schlüssel zum Verständnis von starken Ängsten. 2006 zählte das »Time Magazine« Davidson zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

»Spektrum.de«: Herr Professor Davidson, was bestimmt unser emotionales Profil? Unsere Gene oder unsere Erfahrungen?

Richard Davidson: Beides! Unser emotionaler Stil ist die Art und Weise, wie wir immer wieder auf Ereignisse reagieren, die für uns emotional bedeutsam sind. Wie bei allen komplexen Verhaltensweisen ist das ein Produkt von Genen und Umwelt. Der Anteil der Erbanlagen erklärt, weshalb man schon früh bestimmte elementare Formen des emotionalen Stils beobachten kann. Zum Beispiel bei der Resilienz, also der Leichtigkeit, mit der wir eine Belastung bewältigen. Neugeborene reagieren nicht alle gleich, wenn sie Hunger oder Bauchschmerzen haben. Manche quengeln deshalb lange, während sich andere schnell beruhigen. Dieser frühe Vorläufer der Resilienz entwickelt sich später zu einer reiferen Form. Eines möchte ich trotzdem betonen: Die äußeren Einflüsse, vor allem die frühen Erfahrungen, sind besonders bedeutsam. Und genetisch vorbelastet zu sein, bedeutet nicht, dass eine Veränderung unmöglich wäre. Im Gegenteil: Jede der sechs Dimensionen unseres emotionalen Profils lässt sich durch Training verändern.

Richard Davidson |

Der Hirnforscher von der University of Wisconsin in Madison ist vor allem bekannt für seine Arbeiten mit tibetischen Mönchen. 2006 zählte das »Time Magazine« ihn als Pionier der Mind-Body-Medizin zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

Was bringt es, wenn man seinen emotionalen Stil ändert?

Man kann sein Wohlbefinden steigern. Es geht aber nicht darum, permanent glücklich zu sein: Man kann sehr zufrieden und doch zuweilen traurig sein. Manchmal ist das sogar angemessen, zum Beispiel wenn wir um einen Verstorbenen trauern. Aber wir alle kennen von uns auch emotionale Reaktionen, mit denen wir nicht glücklich sind und die wir gerne ändern würden. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich meine damit nicht, dass es einen optimalen emotionalen Stil gibt. Im Mittel betrachtet machen uns manche Merkmale das Leben leichter, wie Resilienz oder eine positive emotionale Grundhaltung. Ich kenne allerdings viele kreative und faszinierende Menschen, die sehr empfindlich sind und dazu stehen. Das Wichtigste ist, ehrlich Bilanz zu ziehen: Leide ich unter meinen Eigenheiten? Beeinträchtigen sie mein Privat- oder Berufsleben? In dem Fall kann es helfen, sich zu ändern. Ich bin sicher, dass die Arbeit am eigenen emotionalen Stil dann dazu beiträgt, sich insgesamt besser und mehr im Einklang damit zu fühlen, wie man sein möchte. Das ist umso bedeutsamer, als es eine empirisch belegte Verbindung gibt zwischen unserem psychischen Wohlbefinden und unserer körperlichen Gesundheit. Doch auch hier gilt: Es ist schwierig, daraus einen optimalen Stil abzuleiten. Man könnte meinen, dass es nützlich wäre, ein gutes soziales Gespür zu haben: Es hilft, Beziehungen aufzubauen, und zahlreiche Studien belegen, dass wir Stresshormone ausschütten, wenn wir viel allein sind. Dabei handelt es sich jedoch ebenfalls nur um Durchschnittswerte, und keine Studie hat sich mit den Menschen befasst, die sich allein sehr wohl fühlen. Alleinsein hat für sie wahrscheinlich keine gesundheitlichen Nachteile. Alles hängt davon ab, wie wir selbst uns damit fühlen.

Gibt es wissenschaftliche Daten, die beweisen, dass man sich wirklich ändern kann?

Die besten Belege dafür, dass wir unseren emotionalen Stil ändern können, stammen aus Studien über Meditationspraktiken. Eines der Merkmale ist zum Beispiel die Aufmerksamkeit, das Konzentrationsvermögen. Wie mehr als 100 solide Forschungsarbeiten zeigen, können wir uns darin verbessern, also lernen, uns weniger leicht ablenken zu lassen. Und zahlreichen anderen Arbeiten zufolge mindern Konzentrationsprobleme das Wohlbefinden. Offenbar ist es demnach durchaus möglich, den Geist zu trainieren und damit den emotionalen Stil zu verändern und Wohlbefinden zu fördern. Die Studien zeigen auch, dass man sich mit Meditation und weiteren Techniken auf den anderen Dimensionen ebenfalls entwickeln kann. Die besten Ergebnisse erzielt man für Resilienz und positive Emotionen.

»Mehr als 100 Forschungsarbeiten zeigen, dass wir lernen können, uns weniger leicht ablenken zu lassen«

Können Sie diese Techniken genauer beschreiben?

Einige Übungen sind inspiriert durch traditionelle Meditationspraktiken, aber umgewandelt in nichtreligiöse Formen. Um die Aufmerksamkeit zu trainieren, kann man sich etwa auf den Atem konzentrieren und jedes Einatmen und Ausatmen bewusst erleben. Jedes Mal, wenn die Gedanken abdriften, lenkt man sie wieder auf den Atem zurück. Wer lieber an seinen positiven Gefühlen arbeiten möchte, sollte Praktiken der Güte und des Mitgefühls einüben. Beispiel: Denken Sie an jemanden, den Sie mögen, einen Freund oder ein Familienmitglied. Stellen Sie ihn sich in einer schwierigen Phase seines Lebens vor und formulieren Sie den Wunsch, dass er von diesen Problemen befreit werden möge. Dazu können Sie in Gedanken einen einfachen Satz wiederholen: »Möge er frei von Leid sein.« Dann erweitern Sie den Wunsch schrittweise auf andere Personen.

Mönch im Hirnscanner | Richard Davidson (Mitte) und seine Kollegen Michael Anderle (links) und Antoine Lutz (rechts) bereiten den buddhistischen Mönch Matthieu Ricard 2008 für eine Untersuchung im Magnetresonanztomografen des Waisman Center an der University of Wisconsin-Madison vor.

Wie genau wirken diese Techniken?

Gemeinsam mit Kollegen haben wir beobachtet, dass dieses mentale Training die Funktionsweise und die Struktur des Gehirns verändert, besonders in den Regionen, die den verschiedenen Emotionsdimensionen zu Grunde liegen. Dazu haben wir Versuchspersonen vor und nach dem Einüben der Techniken im Magnetresonanztomografen untersucht. Die Praktiken für Güte und Mitgefühl etwa wirkten sich auf mehrere neuronale Schaltkreise aus, die für das Erleben positiver Gefühle entscheidend sind. Sie fördern vor allem Verbindungen zwischen dem Stirnhirn und dem Nucleus accumbens, dem Zentrum für Motivation und Freude. Und das nach nur sieben Stunden Training verteilt über zwei Wochen. Dementsprechend kann das Stirnhirn die Aktivität des Belohnungszentrums mehr unterstützen und so die positiven Emotionen andauern lassen.

Welche anderen Techniken neben der Meditation verändern den emotionalen Stil?

Einige Übungen stammen aus bewährten Behandlungsmethoden wie der kognitiven Therapie. Das Prinzip ist, über negative Ereignisse anders denken zu lernen. Wenn jemand etwa immer sich selbst die Schuld gibt, bringt man ihm bei, äußere Faktoren zu erkennen, die ebenfalls eine Rolle spielen. Das nennt man kognitive Neubewertung. Mehrere Studien belegen, dass dieses Training Veränderungen im Gehirn bewirkt. Letztlich kann man damit zwei Achsen des emotionalen Stils weiterentwickeln: Perspektive und Resilienz.

»Wenn Sie wenig üben, ändert sich auch nur wenig, aber wenn Sie oft und lange üben, verändern Sie sich sehr«

Wie groß sind die möglichen Veränderungen? Sind sie bedeutsam?

Ja, man kann damit viel erreichen. Lange Zeit glaubte man, das Gehirn könne sich nur wenig verändern. Aber mehrere neue Experimente haben gezeigt, dass der Spielraum größer ist als gedacht. Wenn man das Gehirn von Versuchspersonen betrachtet, die Zehntausende von Stunden meditiert haben, sieht man enorme Unterschiede zu den Kontrollprobanden. Natürlich haben diese Menschen, oft buddhistische Mönche, ein ungewöhnliches Leben geführt; wir können also nicht mit Sicherheit sagen, dass die Meditation die beobachteten Unterschiede tatsächlich verursacht. Doch andere Forschungsarbeiten, bei denen man das Gehirn von Meditationsnovizen vor und nach einer gewissen Meditationsdauer untersucht hat, vervollständigen das Bild. Nachdem wir diese Befunde gesichtet hatten, schlossen mein Kollege Daniel Goleman und ich daraus, dass das Ausmaß der Veränderung von der Intensität des Trainings abhängt. Wenn Sie wenig üben, ändert sich auch nur wenig, aber wenn Sie oft und lange üben, verändern Sie sich sehr.

Ab welchem Alter kann man an seinem Emotionsprofil arbeiten? Bringt es auch Kindern etwas?

Ja, schon ab einem Alter von vier bis fünf Jahren. Zu diesem Zweck haben wir ein eigenes Programm entwickelt, das »Kindness Curriculum« (Unterricht in Güte, Anm. d. Red.), und bieten es kostenlos im Internet an. Wir haben seine Wirksamkeit evaluiert, indem wir Kinder miteinander verglichen haben, die das Programm ein halbes Jahr durchlaufen oder aber nicht durchlaufen haben. Ergebnis: Das Programm steigert die Konzentration und das positive Erleben. Wir beobachteten auch vermehrt Empathie und die Bereitschaft, mit anderen zu teilen. Mit dieser Art von mentalem Training kann man schon sehr früh im Leben beginnen.

Lektüretipp

Richard Davidson, Daniel Goleman: Altered Traits. Science Reveals How Meditation Changes Your Mind, Brain, and Body. Avery 2017

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