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Sonnenphysik: Solare Neutrinos: Letztes fehlendes Glied nachgewiesen

Mit Hilfe des Detektors Borexino ist es Wissenschaftlern erstmals gelungen, die Neutrinos nachzuweisen, die während der Reaktion erzeugt werden, die am Anfang des Wasserstoffbrennens in der Sonne steht. Die Entdeckung der Neutrinos bei geringen Energien bestätigt unsere Vorstellung von den Fusionsprozessen in Sternen und könnte in Zukunft dabei helfen, die Sonne auf ihre Stabilität hin zu untersuchen.
Neutrinodetektor Borexino

Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen. Im Rahmen des Standardmodells der Teilchenphysik werden sie den Leptonen zugeordnet und kommen, ähnlich wie das Elektron, in drei Arten vor. Diese drei "Generationen" werden als Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos bezeichnet, unterscheiden sich in ihren Massen und treten mit anderer Materie kaum in Wechselwirkung. Neutrinos wurden erst im letzten Jahrhundert postuliert, als Physikern eine Unstimmigkeit in der Energiebilanz von radioaktiven Betazerfällen aufgefallen war.

Im Jahr 1960 gelang Forschern dann der erste Nachweis der so genannten solaren Neutrinos. Diese entstehen während der Kernfusion im Zentrum der Sonne, werden mit beinahe Lichtgeschwindigkeit abgestrahlt und erreichen rund acht Minuten später die Erde. Modellrechnungen sagen voraus, dass innerhalb einer Sekunde rund 60 Milliarden dieser Teilchen pro Quadratzentimeter auf die Erde auftreffen. Doch wegen ihrer geringen Reaktionswahrscheinlichkeit fliegen die meisten von ihnen durch sie hindurch. Deshalb werden zum Nachweis von Neutrinos große, gegen kosmische Strahlung abgeschirmte, Detektoren eingesetzt, um wenigstens einen kleinen Bruchteil von ihnen registrieren zu können.

Der Borexino Detektor | Der Prototyp des Borexino-Detektors zeigt einen Nylonballon, in dem sich die Detektorflüssigkeit befindet. Der endgültige Aufbau fasst rund 280 Tonnen der organischen Flüssigkeit, in der einfallende Neutrinos an Elektronen gestreut werden und dabei Lichtblitze erzeugen können.

Der Detektor Borexino wurde in internationaler Zusammenarbeit von Wissenschaftlern unterschiedlicher Institutionen entwickelt und ist seit 2007 in Betrieb. Den Kern des in den italienischen Abruzzen gelegenen Instruments bilden rund 300 000 Liter einer organischen Flüssigkeit, in der Lichtblitze entstehen, wenn einfallende Neutrinos an Elektronen gestreut werden. Die Lichtblitze werden in elektrische Signale umgewandelt und verstärkt, so dass die Nachweisgrenze des Detektors bei einer Energie von rund 50 Kiloelektronvolt liegt. Damit lassen sich verhältnismäßig energiearme so genannte pp-Neutrinos detektieren, die Energien unterhalb von 420 Kiloelektronvolt aufweisen. Diese machen rund 86 Prozent der gesamten solaren Neutrinos aus. Sie entstehen während der einleitenden Reaktion des in der Sonne hauptsächlich stattfindenden Kernfusionsmechanismus, der als Proton-Proton-Kette oder kurz auch als pp-Kette bezeichnet wird. Bei der Einstiegsreaktion, die zu über 99 Prozent die Energieerzeugungsrate der Sonne bestimmt, fusionieren zwei Protonen zu einem Deuteriumkern, wobei ein Positron und ein Elektron-Neutrino frei werden. Der gesamte Fusionsprozess von Wasserstoff zu Helium ist mehrstufig und kann auf unterschiedlichen Wegen ablaufen. Dabei entstehen bei Folgereaktionen erneut Neutrinos, die jedoch höhere Energien als die pp-Neutrinos aus der Eingangsreaktion aufweisen und die bereits bei früheren Messungen nachgewiesen wurden.

Mit Hilfe von Modellen zur Energieerzeugung in der Sonne lassen sich die zu erwartenden Anteile der nachgewiesenen Neutrinos bei unterschiedlichen Energien bestimmen, so dass es den Wissenschaftlern möglich war, aus der gemessenen Energieverteilung der detektierten Ereignisse auf die Anzahl der pp-Neutrinos zu schließen. Damit wiesen sie nicht nur zum ersten Mal direkt in der Sonne erzeugte pp-Neutrinos nach, sondern zeigten auch, dass der gemessene Fluss dieser sehr gut mit der Theorie übereinstimmt. Als Nächstes möchten die Forscher ihre Methoden verfeinern, um die Unsicherheit ihrer Ergebnisse zu mindern. Aktuell beträgt sie rund zehn Prozent. Das ist wichtig, um anhand von Vergleichen mit visuellen Beobachtungen die Stabilität der Sonne in Bezug auf ihre Strahlungsleistung zu ermitteln. Das ist möglich, weil die elektromagnetische Strahlung, die bei den Fusionsprozessen erzeugt wird, mindestens 100 000 Jahre benötigt, um das dichte Material der Sonne zu durchqueren. Damit zeugen Photonen vom Energieumsatz vergangener Epochen, während Neutrinos den aktuellen Zustand der Sonne widerspiegeln.

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  • Quellen
Borexino Collaboration, Nature Vol. 512, 2014

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