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Solarkraftwerke im All: Sonnenstrom von der Raumstation

Solarkraftwerke in der Erdumlaufbahn waren lange Zeit reine Sciencefiction. Doch nun sind sie technisch in Reichweite. Sie könnten unabhängig von Wetter und Tageszeit Energie zur Erde schicken.
Solarpaneele und Radiator der ISS vor der Erde.

In der Sciencefiction tauchte die Idee schon früh auf: In der Kurzgeschichte »Vernunft« des Autors Isaac Asimov von 1941 wird auf einer Raumstation fernab der Erde die Energie der Sonne aufgefangen und dann als konzentrierter Strahl zur Erde geschickt. Das Konzept klingt noch immer nach Sciencefiction, aber im Dezember 2021 brachte die Europäische Raumfahrtagentur Visionäre und Experten auf dem Feld der Solarkraftwerke im All zusammen, die allesamt die Einschätzung von Gastgeber Leopold Summerer teilten, dem Leiter für fortgeschrittene Konzepte bei der ESA: »Das Konzept ist bereit für einen industriellen Ansatz.«

Bis heute ähneln alle Entwürfe den ersten technischen Studien zur Solarkraft im All, die 1968 erschienen: In der geostationären Umlaufbahn, und somit immer über der gleichen Region auf der Erde schwebend, müsste eine mehrere Quadratkilometer große Struktur aus tausenden Fotovoltaikmodulen installiert werden. Die hier gewonnene Energie würden Solarkraftwerke dann in Mikrowellen umgewandelt in einem gebündelten Strahl zur Erde übertragen.

Die große Entfernung von 36 000 Kilometern und selbst die dichten Luftmassen und Wolken der Atmosphäre würden den Strahl nur leicht abschwächen. Am Boden wiederum würde die Strahlung von einer Mikrowellen-Antenne aufgefangen werden, einem Netzwerk aus so genannten Dipolantennen, also kleinen aufgerichteten Drähten. Diese müssten auf einer Fläche von wenigen Quadratkilometern verteilt stehen. Die Fläche ließe sich aber zeitgleich landwirtschaftlich nutzen: Weil der Strahl auf eine so große Fläche aufgeweitet wird, können die Mikrowellen im Umfeld weder Menschen noch Tieren oder Pflanzen schaden.

Die Energie wäre immer verfügbar

Die Technik könnte ein Problem der globalen Energiewende hin zu Netto-Null-Emissionen im Jahr 2050 lösen, worauf bei der ESA-Konferenz ein Vertreter der Internationalen Energieagentur hinwies. Nachts und bei ruhigem Wetter im Winter mangelt es an den global wichtigsten erneuerbaren Energiequellen Sonne und Wind. Im geostationären Erdorbit ist dagegen immer Tag, und das Kraftwerk im All könnte jederzeit gleichmäßig Energie liefern.

Zwar könnte man überschüssigen Strom auch mit massiv ausgebauten Großbatterien speichern, um sonnen- und windarme Zeiten zu überbrücken. Doch heute verfügbare Stromspeicher brauchen viele Jahre, um sich überhaupt zu amortisieren. Solarkraftwerke im All sind dagegen ressourcenschonender: Die Energie von dutzenden Raketenstarts wäre schon nach einigen Wochen der Operation wieder eingespielt. Energie aus dem Orbit könnte dazu in den Stromnetzen die Grundlast liefern und damit jene Rolle übernehmen, die heute Kohle- und Kernkraftwerke spielen.

Warum orbitale Solarkraftwerke bis heute kaum in Erwägung gezogen wurden, hängt mit ihren Dimensionen zusammen. »Man kann sie nicht klein bauen«, sagt Leopold Summerer, »weil die Antennen im All eine gewisse Größe brauchen, um die Energie zu übertragen. Das ist einfach Physik.« Diese Einschränkung macht Anlagen von ein bis zwei Gigawatt nötig, vergleichbar mit der Leistung eines Kernkraftwerks auf der Erde. Dafür wären im All Fotovoltaikzellen und Sendeanlagen auf einer Fläche von 15 Quadratkilometern nötig. Selbst bei Leichtbauweise käme eine Masse von 7600 Tonnen zusammen. Das entspricht dem 17-fachen Gewicht der Internationalen Raumstation, dem bislang größten im All montierten Einzelobjekt der Menschheit.

Billige Raketenstarts machen es möglich

Derart enorme Massen in den Orbit zu bringen, wäre lange Zeit viel zu teuer gewesen. Eine NASA-Studie ging 1997 von einem Startpreis von höchstens 400 Dollar pro ins All befördertem Kilogramm aus, bevor der erzeugte Strom mit dem aus irdischen Kraftwerken konkurrieren könnte. Damals lagen die Startkosten bei 20 000 Dollar pro Kilogramm. Doch seither sind die Preise einzelner Raketen rapide gesunken. Die Preise von SpaceX, dem aktuellen Marktführer für Raketenstarts, liegen mit wenigen tausend Dollar pro Kilogramm nicht mehr weit vom Zielwert entfernt.

Auch die Entwicklung von Solarzellen hat in den letzten drei Jahrzehnten immense Fortschritte gemacht. Die neueste Generation von Fotovoltaikmodulen für die Raumfahrt kann 30 Prozent des einfallenden Sonnenlichts verwerten. Solche Solarzellen müssten eingerollt und gefaltet werden, um dann im Orbit als extraterrestrisches Hightech-Origami automatisch in Form gebracht und von Robotern montiert zu werden – denn Flüge astronautischer Monteure in den geostationären Orbit würden die Technik zu sehr verteuern.

Auch die Wartung müsste autonom erfolgen: Weil Strahlung und Meteoriten immer wieder einzelne Module beschädigen, wäre eine ständige Reparatur an Teilen des orbitalen Kraftwerks notwendig. Dazu kommt die Gefahr durch Weltraumschrott, der aber im geostationären Orbit weniger riskant ist als auf niedrigen Bahnen, weil sich hier die meisten Teile mit annähernd gleicher Geschwindigkeit bewegen.

Das wichtigste Problem: die Übertragung zur Erde

Die wohl größten Fragen wirft derzeit noch die Übertragung mittels Mikrowellen zum Boden auf. Nach Jahrzehnten der Laborversuche gelang es zwar 2008 einem Team von japanischen und US-amerikanischen Forschern, kleinere Energiemengen zwischen zwei Vulkanbergen von Hawaii über 148 Kilometer zu übertragen. Doch im All müsste eine vielfach stärkere Antenne konstruiert werden. Denkbar wäre, in die einzelnen Fotovoltaikmodule kleine Mikrowellenantennen einzubauen, die dann über eine Software zu einem konzentrierten Strahl zusammengeschaltet werden. Solche phasengesteuerten Antennen sind in der Radartechnik weit verbreitet, müssten aber zur exakten Übertragung zum Erdboden millimetergenau zueinander ausgerichtet werden, was bei einer quadratkilometergroßen und hauchdünnen Struktur mitten im Orbit nicht ganz einfach wäre.

Außerdem wirft die Mikrowellentechnik auch politische Fragen auf. Die Strahlung könnte den Funkverkehr am Boden und von anderen Satelliten stören, während bereits heute Funkfrequenzen knapp sind und deren internationale Regulierung immer schwieriger wird. Dennoch plant Chinas Regierung, schon bis 2030 ein erstes Versuchskraftwerk im All zu errichten.

Auch in den USA, Japan, Australien und Südkorea arbeiten Gruppen an einzelnen Komponenten der Solarkraftwerke. So weit ist Europa noch nicht. Abgesehen von Großbritannien gibt es hier keine Anstrengungen. Für Leopold Summerer liegt die erste Hürde daher an einer anderen Stelle: »Ein solches Kraftwerk ist kein klassisches Projekt für eine Raumfahrtagentur«, sagt er. Stattdessen müssen nun Energieunternehmen erkennen, dass die Beschäftigung mit dem Weltraum nicht nur mit Sciencefiction zu tun hat.

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