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News: Sonderunterricht hemmt die Karriere

Schulversager, die in normalen Klassen integriert bleiben, haben bessere Chancen in ihrer späteren Berufslaufbahn als solche aus speziellen Kleinklassen. Dieses Fazit ziehen Forscher aus einer Langzeitstudie, für die sie 68 junge Erwachsene mit früheren Schulschwächen befragten. Ab wann und wie lange leistungsschwache Schüler gesondert geschult werden, scheint für ihr Berufsniveau ebenfalls eine Rolle zu spielen.

Erstmals in der Schweiz konnten Forscher des Heilpädagogischen Instituts der University of Fribourg/Switzerland ehemalige Schulversager über mehrere Jahre auf ihrem Weg ins Berufsleben verfolgen. Diese waren 1986 als Elfjährige für ein Forschungsprojekt zur schulischen Integration und Separation von leistungsschwachen Schülern ausgewählt worden. Ein Teil von ihnen wurde nach der obligatorischen Schulzeit im Jahr 1993 und ein zweites Mal 1997 erneut befragt. An dieser Langzeituntersuchung nahmen 68 ehemals schulschwache junge Erwachsene freiwillig teil, davon 29 Frauen.

Von den befragten ehemaligen Schulversagern hatten 36 in ihrer Schulzeit eine Kleinklasse – eine Sonderklasse für Lernbehinderte – besucht. Die übrigen 32 verbrachten ihre Schulzeit in Regelklassen, teils mit und teils ohne besondere Stützmassnahmen. Beide Gruppen waren in Bezug auf ihr Schulversagen vergleichbar, die Leistungsschwächen der Kleinklassenschüler also nicht schwerwiegender als jene der Regelschüler. Die jeweils gewählte Schulform war damit offenbar nicht von der individuellen Schul- oder Intelligenzleistung eines Kinds abhängig, sondern von den Umständen im örtlichen Schulsystem.

Kurz nach der obligatorischen Schulzeit haben alle ehemals schulschwachen Jugendlichen vorerst eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle gefunden. Doch zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischen dem Besuch einer normalen Schulklasse und dem Berufsniveau der Jugendlichen: 29 der 32 integriert geschulten Personen haben 1993 eine Berufslehre angefangen, eine besuchte die Mittelschule und zwei waren ohne Ausbildung. Dagegen machten von den 36 Jugendlichen, die eine Kleinklasse besucht hatten, nur 22 eine Lehre, sechs eine Anlehre, einer ging in die Mittelschule und sieben waren ohne Ausbildung, arbeiteten also in ungelernten Berufen.

Noch etwas deutlicher war der positive Zusammenhang zwischen integrierter Schulung und Berufslaufbahn bei der Befragung im Jahr 1997: 30 der 32 integriert unterrichteten ehemaligen Schulversager hatten unterdessen eine Lehre abgeschlossen oder angefangen, einer besuchte die Mittelschule und nur einer blieb ohne Ausbildung. Von den 36 ehemaligen Schulversagern aus Kleinklassen machten 21 eine Lehre, neun eine Anlehre, einer besuchte die Mittelschule und fünf waren ohne Ausbildung.

Nach Meinung der Forscher legen die Studienergebnisse einen vorsichtigen Umgang mit der Einweisung in spezielle Kleinklassen im Hinblick auf die spätere Berufslaufbahn von Schulversagern nahe. Zur Verbesserung der Situation von Abgängern aus Kleinklassen sollten die Sonderschulen eine speziell berufseinführende Schulstufe anbieten, die nicht automatisch mit der Schulpflicht beendet ist.

Für ein Überdenken der Berufssituation von separierten Schulversagern sprach auch ein weiteres Resultat der Untersuchung: Je früher und je kürzer die Kinder in Kleinklassen unterrichtet wurden, desto höher war ihr späteres Berufsniveau. So absolvierten zehn der 13 Jugendlichen, die nur in der Primarstufe eine Kleinklasse besucht hatten, eine Berufslehre. Von jenen, die in der Sekundarstufe in eine Sonderklasse geschickt worden waren, machten drei von sechs eine Lehre, und von jenen, die in beiden Stufen im Sonderschulsystem unterrichtet worden waren, acht von siebzehn.

In Punkto Berufsniveau und Geschlecht der ehemals schulschwachen Jugendlichen stellten die Forscher eher wenig Unterschiede fest. Doch wenn nach dem Schulabschluss eine Zwischenlösung anstand, wählten junge Männer eher ein Berufswahljahr oder Werkjahr und setzten sich so aktiv mit der Berufswahl auseinander. Junge Frauen entschieden sich dagegen zum Überbrücken meist für ein Haushaltlehrjahr, was die Berufswahl allerdings zu erschweren schien: Vier der sieben jungen Frauen mit abgeschlossenem Haushaltlehrjahr arbeiteten noch Ende 1997 in ungelernten Berufen. Ein weiterer geschlechtsspezifischer Unterschied zeigte sich in der Breite der von den untersuchten Jugendlichen anvisierten Berufe: Die 39 jungen Männer ergriffen 22 unterschiedliche Lehr- und vier verschiedene Anlehrberufe, während die Gruppe der 29 jungen Frauen insgesamt 13 Lehr- und zwei Anlehrberufe wählte.

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