Direkt zum Inhalt

News: Sonnenritual der Inkas erhellt

Viele Lateinamerika-Gelehrte vermuten, daß die Inkas große steinerne Säulen benutzten, um die Stellung der Sonne zu den Sonnenwenden in Juni und Dezember zu beobachten. Jetzt entdeckten Archäologen zum ersten Mal außerhalb der Inkahauptstadt Cusco Steinsäulen und Artefakte, die Licht in das Dunkel um die Sonnenrituale der Inkas bringen könnten.
Machu Picchu

Als sie archäologische Stätten der vorspanischen Zeit auf der "Sonneninsel" im Titicaca-See aufnahmen, entdeckten Brian Bauer von der University of Illinois at Chicago, David Dearborn vom Lawrence Livermore National Laboratory und ihre Kollegen die Überreste zweier Steinsäulen. In deren Nähe fanden sie einen großen Plattformbereich direkt außerhalb eines Heiligtums. Archäologische und astronomische Untersuchungen lassen nun vermuten, daß die Inkas den Ort benutzten, um den Herrschaftsanspruch ihrer Elite durch komplizierte Sonnenrituale zu festigen – vielleicht durch einen zweistufigen Kult (Latin American Antiquity vom 24. September).

In frühen 15. Jahrhundert dehnte sich das Inkareich – der größte Staat, der sich auf dem amerikanischen Kontinent bilden sollte – in die Region des Titicaca-Sees im heutigen Peru und Bolivien aus. Dort ergriff es Besitz von der "Sonneninsel", die zuvor unter lokaler Herrschaft stand. Die Insel und ein heiliger Fels, von dem die Einheimischen glaubten, er sei der Geburtsplatz der Sonne, waren jahrhundertelang der Brennpunkt des Sonnenkults, erklärt Bauer. Unter den Inkas wurde die Sonneninsel zu einer der wichtigsten Pilgerstätten Südamerikas. Die Inka-Adeligen wie auch das einfache Volk reisten zu der Insel, um auf dem Hauptplatz eines Tempels in der Nähe des heiligen Felsens ihren Göttern zu huldigen und Opfer darzubringen, führt der Wissenschaftler aus.

Die Untersuchungen des Teams weisen darauf hin, daß sich zur Sommersonnwende der Inka-König und hohe Priester des Reiches auf einem kleinen Platz neben dem Felsen versammelten, um den dramatischen Sonnenuntergang zwischen den steinernen Säulen mitzuerleben. Während die Elite so der Sonne vom Inneren des Heiligtums heraus Ehre erwies, beobachteten die Pilger aus niedrigeren Gesellschaftsklassen das Ereignis anscheinend von einer zweiten Plattform außerhalb der Tempelmauern aus. Für diese Gläubigen versank die Sonne aus ihrer Perspektive zwischen den Steinsäulen direkt über der herrschenden Elite, die sich selbst "Kinder der Sonne" nannte.

Die Forscher vermuten, daß die Plattform außerhalb der Tempelmauern die Trennung der herrschenden Klasse von den unteren Gesellschaftsschichten repräsentiert. Ihrer Ansicht nach fügt der Fund den Praktiken des Sonnenkults eine neue Dimension hinzu, die in Berichten über ähnliche staatliche Rituale in der Hauptstadt Cusco nicht erwähnt wird. Während beide Gesellschaftsgruppen die Sonne anbeteten, bezeugten die unteren Klassen gleichzeitig den "Kindern" der Gottheit ihren Respekt.

Nach Vorstellung der Wissenschaftler sah der Kultort folgendermaßen aus: Die zwei Steinsäulen standen auf einem natürlichen Kamm 600 Meter nordwestlich des heiligen Felsens. Der rechteckige Platz, der an den Felsen anschloß, war etwa 80 Meter lang und 35 Meter breit, wobei die lange Seite in Richtung der Sommersonnwende wies. Nördlich und östlich versperrte eine Tempelmauer den Zugang zu dem Heiligtum, das nur durch ein Tor betreten werden konnte. Der zweite Platz, der für alle Pilger frei zugänglich war, befand sich direkt außerhalb der Mauern, etwa 250 Meter südöstlich des Platzes am heiligen Felsen.

Die Überreste der Steinsäulen ähneln jenen bei Cusco, die spanische Chronisten des 16. Jahrhunderts beschrieben, erläutert Bauer. Diese waren so groß, daß sie noch aus 15 Kilometern Entfernung gegen den Sonnenuntergang zu sehen waren. Ein solches Säulenpaar markierte den Ort, an dem die Sonne zur Sonnwende im Juni versinkt – den nördlichsten Punkt, an dem sie den Horizont durchquert. Der Bereich, in dem die Säulen standen, wurde allerdings durch Plünderungen direkt nach der Eroberung und durch zeitgenössisches Städtewachstum zerstört, bedauert der Archäologe.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.