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Soziale Vergleiche: Das Leben der anderen auf Insta

Schüchterne Menschen tun sich schwer damit, auf andere zuzugehen. Das Internet macht es ihnen leichter, schürt aber zugleich soziale Unsicherheit, schreibt Anne Otto in ihrem neuen Buch »Die Kraft der Unsicherheit«.
Jugendliche sitzt auf dem Bett und schaut auf ihr Smartphone
Die ständige Konfrontation mit dem scheinbar perfekten Leben der anderen tut dem Selbstwertgefühl nicht gut. (Symbolbild)

Digitale Medien im Allgemeinen und soziale Medien im Besonderen sind für Menschen mit sozialen Unsicherheiten eine zwiespältige Sache. Zum einen gibt es Studien, die zeigen, dass Menschen mit sozialen Ängsten und ausgeprägten Rückzugstendenzen durch die digitalen Möglichkeiten auf eine niederschwellige Art am Sozialleben teilnehmen können. Wenn sie selbst aktiv sind, Kommentare auf Instagram oder Facebook posten oder sich in WhatsApp-Gruppen vernetzen, fühlen sie sich zum Teil nachweislich wohler und von anderen verstanden. Einige sozial unsichere Menschen zeigen sich mit ihren Ängsten auch offen in den Medien und bekommen dort Support.

Dieser offene und aktive mediale Umgang mit der eigenen Angst kann entlastend sein. Die Entstigmatisierung, der Kontakt mit anderen und die selbstbestimmte Kommunikation stärken Betroffene. Hier zu Lande gibt es zum Beispiel die Influencerin @mutsammlerin, die zu ihrer sozialen Angst und ihrem alltäglichen Leben auf Instagram regelmäßig Posts und Fotos teilt. Sehr aktiv ist auch der TikToker @janmkl mit mehreren hunderttausend Followern. Er erstellt unterhaltsame Reels zu seiner sozialen Phobie, die zum Beispiel auf dem Beifahrersitz seines Autos mitfährt und ihn daran hindert, sich im Fastfood-Restaurant einen Burger zu bestellen.

Doch diese Art der offenen Auseinandersetzung ist nicht für alle eine Lösung. Nicht immer bietet das Netz Trost und Support. Andere Studien, auch zu Dating-Apps, die von schüchternen und sozial ängstlichen Menschen genutzt werden, legen darüber hinaus den Schluss nahe, dass es für sozial unsichere Menschen zwar leichter ist, beim Dating im Netz mitzumachen, als sich in einen Klub zu stellen. Das heißt aber nicht unbedingt, dass es so auch einfacher ist, wirklich einen Partner oder eine Partnerin kennen zu lernen, mit dem oder der eine Beziehung entsteht. Ob für sozial ängstliche Menschen die Kontakt- und Dating-Möglichkeiten im Netz tatsächlich eine Chance sind, mit anderen in erfüllenden Kontakt zu kommen, ist von vielen Faktoren abhängig. Die Plattform allein stellt noch keine Verbundenheit her. Man nimmt sich überall mit hin. Auch ins Netz.

Die Bilder der anderen befeuern Minderwertigkeitsgefühle, können Neid auslösen oder das Gefühl, etwas zu verpassen

Was allerdings eindeutig ist: Das Grundrauschen und die Art der Selbstdarstellung in den sozialen Medien ist für sozial ängstliche Menschen belastend. Die unzähligen Infos, Storys, Feeds und Posts, die uns am Tag erreichen, sind so gestrickt, dass sie fast immer soziale Vergleiche anstoßen, Fragen auslösen wie »Bin ich besser oder schlechter?«, »Sollte ich das, was diese Person macht, auch machen?« oder »Bin ich außen vor?«. Die Bilder oder Ansichten der anderen befeuern Minderwertigkeitsgefühle und Optimierungsimpulse, können Neid auslösen oder das Gefühl, etwas zu verpassen (oft abgekürzt mit FOMO für »fear of missing out«). Die 360-Grad-Sicht auf die Welt und die Echtzeit-Begleitung anderer Menschen rufen latente Unsicherheiten und viele andere Emotionen hervor. So belegt die Studie eines Forscherteams um den Gesundheitswissenschaftler Brian A. Primack von der Oregon State University, dass soziale Ängste zunehmen, wenn Menschen viele unterschiedliche interaktive Medienplattformen nutzen.

Weshalb allein die Masse an Infos von anderen schon die Unsicherheit verstärkt, ist leicht nachvollziehbar, wenn man sich vor Augen hält, was man beim ersten morgendlichen Blick durch verschiedene Plattformen bereits alles mitbekommt: Da mischen sich Spendenaufrufe und Nachrichten von Kriegsschauplätzen mit den Insta-Bildern von Freunden, die gerade auf Teneriffa ausspannen oder eine Party gefeiert haben, unten blinkt eine Bauchfett-weg-Werbung. Der eigene Beitrag auf LinkedIn hatte nur 20 Aufrufe, dafür hat eine Firmenkollegin gepostet, dass sie einen neuen Job in einer Führungsetage hat. Und in einer WhatsApp-Gruppe der Nachbarn posten alle Terminvorschläge für das nächste Hausfest und schicken Bilder von ihren Kindern oder von Aktivitäten am Wochenende mit; für manches hagelt es Smileys, Lachtränen-Emojis und Herzen, bei anderen ist die Resonanz dünn. Und die beste Freundin lässt eine Nachricht auf dem Status »gelesen« hängen. Bevor der Tag richtig losgeht, ist man schon mit 5, 10 oder 20 Vergleichen und Bewertungen beschäftigt.

Dem digitalen Leben Grenzen setzen

Auch Menschen, die sozial ein dickes Fell haben, werden von diesem Überhang an Sozialinfos zu Vergleichen verleitet, die dem Selbstwertgefühl nicht guttun. Für unsichere Menschen sind die permanenten Selbstbewertungen allerdings besonders stressig. Viele haben mir erzählt, dass sie sich selbst eine strikte Begrenzung von digitalen Infos und sozialen Medien verordnet haben. Sie gehen – solange es der Job zulässt – nur zu bestimmten Zeiten online. Andere melden sich ganz ab oder machen nur das Nötigste. Ein bewusster oder begrenzter Umgang mit Social Media hilft im Wesentlichen dabei, nicht stündlich in neue Vergleichsprozesse hineingezogen zu werden. Meine Gesprächspartnerinnen und -partner sagten durchweg, dass es ihnen so gelingt, mehr bei sich zu bleiben, zu spüren, was für sie selbst ansteht. Diese Selbstfürsorge stärkt das Selbstbewusstsein.

Die starken Emotionen und Verunsicherungen, die durch soziale Medien ausgelöst werden, haben auch mit der Frage zu tun, wie wir selbst mit den Plattformen umgehen wollen: Was soll ich posten? Wie will ich gesehen werden? Wie soll ich mich darstellen? Alles Fragen, die für Menschen, die ohnehin ein bisschen Angst vor Bewertung haben, schwer zu beantworten sind, zumindest oft nicht auf eine spontane oder unbeschwerte Weise. Die häufig oberflächlichen und ausschnitthaften Darstellungen des Lebens der anderen verleiten dazu, sich auch selbst keine Blöße zu geben.

Sozial unsichere Menschen gehen sehr streng mit sich ins Gericht

Der Psychotherapeut Andreas Knuf hat in seiner Praxis mehrfach erlebt, dass Menschen, die mit sozialer Unsicherheit zu tun haben, sehr streng mit sich ins Gericht gehen, vor allem wenn es um Selfies, Videos von Gruppen oder Gruppenbilder geht. Manchmal arbeitet man in der Psychotherapie dann daran, einen anderen Umgang mit Fotos von sich selbst zu bekommen. So kann es helfen, andere um ihre Meinung zu fragen und diese Wahrnehmung auch ernst zu nehmen. Oder auszuhalten, wenn mal ein Bild veröffentlicht wird, auf dem man sich selbst nicht optimal findet.

Im Leben außerhalb von Praxis- und Beratungsräumen versuchen viele unsichere Menschen dagegen, sich offensiv für Fototermine zu wappnen. Eine Interviewpartnerin erzählte mir: »Wenn ich wusste, dass bei einem privaten Anlass Gruppenbilder fürs Netz gemacht wurden, habe ich vorher schon tagelang überlegt, was ich anziehe.« Ein anderer sagte: »Ich mag mich auf Fotos nicht – ich sorge also dafür, dass ich auf keinem drauf bin.« Eine Dritte erzählte, dass sie nach Festen und Veranstaltungen alle Bilder akribisch danach absucht, ob sie darauf zu sehen ist: Ist sie häufig abgebildet, wird sie unsicher, weil sie ihr Aussehen nicht mag. Ist sie selten abgebildet, fürchtet sie, keinen guten Stand in der Gruppe zu haben. So weit, so ungut.

Wenn der Vergleich mit anderen im Netz für Sie ein relevantes Thema ist – und das wird wahrscheinlich umso stärker der Fall sein, je jünger Sie sind –, dann kann es ratsam sein, die Zeit, die Sie mit sozialen Medien verbringen, auf ein verträgliches Maß zu reduzieren. Oder einmal in Ruhe zu überlegen, welche Kanäle Sie abonniert haben und wie viele Plattformen ausreichen. Oder wie man mit Fotos, auf denen man sich nicht super findet, umgehen will.

Selten und selbstbestimmt

Fünf Anregungen zum Umgang mit den sozialen Medien

  1. Weniger ist mehr. Suchen Sie sich unter den üblichen Verdächtigen eine oder zwei Plattformen, bei denen Sie unbedingt dabei sein oder bleiben wollen, auf die Sie nicht verzichten können. Die anderen deaktivieren Sie! Denken Sie daran: Die Verunsicherung durch Vergleiche wächst, je mehr Kanäle man täglich abruft.
  2. Wozu denn? Überlegen Sie, warum die wenigen Kanäle, die Sie behalten, für Sie wichtig sind. Sind dort gute Freundinnen und Freunde? Gibt es Infos, die Sie weiterbringen? Zeigen oder verkaufen Sie dort etwas, was mit Selbstwertthemen wenig zu tun hat? Lernen Sie potenzielle Partnerinnen oder Partner kennen oder ist es schlicht praktisch? Finden Sie zwei gute Argumente, warum Sie regelmäßig Zeit auf der Seite verbringen. Fokussieren Sie sich auf diese Aspekte, wenn Sie herumscrollen.
  3. Was ins Schaufenster passt. Wie wollen Sie im Netz sichtbar sein? Was möchten Sie zeigen oder posten? Suchen Sie Formen, die für Sie passen. Posten Sie ausgewählte Dinge oder Grafiken und Symbolbilder statt Fotos von sich. Schreiben Sie gelegentlich etwas zu einem Thema, das Sie interessiert oder mit dem Sie sich sehr gut auskennen. Selten, aber bewusst mitmachen ist oft stärkender, als ständig passiv beim Leben der anderen zuzugucken.
  4. Wie es andere machen. Verfolgen Sie die Profile anderer Menschen, die eher schüchtern, introvertiert oder gehemmt sind, sich im Netz aber geschickt bewegen und gut in Szene setzen. Suchen Sie sich eine Person, von der Sie sich etwas abgucken können, und setzen Sie Kleinigkeiten um.
  5. Wochenweise Detox. Sie brauchen für ein Vorhaben all Ihren Mut und können keine zusätzliche Verunsicherung brauchen? Dann kann es passend sein, für einige Tage oder auch Wochen in den Digital-Detox-Modus zu wechseln. Sich ab und zu blockweise und konsequent dem vielen sozialen Input zu entziehen, kann für alle entlastend sein, auch für die Selbstsicheren.

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  • Quellen

Fengxia, L et al.: Relationship between social media use and social anxiety in college students. International Journal of Environmental Research and Public Health 20, 2023

O’Day, E. B., Heimberg, R.G.: Social media use, social anxiety, and loneliness: A systematic review. Computers in Human Behavior Reports 3, 2021

Primack, B.A. et al.: Use of multiple social media platforms and symptoms of depression and anxiety. Computers in Human Behavior 69, 2017

Prizant-Passal, S. et al.: Social anxiety and internet use – A meta-analysis. Computers in Human Behavior 62, 2016

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