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News: Sprachliche Feinheiten

Schimpansen können es nicht, Orang-Utans können es nicht, und Mäuse können es auch nicht: Sprechen. Dabei brachten offenbar nur winzige Veränderungen in einem allen gemeinsamen Protein den Menschen ihre Sprache.
Es wird so gern gefragt: Was unterscheidet den Menschen von den Tieren? Will man ihn wirklich als etwas Besonderes betrachten, kommt häufig die Antwort: die Sprache. Denn Tiere können zwar auf verschiedene Weisen miteinander kommunizieren, doch die fein differenzierten Bewegungen von Kehlkopf, Mund und Gesichtsmuskeln, die uns die Artikulation vielfältiger Laute ermöglichen, scheinen einzigartig für den Menschen. Selbst unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, sind dazu nicht in der Lage.

Wie aber kam der Mensch zu dieser Eigenheit? Als Forscher Patienten mit Sprachstörungen untersuchten, stießen sie im Jahr 2001 auf das Gen FOXP2, das offenbar ganz grundlegend für die Sprachentwicklung ist. Denn weicht dessen Sequenz von der normalen Basenfolge ab, bezahlen die Betroffenen mit erheblichen Schwierigkeiten beim Sprechenlernen. Welche Rolle das Genprodukt – ein Transcriptionsfaktor, der das Ablesen anderer Gene regelt – dabei spielt, ist allerdings noch unklar.

Nun tritt das aus dem Gen resultierende Protein FOXP2 keineswegs nur beim Menschen auf; Menschenaffen und Affen tragen es genauso wie Mäuse und wahrscheinlich noch viele andere Säugetiere. Der Unterschied musste also im Detail stecken – und jene kleine, aber feine Differenz haben Wolfgang Enard vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und seine Kollegen nun aufgespürt.

Die Forscher verglichen zunächst die Aminosäure-Sequenzen des jeweiligen Proteins bei Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans, Rhesusaffen und Mäusen. Betrachteten sie dabei allein die relevanten Abschnitte, unterschieden sich die beiden Eiweiße von Maus und Mensch nur in drei Bausteinen. Die Proteine der Rhesusaffen, Gorillas und Schimpansen waren identisch und differierten zum dem der Maus an nur einer Stelle, während sie sich vom dem menschlichen Vertreter durch zwei Abweichungen auszeichneten. Orang-Utans hingegen lagen etwas weiter entfernt: Ihr FOXP2 stimmte mit dem der Maus an zwei und mit dem des Menschen an drei Punkten nicht überein.

Nun bedeuten drei abweichende Aminosäuren in einem Protein noch nicht unbedingt eine große Veränderung, doch in diesem Fall könnten sie den entscheidenden Schritt ermöglicht haben. Denn als die Wissenschaftler aus den Sequenzen die Sekundärstruktur ableiteten, waren die tierischen Varianten nahezu identisch. Bei dem menschlichen Vertreter zeigte sich jedoch eine zusätzliche mögliche Bindungsstelle für das Anhängen einer Phosphatgruppe, die bei der Steuerung der Transkription – der eigentlichen Aufgabe von FOXP2 – bedeutend sein könnte. Bei verwandten Proteinen von FOXP2 ist Phosphorylierung jedenfalls ein wichtiger Mechanismus.

Auffällig ist, dass in den 70 Millionen Jahren der getrennten Entwicklung von Mäusen und Menschen nur eine Veränderung auftrat, während in den letzten fünf Millionen Jahren, die Schimpansen und Menschen nun eigene Wege gehen, gleich zwei Abweichungen erfolgten. Also berechneten die Forscher, mit welcher Rate sich Veränderungen im Erbgut tatsächlich auf die Aminosäuresequenz von Proteinen auswirkte – und stellten dabei fest, dass diese beim Menschen anstieg, während sie bei den Tieren konstant blieb. Die entsprechenden genetischen Mutationen wurden also in der Evolution gefördert und konnten sich schnell in der Population ausbreiten.

Wann genau dies geschah, bleibt noch im Dunkeln. Mithilfe eines Modells des Populationswachstums unserer Vorfahren schließen Enard und seine Kollegen aber, dass sich das veränderte Gen in den letzten 200 000 Jahren im menschlichen Genpool etabliert hat – und damit in etwa zeitgleich mit der Evolution des anatomisch "modernen" Menschen. Womöglich war damit die Triebfeder für die Ausbreitung des modernen Menschen die Entwicklung einer leistungsfähigen Kommunikation – die gesprochene Sprache.

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