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Grönland: Spuren einer großen Schmelze

Vor rund einer Million Jahren taute der grönländische Eisschild offenbar großteils ab. Er könnte weniger stabil sein als gedacht.
Grönland ohne Eisschild

Grönland ist in den zurückliegenden 1,1 Millionen Jahren wohl mindestens einmal eisfrei gewesen. Dies berichten Forscher um Andrew Christ von der University of Vermont in der Fachzeitschrift »PNAS«. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass der grönländische Eisschild empfindlicher auf steigende Temperaturen reagiert als bisher angenommen. Würde er heute vollständig abschmelzen, stiege der Meeresspiegel weltweit um etwa sechs Meter, was Küstenregionen und -städte überfluten würde.

Das Team hat einen Bohrkern untersucht, der 1966 im Nordwesten Grönlands geborgen wurde. Der Kern enthält einen Querschnitt des Eisschilds, der an dieser Stelle 1,4 Kilometer dick ist, sowie einige Meter des Bodens darunter. Darin haben die Wissenschaftler diverse Pflanzenreste entdeckt, darunter Ästchen von Krähenbeeren sowie Blättchen und Stämmchen verschiedener Moose. Es sind die Überbleibsel eines tundraähnlichen Ökosystems, das vor langer Zeit existierte.

Verräterische Isotope

Die Wissenschaftler haben in dem Sediment das Mengenverhältnis von Isotopen zweier Elemente ermittelt: 26Al, einer Form des Aluminiums, und 10Be, einer Beryllium-Variante. Beide entstehen durch kosmische Strahlung an der Oberfläche von Gesteinen und zerfallen anschließend unterschiedlich schnell. Ihr Verhältnis im Boden sagt etwas darüber aus, wann er letztmals unter offenem Himmel frei lag. Im Nordwesten Grönlands scheint das den Messungen zufolge nicht länger her zu sein als 1,1 Millionen Jahre. Damals könnte die Vegetation gewachsen sein, deren Spuren heute nachweisbar sind.

Eine Analyse der Sauerstoffisotope 18O und 16O stützt die These zusätzlich. Die beiden Isotope unterscheiden sich in ihrer Masse, ihre Mengenanteile geben daher Auskunft über frühere Verdunstungsraten und Prozesse der Isotopentrennung – beispielsweise regnen Wassermoleküle, die das schwerere 18O enthalten, tendenziell eher aus. Das 18O/16O-Verhältnis in dem Bohrkern aus Nordwestgrönland legt nahe, dass der Niederschlag, der das Sediment einst tränkte, nicht dort fiel, wo heute die Oberfläche des Eises ist, sondern in deutlich geringerer Höhe – und er fiel bei höheren Temperaturen, als sie derzeit in Grönland herrschen. Auch das spricht nach Ansicht der Forscher dafür, dass der Eisschild damals nicht existierte.

Bohrkerne aus dem Inneren Grönlands belegen, dass dort die Sedimentschicht unter dem Eis ähnliche Isotopenverhältnisse aufweist wie im Nordwesten der Insel, schreiben Christ und sein Team. Vermutlich seien die Gletscher in beiden Regionen – und wohl auch in anderen Landesteilen – zeitgleich verschwunden. Möglicherweise, so die Wissenschaftler, geschah das während einer rund 30 000-jährigen Warmzeit vor gut einer Million Jahren. Damals erreichte der Meeresspiegel eine Rekordhöhe, und in Nordostsibirien stieg die Temperatur.

Sollten die Schlüsse der Forscher zutreffen, würde das bedeuten, dass der grönländische Eisschild sensibler gegenüber Klimaänderungen ist als bislang angenommen. Tatsächlich mehren sich Anzeichen dafür, dass die Eisverluste auf der Insel rapide zunehmen.

Der Name Grönland (»Grünland«) leitet sich übrigens nicht davon ab, dass die Insel einmal ohne Eis war. Er entstand im Mittelalter und somit hunderttausende Jahre nach den mutmaßlich eisfreien Episoden. Grönland besaß im Mittelalter – ebenso wie heute – einige eisfreie Küstenstreifen. Darauf verwies der Name, sofern er die Verhältnisse vor Ort überhaupt beschreiben und nicht beschönigen sollte. Der weitaus größte Teil der Insel liegt unter einem dicken Eispanzer, der zehntausende Jahre alt ist.

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