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Stalking: Vom Freund zum Feind

Mehr als zehn Prozent aller Deutschen wurden bereits über längere Zeit hin gezielt verfolgt und sogar bedroht, häufig vom eigenen Expartner. Wie können sich die – meist weiblichen – Betroffenen schützen?
Eine Frau wird verfolgt
Wer gestalkt wird, sollte zur Stärkung seiner persönlichen Sicherheit Nachbarn, Freunde und Kollegen informieren.

Anna hat sich nach mehreren Jahren von Peter getrennt und deutlich gemacht, dass sie keinen Kontakt mehr wünscht. Dennoch ruft ihr Expartner sie immer wieder an. Er teilt ihr mit, dass er sie noch liebt und bittet um eine weitere Aussprache. Anna geht nicht mehr ans Telefon und blockiert Peters Nummer. Dann findet sie einen Brief von ihm im Briefkasten. Er sei so verzweifelt, dass er daran denke, sich umzubringen, wenn sie sich nicht noch einmal mit ihm treffe, schreibt Peter. Auch darauf geht Anna nicht ein. Bei Gericht erwirkt sie eine Verfügung, die Peter eine weitere Kontaktaufnahme untersagt. Kurz darauf fängt er Anna vor ihrer Wohnung ab, spricht sie aggressiv an, was sie ihm antue und dass sie das noch bereuen werde.

Dieses fiktive Szenario beschreibt einen typischen Fall von Stalking, wie es sich in Deutschland tagtäglich ereignet. Das Verhalten äußert sich darin, dass ein Stalker einen anderen Menschen belästigt, verfolgt und bedroht. Betroffene versetzt das in Angst. Stalking kann gewalttätig eskalieren, und in seltenen Fällen kommt es sogar zu Tötungsdelikten.

Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI) habe ich in einer 2005 veröffentlichten Studie die Häufigkeit von Stalking erstmals in Deutschland untersucht. 11,6 Prozent von rund 680 Personen gaben an, mindestens einmal Stalking-Opfer gewesen zu sein. Meist leiden Frauen darunter: In unserer Studie waren 79 Prozent der Betroffenen weiblich, die Täter hingegen zu mehr als 80 Prozent männlich. Was treibt Stalker an – und wie kann man sich schützen?

Stalking ist ein abnormes, aggressives und kriminelles Verhalten, weshalb es nicht verwundert, dass die meisten Stalker Männer sind. Schließlich neigen diese generell häufiger zu anderen aggressiven Verhaltensweisen, etwa Körperverletzung, Sexualdelikten sowie Mord und Totschlag.

Typisch sind wiederholte Telefonanrufe, Briefe, E-Mails oder Nachrichten. Zudem lauern Stalker ihren Opfern oft auf, treiben sich in der Nähe deren Wohnung oder Arbeitsplatz herum, senden ihnen Geschenke zu, tätigen Bestellungen im vermeintlichen Auftrag des Opfers oder beschädigen deren Eigentum. Auf Grund der zunehmenden Verbreitung der elektronischen und sozialen Medien hat auch das so genannte Cyberstalking erheblich zugenommen. Das Internet bietet zusätzliche perfide Möglichkeiten, andere zu belästigen: Manche Täter versenden anonyme E-Mails an ihre Opfer, spähen deren Computer aus oder versenden im Namen der Betroffenen kompromittierende Nachrichten an Dritte. Zunehmend verbreitet ist in diesem Zusammenhang auch die missbräuchliche Nutzung persönlicher Daten oder Bilder aus sozialen Netzwerken.

Nachstellung ist strafbar

Anfang der 2000er Jahre wurde Stalking noch oft nicht ernst genommen. Es kam vor, dass Frauen, die sich Hilfe suchend an die Polizei wandten, zurückgewiesen wurden mit Bemerkungen wie »sie seien selbst schuld daran«, und manchen dichtete man gar einen Verfolgungswahn an. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Sensibilität für die Thematik deutlich angestiegen. Die Polizei richtete spezielle Anlaufstellen für Betroffene ein, und seit 2007 ist »Nachstellung« (der Fachbegriff für Stalking) laut § 238 Strafgesetzbuch strafbar. Die Häufigkeit des übergriffigen Verhaltens hat sich dadurch allerdings kaum verändert, wie wir am ZI in einer erneuten Umfrage feststellten: 2018 waren noch 10,8 Prozent von 444 Personen gestalkt worden, also ähnlich viele wie in unserer ersten Studie – wiederum meist Frauen.

Das Problem ist demnach weit verbreitet. Und es hat Folgen: Das Gefühl permanenter Bedrohung schadet der Gesundheit. Wir stellten fest, dass Betroffene ein signifikant niedrigeres Wohlbefinden und höhere Angst- und Depressionswerte aufwiesen als Vergleichspersonen. Internationale Studien bestätigen das, beispielsweise eine Untersuchung von Rosemary Purcell von der australischen University of Melbourne und ihren Kolleginnen. Auch das Risiko für Schlafstörungen ist erhöht. In ausgeprägten Fällen kann Stalking demnach zu behandlungsbedürftigen Leiden führen.

Was motiviert die Täter? Und warum ignorieren sie klare Ansagen, dass Kontakt nicht erwünscht ist? Geht man diesen Fragen nach, wird schnell klar, dass es unterschiedliche Formen des Stalkings gibt. Eine professionelle Analyse des übergriffigen Verhaltens kann gewalttätigen Eskalationen vorbeugen. Eine in Deutschland weit verbreitete Klassifizierung stammt von Paul Mullen. Der australische forensische Psychiater hat 1999 fünf verschiedene Stalker-Typen beschrieben:

  1. der zurückgewiesene Stalker
  2. der Liebe, Nähe und Zuwendung suchende Stalker
  3. der inkompetente Stalker
  4. der Rache suchende Stalker
  5. der beutelüsterne Stalker

Der zurückgewiesene Stalker ist mit etwa 60 Prozent besonders oft vertreten. Zur Häufigkeit der anderen Typen gibt es bislang keine zuverlässigen Daten. Schauen wir uns die fünf Stalker der Reihe nach an.

Ersterer wird auch als »Expartner-Stalker« bezeichnet. Er hatte eine – in der Regel intime – Beziehung zum Opfer und beginnt die Verfolgung, nachdem diese zerbrochen ist. Ihn motivieren Wut und Enttäuschung, manchmal zudem die Hoffnung, das frühere Verhältnis wiederherzustellen. Das Stalking empfindet er als eine Art Ersatz für die Beziehung, er übt damit Macht aus und will über die Lebensgestaltung seiner Expartnerin bestimmen. Das Risiko, dass seinen Drohungen Taten folgen, ist hier besonders hoch.

Vor allem beim Expartner-Stalking kommt es zu Körperverletzungen und sogar Tötungsdelikten

Peter aus dem eingangs beschriebenen Beispiel ist ein typischer zurückgewiesener Stalker. Die gerichtliche Verfügung hat er völlig ignoriert. Im weiteren Verlauf versucht er immer wieder, Kontakt zu Anna aufzunehmen und spricht eine konkrete Drohung aus: Er würde sie töten, wenn sie nicht zu ihm zurückkehre. Allerdings legt Peter ihr auch einen Blumenstrauß vor die Tür. Seine Expartnerin nimmt die Todesdrohung daher nicht ernst, zeigt Verstöße gegen die gerichtliche Weisung aber an. Kurz nachdem er von einer anberaumten Gerichtsverhandlung erfährt, attackiert Peter Anna vor ihrer Haustür mit einem Messer, als sie am späten Abend allein von einer Veranstaltung zurückkehrt. Wegen schwerer Körperverletzung wird er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Strafrechtlich voll verantwortlich

Täter wie Peter sind nicht psychisch krank. Da sie ihr Verhalten willentlich steuern und anpassen können, sind sie strafrechtlich voll verantwortlich. Beim »Liebe, Nähe und Zuwendung suchenden Stalker« verhält sich das meist etwas anders. Dieser wünscht sich eine Beziehung mit seinem Opfer und negiert Zurückweisungen oder interpretiert sie als versteckte Zeichen der Zuneigung. Zentrales Kriterium eines solchen behandlungsbedürftigen »Liebeswahns« ist die Überzeugung, dass die gestalkte Person den Wahnkranken insgeheim liebt.

Der inkompetente Stalker verfügt in der Regel nur über eine geringe intellektuelle und soziale Kompetenz. Im Hinblick auf Beziehungen ist er unerfahren und weiß nicht, wie man diese beginnt oder aufrechterhält. Ablehnung kann er deshalb nicht richtig interpretieren.

Der vierte Typ will sich auf Grund eines tatsächlich oder vermeintlich erlittenen Unrechts rächen. Sein Ziel ist es, der betroffenen Person Angst einzujagen. Grundlage können Beratungsfehler oder falsch interpretierte Tipps von Ärzten, Therapeuten oder Rechtsanwälten sein. Oft sprechen die Täter Drohungen aus, setzen sie aber vergleichsweise selten in Taten um.

Besonders gefährlich ist der beutelüsterne Stalker: Er plant einen sexuellen Übergriff. Während er sein Opfer verfolgt und ausspäht, entwickelt er immer konkreter werdende Fantasien. Das Risiko, dass es tatsächlich zu einem Gewaltakt kommt, ist sehr hoch.

Stalking-Opfer sollten – unabhängig von der Form des Stalkings – bestimmte Verhaltensregeln beachten. In vielen Regionen Deutschlands gibt es bei der Polizei Ansprechpersonen für Stalking, die sich mit Beratung und Prävention befassen. Auch psychosoziale Beratungsstellen bieten Hilfe.

Annäherungsversuche ignorieren

Idealerweise sollten Betroffene nur ein einziges Mal unmissverständlich klarmachen, dass sie keinen Kontakt wünschen und ignorieren daraufhin alle weiteren Annäherungsversuche. Aus Schamgefühl behalten einige die Situation für sich. Das ist jedoch ungünstig, denn wenn die gestalkten Personen ihre Familie sowie Nachbarn, Freunde und Kollegen informieren, stärken sie ihre persönliche Sicherheit. Es ist wichtig, Vorkommnisse zu dokumentieren. So empfiehlt es sich, seine Telefonnummer nicht abzumelden, sondern Anrufe des Täters auf der Mailbox aufzuzeichnen. Geschenke sollte man an einem neutralen Ort aufbewahren und Nachrichten sowie E-Mails zu Beweiszwecken speichern. Sofern eine aktuell hohe Gefährdungslage besteht, kann es ratsam sein, sich in der Öffentlichkeit von jemandem begleiten zu lassen.

Wer beabsichtigt, rechtliche Schritte einzuleiten, sollte sich von einem spezialisierten Rechtsanwalt über die straf- und zivilrechtlichen Möglichkeiten beraten lassen. Nach einer Anzeige bei der Polizei kann ein Strafverfahren eingeleitet und der Stalker unter Umständen wegen Nachstellung verurteilt werden. Die Verfahren sind aber oft langwierig und die Verurteilungsquote eher gering. Verfügungen nach dem Gewaltschutzgesetz (etwa ein Annäherungsverbot) sind schneller zu erreichen und oft effektiver. Wenn Stalker sich nicht daran halten, drohen ihnen empfindliche Geld- oder Freiheitstrafen.

Viele Betroffene machen den Fehler und gehen – nachdem sie Hunderte von Anrufen konsequent ignoriert haben – schließlich doch auf die Bitte des Stalkers ein und sprechen mit ihm. Sie hoffen, ihn im Gespräch zur Besinnung zu bringen. Das ist menschlich zwar verständlich, aber kontraproduktiv und gefährlich. Damit sendet das Opfer nämlich ein in der Lernpsychologie als »intermittierende Verstärkung« bezeichnetes Signal: Der Stalker stellt fest, dass er sein Ziel erreicht, wenn er nur lange genug darauf hinarbeitet.

Schnelle Hilfe bei Gewalt in der Partnerschaft

Wer sich von seinem Partner oder seiner Partnerin akut bedroht fühlt, sollte die 110 wählen. Zudem ist das Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen« unter 0800 0116016 kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Für Männer gibt es eine entsprechende Beratung unter 0800 1239900 und per Chat auf www.maennerhilfetelefon.de.

Auch wenn eine Freundin oder ein Familienmitglied in einer schwierigen Beziehung steckt, können Sie helfen. Bieten Sie ein offenes Ohr und informieren Sie über Hilfsangebote. Erwarten Sie dabei aber keine schnellen Erfolge und versuchen Sie, die Person zu nichts zu drängen. Achten Sie unbedingt auch auf Ihre eigene Sicherheit und Ihre emotionalen Grenzen.

Einige Betroffene tragen Pfefferspray oder ein Messer mit sich, um sich zu schützen. Davon ist aber unbedingt abzuraten. Kommt es tatsächlich zu einem Angriff, können sie diese Waffen oft nicht richtig einsetzen und laufen Gefahr, die Situation damit zu eskalieren. Grundsätzlich gilt: Jeder Fall ist anders. Unsere Arbeitsgruppe hat am ZISG ein Handbuch für Betroffene und Beratungsstellen entwickelt, das ausführliche Strategien zum Umgang mit ganz unterschiedlichen Situationen enthält.

Vor allem beim Expartner-Stalking kommt es zu Körperverletzungen und sogar Tötungsdelikten, wobei genaue Zahlen bislang nicht bekannt sind. Grundsätzlich bedarf es stets einer professionellen Einzelfallanalyse. Dabei ist es wichtig, das Risiko immer wieder neu einzuschätzen, da es im Lauf der Zeit zu- oder abnehmen kann. Wie man hier systematisch vorgehen kann, hat ein Team um die Psychologin Rachel MacKenzie von der Harassment Management Group beschrieben, einer privaten Organisation zur Beratung von Stalking-Opfern in Melbourne. Unsere Arbeitsgruppe hat diese dynamische Risikoanalyse ins Deutsche übersetzt.

Demnach erfordern so genannte »Red Flag-Risikofaktoren« sofortige Selbstschutzmaßnahmen. Es kann dann sinnvoll sein, sich in der Öffentlichkeit stets von einer anderen Person begleiten zu lassen oder vorübergehend zu Familienangehörigen oder Freunden zu ziehen.

Todesdrohungen ernst nehmen

Besondere Vorsicht ist geboten bei einer Todesdrohung – die Anna im beschriebenen Fallbeispiel leider nicht ernst genommen hat – , aber auch, wenn ein Stalker ins Alles-oder-nichts-Denken verfällt. Darauf kann folgende Äußerung hinweisen: »Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich keiner haben.« Wahnhafte Verkennung der Realität, leichter Zugang zu Waffen, geringe Frustrationstoleranz sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch erhöhen ebenfalls die Wahrscheinlichkeit eines Übergriffs. Auch nachdem ein Stalker ein Annäherungsverbot zugestellt bekommen hat oder ihm der Kontakt zu gemeinsamen Kindern gerichtlich untersagt wird, steigt das Risiko. Im skizzierten Fall war es eine anstehende Gerichtsverhandlung, die der gewalttätigen Eskalation vorausging.

Nicht selten kommt der Gedanke auf, dass ein Stalker eine psychotherapeutische Behandlung benötige, weil sein Verhalten nicht normal sei. Das stimmt zwar. Doch andere kriminelle Handlungen wie Diebstahl weichen ebenfalls von der Norm ab – und die meisten Täter bekommen dafür eine Strafe und werden nicht psychotherapeutisch behandelt. Dasselbe gilt für Stalker. Es ist die Aufgabe von psychiatrischen Sachverständigen, die eher wenigen Fälle zu begutachten, in denen Stalking tatsächlich durch eine psychische Krankheit bedingt ist.

Den mancherorts angebotenen Behandlungsangeboten für Stalker sollte man mit Zurückhaltung begegnen: Für psychisch gesunde Stalker gibt es keine empirisch belegte Therapie. Vor allem im Hinblick auf das kriminelle Verhalten von Expartner-Stalkern ist eine konsequente Strafverfolgung wichtig. Die wenigen psychotischen Stalker können mit etablierten psychiatrischen Methoden und Antipsychotika behandelt werden.

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