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News: Statistik mit Durchblick

Experten wie Laien haben oft Schwierigkeiten, statistische Informationen richtig zu interpretieren. Hingegen fällt es ihnen viel leichter, die richtigen Schlüsse zu ziehen, wenn ihnen die gleichen Informationen in Form "natürlicher Häufigkeiten" präsentiert werden. Dies erleichert Medizinern, Mitarbeitern von Beratungsstellen und Juristen das Verständnis von Statistiken und hilft, Fehlschlüsse zu vermeiden.
"Wenn man mündige Bürger will, so muss man diesen Lesen, Schreiben und statistisches Denken beibringen", sagte H.G. Wells, der Autor der "Zeitmaschine", einmal in seinen politischen Schriften. In unserer Gesellschaft kann fast jeder lesen und schreiben. Aber bei der Vermittlung statistischen Denkens sind kaum Fortschritte zu verzeichnen. Zu einem vernünftigen Umgang mit Unsicherheiten gehört unter anderem auch die Kompetenz, Fragen wie die folgenden beantworten zu können: Mit welcher Wahrscheinlichkeit hat eine Frau Brustkrebs, wenn sie einen positiven Befund im Mammographie-Screening erhalten hat? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine biologische Spur am Tatort von einem Tatverdächtigen stammt, wenn diese mit seinem DNA-Profil übereinstimmt? Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist eine Person mit HIV infiziert, wenn sie ein positives Testergebnis erhalten hat?

Ulrich Hoffrage und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung haben untersucht, wie Experten und Laien Urteile und Entscheidungen auf der Grundlage statistischer Information treffen (Science vom 22. Dezember 2000). Die Wissenschaftler wollten keineswegs aufzeigen, dass medizinische Tests fehlerbehaftet sind. Ihr Ziel war ebenfalls nicht, nachzuweisen, dass viele Experten nicht in der Lage sind, aus statistischer Information vernünftige Schlüsse zu ziehen – dies ist aus einschlägigen Untersuchungen bereits bekannt. Ihr Ziel bestand vielmehr darin, Experten wie auch Laien dabei zu helfen, die Ergebnisse von diagnostischen Tests richtig zu interpretieren.

In den meisten Lehrbüchern für Medizin und Statistik werden die hierfür relevanten statistischen Informationen üblicherweise in Form von Wahrscheinlichkeiten und Prozenten vermittelt. So könnte etwa ein Mann, der im Haemoccult®-Test einen positiven Befund erhalten hat, dort folgende Informationen zu Darmkrebs und zum Haemoccult®-Test finden: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein über 50jähriger, symptomfreier Mann Darmkrebs hat, beträgt 0,3 Prozent. Wenn Darmkrebs vorliegt, dann beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass er einen positiven Test-Befund erhält, 50 Prozent. Wenn kein Darmkrebs vorliegt, dann beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass er dennoch einen positiven Test-Befund erhält, drei Prozent. Kaum einer der von den Berliner Forschern befragten Ärzten konnte aus dieser Information richtig erschließen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Darmkrebs vorliegt, wenn der Haemoccult®-Test positiv ist. Um dieses Verständnis zu fördern, schlagen Hoffrage und seine Kollegen vor, ein und dieselbige Information als natürliche Häufigkeiten darzustellen: Von je 10 000 Männern haben 30 Darmkrebs. Von diesen 30 haben 15 ein positives Testergebnis. Von den verbleibenden 9 970 haben 300 ein positives Testergebnis. Hier sieht man leicht, dass nur 15 von 315 Männern mit einem positiven Testbefund tatsächlich Darmkrebs haben, das sind etwa 5 Prozent.

Die erste Studie mit 96 Medizinstudenten fortgeschrittener Semester und angehenden Ärzten zeigte, dass ein positives Testergebnis von diesen Personen dann besser eingeschätzt wird, wenn die hierfür relevanten statistischen Informationen in Form von natürlichen Häufigkeiten gegeben werden. Ohne weitere Hilfestellung wurde eine Verbesserung der richtigen Antworten von 18 Prozent auf 57 Prozent erzielt. Die Repräsentation statistischer Information in natürlichen Häufigkeiten ist also nicht nur leichter, sondern auch sehr effektiv und daher gut geeignet für die Kommunikation und das Verstehen von Risiken.

In der zweiten Studie befragte man 27 an der Universität tätige Juristen sowie 127 Jura-Studenten in fortgeschrittenen Semestern, welche Folgerungen sie aus einem Übereinstimmung des DNA-Profils eines Tatverdächtigen mit der am Tatort gefunden Spur ziehen würden. Auch in diesem Test wurde die statistische Information einmal als Wahrscheinlichkeit und einmal als natürliche Häufigkeit vorgelegt. Wurde die Information in Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt, fanden nur 13 Prozent der Assistenten und Doktoranden und weniger als ein Prozent der Studenten die richtige Lösung. Wurde die Information in natürliche Häufigkeiten übersetzt, waren es 68 Prozent beziehungsweise 44 Prozent. Auch bei den Schuldsprüchen zeigte sich ein Effekt der Informationsrepräsentation: Wurden die Informationen in Form von Wahrscheinlichkeiten gegeben, hielten 45 Prozent der Juristen und 55 Prozent der Jura-Studenten den Verdächtigen für schuldig. Erfuhren die Testpersonen die selbe Information in natürlichen Häufigkeiten, waren nur noch 32 Prozent beziehungsweise 33 Prozent der Testgruppen von seiner Schuld überzeugt.

Die Forschungsergebnisse sind auch für die AIDS-Beratung von Klienten aus gering gefährdeten Bevölkerungsgruppen von Bedeutung. Die Wissenschaftler berichten über die Schwierigkeiten von AIDS-Beratern an deutschen Gesundheitsämtern, mit statistischen Informationen richtig umzugehen. Auch hier könnten diese Schwierigkeiten durch die Verwendung natürlicher Häufigkeiten überwunden werden. Ein anderes Anwendungsgebiet sind die Untersuchungen zur Früherkennung von Brustkrebs. Üblicherweise wird der Nutzen eines Mammographie-Screenings als relative Risikoreduktion dargestellt, denn ungefähr 25 Prozent aller Brustkrebs-Todesfälle können durch das Screening verhindert werden. Doch aus der Perspektive der einzelnen Frau ist die maßgebliche Größe die absolute Risikoreduktion – etwa 0,1 Prozent aller am Screening teilnehmenden Frauen profitieren von der Reduktion der Brustkrebssterblichkeit

"Es ist viel effektiver, zu unterrichten, wie man statistische Informationen in natürliche Häufigkeiten übersetzt, als zu zeigen, wie man Wahrscheinlichkeiten in Formeln einsetzt", erklärte Ulrich Hoffrage. "In einer technologisch hochentwickelten Gesellschaft, in der immer wieder neue Risiken entstehen, und deshalb neue diagnostische Verfahren entwickelt werden, wie zum Beispiel das DNA-fingerprinting, ist es wichtig, den Menschen psychologische Methoden anzubieten, die das Verständnis von Risiken und Testbefunden erleichtern."

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