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Covid-19: Statistik verrät starke Übersterblichkeit in einigen Ländern Europas

Der Blick auf die Übersterblichkeit verrät, wo das Coronavirus bis Mai 2020 die meisten Leben kostete. Alles in allem kam es wohl zu mehr als 200 000 zusätzlichen Todesfällen.
Auf der Intensivstation

Sehr wahrscheinlich starben in Europa wesentlich mehr Menschen durch das Coronavirus, als offiziell gemeldet wurden. Wie viel mehr, haben Wissenschaftler nun mit statistischen Methoden aus der Todesfallstatistik von 21 Ländern errechnet. Demnach starben im Zeitraum von Mitte Februar bis Ende Mai in England und Wales geschätzt 57 000 mehr Menschen, als gestorben wären, wenn es die Covid-19-Pandemie nicht gegeben hätte. Offiziell verzeichnen die beiden Länder dagegen nur 47 000 Coronavirusopfer für diesen Zeitraum.

Folglich wurden dort rund 10 000 zusätzliche Todesfälle nicht als Covid-19-Tote erfasst, entweder weil kein positiver Test vorlag oder weil der Tod auf andere Ursachen zurückging, die nur mittelbar mit der Pandemie zusammenhängen. Zu Letzteren zählen Todesfälle, die auf mangelnde Versorgung in einem überlasteten Gesundheitssystem zurückzuführen sind oder beispielsweise auch darauf, dass Patienten freiwillig oder aus Angst vor einer Infektion medizinische Hilfe ablehnten.

Details der Berechnungen führt das Team um Majid Ezzati vom Imperial College London in einer Fachpublikation im Magazin »Nature Medicine« aus. Es ermittelt darin die so genannte Übersterblichkeit für 19 europäische Länder sowie für Australien und Neuseeland. Deutschland ist nicht unter den betrachteten Nationen. Über alle 21 Länder summiert, kalkulieren die Forscher eine Gesamtzahl von 206 000 tatsächlichen Todesopfern der Pandemie bis Ende Mai. Männer und Frauen seien dabei fast genau gleich stark betroffen gewesen. Insgesamt starben demnach 23 Prozent mehr Menschen, als die Corona-Statistiken der einzelnen Länder nahelegen, wobei dieser Erfassungsfehler von Land zu Land schwankt: zwischen 7 und 38 Prozent.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Die meisten zusätzlichen Todesfälle verzeichneten laut den Berechnungen die Länder England, Wales und Spanien mit rund 100 zusätzlichen Toten pro 100 000 Einwohnern, gefolgt von Italien, Schottland und Belgien mit jeweils rund 70 zusätzlichen Todesfällen pro 100 000 Einwohnern. Im Fall der ersten drei Länder starben etwa 37 oder 38 Prozent mehr Menschen, als in einem normalen Jahr gestorben wären.

Die Unterschiede lassen sich nur schwer erklären

In vielen Ländern, darunter Österreich, Dänemark, Polen, Australien und Neuseeland, gab es hingegen keinen nennenswerten Anstieg der Sterblichkeit. Für Österreich kalkulieren Ezzati und Kollegen die Zahl der tatsächlichen direkten und indirekten Opfer der Pandemie auf 930, offiziell gemeldet wurden im fraglichen Zeitraum 668 Coronatote.

Die Wissenschaftler haben für ihre Studie die offiziellen Sterbestatistiken der einzelnen Länder aus den Jahren 2010 bis 2020 herangezogen. Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung ermittelten sie daraus, wie viele Menschen in den einzelnen Ländern gestorben wären, wenn es keine Pandemie gegeben hätte. Aus der Differenz zwischen der tatsächlichen Zahl der Toten und der zu erwartenden Zahl ergibt sich die Übersterblichkeit.

Ein einzelner Grund für die unterschiedlich hohen Sterbefallzahlen lässt sich nach Meinung der Autoren nicht dingfest machen. Weder die Altersstruktur noch die Häufigkeit von Risikofaktoren wie Übergewicht erklärten für sich allein genommen die Unterschiede. Vermutlich sei eine Kombination von Faktoren dafür verantwortlich – auch der Zeitpunkt, ab dem ein Lockdown verhängt wurde, schlage sich in der Übersterblichkeit nieder. In vielen Ländern fiel die Zahl der Toten kurz nach dieser Maßnahme wieder auf ein normales Niveau. In England, Wales, Schweden und anderen Ländern blieb sie dagegen vergleichsweise lange überdurchschnittlich hoch.

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