Steinzeitliche Seefahrer: Europäische Jäger und Sammler paddelten nach Nordafrika

Jahrtausende bevor Homer seinen Odysseus das Mittelmeer überqueren ließ, könnten bereits steinzeitliche Jäger und Sammler in einer Art Inselhopping von Europa nach Afrika gelangt sein.
Das zeigt nun die erste Studie zur genetischen Geschichte des östlichen Maghreb – also jenen Teil Nordafrikas, in dem heute Tunesien und Nordostalgerien liegen: Menschen, die dort vor mehr als 8000 Jahren lebten, hatten teilweise europäische Vorfahren.
Diese Entdeckung, veröffentlicht im Fachmagazin »Nature«, liefert erstmals direkte genetische Belege für steinzeitliche Seefahrten über das Mittelmeer. Dass es Kontakte zwischen europäischen und nordafrikanischen Jäger-und-Sammler-Gruppen gab, hatten bislang nur archäologische Ausgrabungen nahegelegt.
Wie sich die bäuerlichen Kulturen im Nahen Osten vor 12 000 Jahren entwickelten und in Richtung Europa ausbreiteten, haben Wissenschaftler mit Hilfe alter DNA bereits recht genau nachvollzogen. Der südliche Mittelmeerraum blieb indessen weitgehend unerforscht.
»Bisher gab es kaum Forschung zur nordafrikanischen Geschichte«, sagt David Reich, Populationsgenetiker an der Harvard Medical School in Boston und einer der Studienleiter. »Das war eine große Wissenslücke.«
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Algerien, Tunesien und Europa untersuchte Reichs Team die DNA von neun Individuen aus archäologischen Fundstätten im östlichen Maghreb. Diese lebten vor 6000 bis 10 000 Jahren.
Dabei zeigten sich entscheidende Unterschiede zu den Verhältnissen weiter westlich, im heutigen Marokko. Die Populationen in Ost und West trugen zunächst beide das Erbgut lokaler Jäger und Sammler, das bereits bei früheren Studienentdeckt worden war. Doch während sich im Westen mit der Zeit immer mehr das Erbgut europäischer Bauern durchsetzte, die wahrscheinlich über die Straße von Gibraltar gekommen waren, blieb im östlichen Maghreb das ursprüngliche Erbgut erhalten. Und zwar auch, als längst schon Bauern aus Europa und dem Nahen Osten in die Region gekommen waren.
Diese genetischen Ergebnisse passen gut zu archäologischen Erkenntnissen: Die Menschen im östlichen Maghreb führten offenbar weiterhin den Lebensstil der Jäger und Sammler, indem sie die heimische Flora und Fauna ausbeuteten. Zwar hielten sie eingeführte Nutztiere wie Schafe, Ziegen und Rinder, doch Landwirtschaft setzte sich dort erst viel später vollständig durch. Möglicherweise hängt diese Entwicklung, so vermutet Reich, mit einer kulturellen Ablehnung neuer landwirtschaftlicher Methoden zusammen.
Erbgut von jenseits des Meers
Für eine echte Überraschung sorgte das Erbgut eines Mannes aus der tunesischen Fundstätte Djebba: Rund sechs Prozent seiner DNA stammen eindeutig von europäischen Jägern und Sammlern. Die Wissenschaftler schätzen, dass es vor etwa 8500 Jahren zu Begegnungen zwischen seinen nordafrikanischen Vorfahren und Europäern kam. Ähnliche, wenn auch schwächere Spuren fanden sich bei einer Frau vom selben Fundort.
Der genaue Herkunftsort der europäischen Vorfahren lässt sich nicht exakt bestimmen. Doch Sizilien oder kleinere Inseln zwischen Europa und Afrika sind mögliche Ausgangspunkte. Diese Inseln liegen teils nur einige dutzend Kilometer vor der tunesischen Küste.
Giulio Lucarini vom Nationalen Forschungsrat Italiens, Mitautor der Studie und Archäologe mit Schwerpunkt Afrika, nennt ein weiteres Indiz: In tunesischen Ausgrabungsstätten sei bereits Obsidian von der Insel Pantelleria gefunden worden, einem kleinen vulkanischen Eiland zwischen Sizilien und Tunesien. Obsidian ist vulkanisches Glas, das als wertvolles Werkzeugmaterial gehandelt wurde.
Wahrscheinlich fuhren Angehörige europäischer und nordafrikanischer Jäger-und-Sammler-Gruppen in langen Holzkanus über die Straße von Sizilien, immer entlang der Inselkette und mit Sichtkontakt zur nächsten Küste. Viele potenzielle Zwischenstationen liegen heute unter Wasser, was die Suche nach weiteren Indizien erschwert, ergänzt Lucarini.
Rosa Fregel, Populationsgenetikerin an der Universität La Laguna auf Teneriffa, hält die Entdeckung europäischer Vorfahren in Nordafrika für bedeutend. Es zeige, dass das Mittelmeer bereits in der Steinzeit kein großes Hindernis gewesen sei. Sie ist überzeugt, dass zukünftige Untersuchungen noch weitere Überraschungen auf beiden Seiten des Mittelmeeres hervorbringen werden.
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