Akzeptanz: »Und plötzlich ist da wieder Ruhe im Kopf«

Es gibt Gefühle, auf die man gerne verzichten würde. Doch dieser Impuls sei ein Fehler, sagt Steven Hayes. Der US-Amerikaner ist einer der einflussreichsten Psychologen der Welt und Begründer der Akzeptanz- und Commitment-Therapie. Er weiß: Schmerzhafte Gefühle und quälende Gedanken anzunehmen, macht anpassungsfähig. Gerade in Zeiten von Hass und Gewalt, von Ängsten, Zweifeln und Hilflosigkeit sollten wir uns darin üben.
Herr Hayes, wann haben Sie zuletzt etwas gefühlt, das Sie lieber nicht gefühlt hätten?
Ehrlich gesagt passiert das fast jeden Tag: Scham, Reue, Nervosität, Furcht, Sorge. Ich erlebe diese Gefühle als Vater und als Ehemann. Als Forscher, der ein Interview gibt. Als Bürger, der Zeitung liest. Die Nachrichten über rechte Politiker, Trump und die AfD reichen schon, um überrollt zu werden: Wo führt das alles hin, in was für eine Zukunft? Am liebsten würde ich mich vor diesen unangenehmen Gedanken und Gefühle zurückziehen. Doch wenn es geht, widerstehe ich diesem Impuls.
Warum?
Weil es selten funktioniert. Man kann Gefühle und Gedanken nicht bekämpfen. Wenn man es versucht, passiert oft genau das Gegenteil: Statt zu verschwinden, werden sie noch größer und im Zweifel noch quälender.
Sie haben diesen Mechanismus jahrzehntelang erforscht. Wie ist er zu erklären?
Wenn wir ein Gefühl loswerden oder meiden wollen, fangen wir an, es erst recht wahrzunehmen: Wie stark ist das Gefühl gerade? Ebbt es ab? Nein, es wird stärker. Was könnte helfen, um es zu vertreiben? Man beginnt also, darum zu kreisen. Man lenkt die Aufmerksamkeit auf das Gefühl, widmet ihm viele Gedanken und richtet das Verhalten danach aus. Was das Gefühl verstärkt. Es gibt zahlreiche Experimente, die das belegen: Menschen werden trauriger, wenn sie einen traurigen Film schauen und ihre Traurigkeit währenddessen unterdrücken sollen – statt sie zuzulassen. Sie leiden mehr, wenn sie ihre Hände in Eiswasser halten und den Schmerz der Kälte ausblenden sollen. Sie kriegen Lust, sich zu betrinken, wenn sie Gedanken an Alkohol abwehren sollen, und werden ängstlicher, wenn sie ängstliche Gedanken vertreiben sollen. Umgekehrt ist es übrigens genauso.
Was meinen Sie mit umgekehrt?
Auch unbedingtes Glücklichseinwollen funktioniert nicht. Wenn wir uns an schöne Gefühle klammern, um das Glück festzuhalten, geht es uns schlechter. Weil wir es nicht konservieren können, Glück ist etwas Flüchtiges. Wir können nur dabei zusehen, wie es uns entrinnt.
Ist es nicht aber ein natürlicher und wichtiger Impuls, Unangenehmes zu meiden und Angenehmes anzustreben?
Sicherlich. Alle Lebewesen meiden aversive oder gefährliche Reize. Wir Menschen unterscheiden uns allerdings fundamental vom Rest: Während Tiere tatsächliche Reize meiden, einen Fressfeind, ein Unwetter, eine giftige Pflanze, meiden wir auch Dinge, die gar nicht greifbar und auch gar nicht gefährlich sind, sondern erst durch unser Urteil negativ aufgeladen werden. Das macht die Vermeidung viel komplizierter und häufig erfolglos. Ein Beispiel: Wenn ich eine heiße Herdplatte meiden will, ziehe ich einfach meine Hand zurück – und das war's. Wie aber soll ich einen belastenden Gedanken, eine schmerzhafte Erinnerung vermeiden? Sie ist ja in meinem Kopf und kann mich jederzeit unerwartet einholen. Um eine unerwünschte Empfindung zu vermeiden, fangen Menschen also entweder an, darum zu kreisen – oder sie verdrängen sie. Beides halte ich für einen Fehler.
Weil auch schlechte Gefühle einen Wert haben?
Genau. Ich finde es allerdings falsch, dass wir Gefühle in Gut und Schlecht einteilen. Wir lernen das sehr früh und gehen dann sehr rigide damit um. Glücklich gilt als gut, traurig als schlecht. Als mein Vater starb, sagte meine Mutter, ich solle nicht zur Beerdigung kommen, das würde mich nur traurig machen. Ich lebte an der anderen Küste der USA, der Flug wäre lang und teuer gewesen, also bin ich nicht gekommen. Und das bereue ich bis heute. Natürlich hätte ich geweint und mich mies gefühlt, aber ich hätte da sein müssen, es wäre wichtig gewesen.
Das Gefühl zum Problem zu machen, ist also das Problem – und nicht das Gefühl selbst?
Ja, denn das führt manchmal zu falschen Entscheidungen. Wir geben uns gar nicht die Chance, schwierige Gefühle auszuhalten. Als meine Mutter viele Jahre später starb, war ich bei ihr. Ich war traurig, aber das war nicht schlecht.
Sie haben einmal gesagt, Sie selbst seien ein »Gefühlsunterdrücker«. Bevor Sie einer der berühmtesten Psychologen der Welt wurden, waren auch Sie ein Patient. Sie litten jahrelang unter Panikattacken.
Die erste hatte ich mit 29. Ich saß in einem Meeting mit Kollegen, lauter Professoren, die anfingen, furchtbar miteinander zu streiten. Aus Gründen, die ich damals nicht verstand, hat mich dieser Streit in Panik versetzt. Also habe ich meine Hand gehoben, um irgendetwas Schlichtendes zu sagen. Doch als ich dran war, kam kein Wort raus. Mein Mund ging auf und zu wie bei einem Guppyfisch, ich dachte, ich ersticke. Am Ende des Meetings habe ich mich rausgeschlichen, voller Scham und voller Fragen, was gerade passiert war. Und voller Angst.
Angst wovor?
Dass mir so etwas noch mal passieren könnte. Angst vor der Angst. Wegen ihr schlitterte ich danach in eine Panikstörung. Denn um zu verhindern, dass mir so etwas noch mal passieren könnte, musste ich nach Anzeichen suchen. Wenn ich in den folgenden Wochen ein Zittern in der Brust spürte, wenn ich schneller atmete oder schwitzte, war ich schon alarmiert. Und so schaukelte es sich hoch.
Wie sind Sie mit der Panik umgegangen?
Ich habe alles versucht, um sie loszuwerden: Ich ging zum Arzt und bekam Benzodiazepine verschrieben, also Beruhigungsmittel. Ich fing an zu laufen und versuchte, mich abzulenken. Manchmal trank ich Alkohol. Ich stieg nicht mehr in Fahrstühle, fuhr kein Auto mehr und ließ mein Telefon klingeln, bis die Mailbox anging. Statt Vorlesungen zu halten, zeigte ich meinen Studenten Filme. Doch bald zitterten meine Hände so sehr, dass ich die Videokassetten kaum einlegen konnte und darüber vergaß, wie man den Projektor einschaltet. Stück für Stück schnitt ich Situationen aus meinem Leben, in denen ich fürchtete, eine Panikattacke zu bekommen. Doch egal, wie sehr ich mich einschränkte: Die Angst kam mit.
Was war Ihr Wendepunkt?
Eines Nachts bin ich aufgewacht und war mir sicher, dass ich gerade einen Herzinfarkt hatte. Ich rollte mich auf dem Teppich neben meinem Bett zusammen und redete schluchzend auf mich ein: »Du musst ins Krankenhaus, du musst weg, renn, lauf fort, das muss enden.« Und dann passierte etwas Seltsames: Ich hörte mich reden, aber plötzlich aus einer merkwürdigen Distanz. Ich erkannte, dass diese innere Stimme, die da dauernd auf mich einredete, nur eine Stimme war, meine Stimme – und keine in Stein gemeißelte Wahrheit. Und irgendwie wurde mir klar, dass es aussichtslos war, wegzurennen – vor einer Stimme. Die Angst kam aus mir selbst heraus. Sie bestimmte mein gesamtes Leben. In diesem Moment versprach ich mir: Ich werde nicht vor mir selbst davonlaufen, nie wieder.
Sie akzeptierten also Ihre Angst.
Ich gestand mir zum ersten Mal zu, dass sie nun mal da war.
Was hat dieser erste Moment der Akzeptanz in Ihnen ausgelöst?
Erst mal Erleichterung. Ich war erschöpft davon, mich zu verstecken, zu verstellen und immer auf der Hut zu sein.
»Manchmal ist Verdrängen überlebenswichtig«
Zwischen dieser Nacht und heute liegen mehr als 40 Jahre, in denen Sie und später auch andere Psychologen auf der ganzen Welt erforscht haben, was passiert, wenn man quälende Gefühle oder Gedanken annimmt, statt sie zu bekämpfen. Das Ergebnis ist eindeutig: Akzeptanz lindert seelisches Leiden und fördert das Wohlbefinden. Warum ist das so? Worin liegt die Kraft der Akzeptanz?
Akzeptanz befreit. Man lässt los, und plötzlich ist da wieder Ruhe im Kopf, Platz, Raum für Dinge, die einem wirklich wichtig sind. Man hört auf, ein Gefühl als Problem zu sehen, das es unbedingt zu lösen gilt. Und wenn dieses unablässige Problemlösen endet, gewinnt man mentale Kapazität zurück: Man kann seine Aufmerksamkeit anderen Themen zuwenden, andere Gedanken denken. Und sein Leben wieder leben.
Wie hat sich Ihr Leben nach der Nacht auf dem Teppich geändert?
Ich hatte einen anderen Blick auf mein Leben: Ich wusste, dass die Angst da war – aber ich bin nicht mehr in ihr versunken. Ich habe meine Pillen langsam abgesetzt. Und ich habe sofort aufgehört mit dem Vermeiden, bin wieder in Fahrstühle gestiegen, habe Vorlesungen gehalten. Langsam wuchs der Radius meines Alltags wieder.
Und was, wenn die Angst zurückkam?
Dann nahm ich mir Zeit, sie zu fühlen – ohne Widerstand, sondern mit distanzierter Aufmerksamkeit. Wo sie in meinem Körper war, welche Erinnerungen dabei aufblitzten, wie sie wieder abebbte. Gefühle kommen und gehen, es ist ein ewiger, natürlicher Fluss. Das begreift man allerdings erst, wenn man sie zulässt.
Sie sprachen gerade von Erinnerungen, die mit einem Gefühl aufblitzen. Was meinen Sie damit?
Gefühle haben immer eine Berechtigung und eine Funktion. Ich bin überzeugt, dass diese Funktion nicht nur darin liegt, uns etwa vor einer Gefahr zu warnen. Gefühle sind wie ein Echo aus unserer Vergangenheit. Sie führen uns zu den Themen, die uns tief bewegen. Wir leiden an Dingen, die uns wichtig sind. Aus der Forschung wissen wir zum Beispiel: Menschen, die in ihrer Kindheit emotional vernachlässigt wurden, fällt es oft schwer, intime Beziehungen einzugehen – gleichzeitig sehnen sie sich aber danach. Sie leiden an den Folgen ihrer Biografie. Dieses Leiden löst sich nicht auf, indem man es verdrängt. Es ist eine Einladung, sich damit auseinanderzusetzen. Menschen, die ihre Ängste, Scham oder Einsamkeit wegwischen, begraben damit auch die Chance, so zu leben, dass sich ihre Sehnsüchte erfüllen.
Gibt es auch Momente, in denen Akzeptanz schlecht ist oder nicht funktioniert?
Früher hätte ich gesagt: Nein. Ganz am Anfang meiner Forschung dachte ich, dass man immer offen sein muss für seine Gefühle. Ich lag falsch.
Inwiefern?
Manchmal ist Verdrängen überlebenswichtig. Es kommt auf die Situation an. Stellen Sie sich vor, Rettungssanitäter, Feuerwehrleute oder Soldaten würden jedes Gefühl sofort annehmen. Sie würden in Tränen ausbrechen, noch während sie im Einsatz sind – während sie Menschen verarzten, Feuer löschen oder kämpfen. Es gibt Situationen, die keinen Raum für Gefühle zulassen.
Sie beschreiben Situationen, in denen man funktionieren muss. Was ist mit Situationen, die das nicht verlangen, aber furchtbar schmerzhaft sind – wenn zum Beispiel ein geliebter Mensch stirbt? Ich kann mir vorstellen, dass Akzeptanz auch dann sehr schwerfällt.
Auch in solchen Situationen muss man ja meistens weiter funktionieren. Wieder arbeiten, zur Schule gehen, Kinder versorgen. Aber ja: Manchmal ist ein Schmerz so tief und so groß, dass man sich ihm nicht sofort stellen kann. Das ist in Ordnung. Aber irgendwann muss man es tun. Man muss die Tür zum Schmerz öffnen, vielleicht nicht sperrangelweit, aber einen Spaltbreit. Wenn man dem Schmerz keinen Raum gibt, sucht er sich einen anderen Weg nach draußen. Zum Beispiel durch Alkoholismus. Wir sehen das immer wieder in Studien mit Soldaten oder Feuerwehrleuten, die ihre Traumata nie aufarbeiten. Ein Freund von mir war Journalist, er war in New York, als 2001 die Flugzeuge in die Twin Towers geflogen sind. Er ist zu den brennenden Türmen gerannt, um zu berichten, und hat gesehen, wie Körper mit 350 Stundenkilometern auf Beton aufgeschlagen sind – wie Pfannkuchen, so hat er das beschrieben. Doch das Einzige, was ihm die älteren Reporter bei der Arbeit geraten haben, war: »Betrink dich. Trink so viel, dass du nichts mehr fühlst und dich an nichts mehr erinnerst.« Und das hat er getan, er hat sich zu Tode getrunken.
»Nur Akzeptanz kann der Ausgangspunkt für Veränderung sein«
Basierend auf Ihrer Forschung haben Sie eine ganze Therapierichtung entwickelt: die Akzeptanz- und Commitment-Therapie, kurz ACT. Worum geht es dabei?
Mir ist wichtig, zu betonen: Akzeptanz allein ist nicht unbedingt hilfreich. Sie ist Teil eines Sets an Fähigkeiten, die zusammengehören. Einige haben wir schon angesprochen. Sich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren, hilft, um sich eben nicht mitreißen zu lassen von Gedanken und Gefühlen, sondern wahrzunehmen, wie sie kommen und gehen. Dabei eine distanzierte, nicht wertende Haltung einzunehmen, hilft, schwierige Gefühle und Gedanken auszuhalten und sie loszulassen.
Ich kann mir vorstellen, dass gerade das Aushalten vielen im ersten Moment schwerfällt – weil es sich doch ein wenig anfühlt wie eine Kapitulation: Man ergibt sich dem Gefühl, man gibt auf.
Mit Akzeptanz ist nicht gemeint, etwas hinzunehmen, sondern etwas anzunehmen. Es geht nicht darum, etwas zähneknirschend zu tolerieren, sondern anzuerkennen, was ist. Nur das kann der Ausgangspunkt für Veränderung sein. Doch statt die Symptome ändern zu wollen, die Angst oder störende Gedanken, geht es bei der ACT darum, sich zu fragen: Was ist mir eigentlich wichtig im Leben, welche Werte und Sehnsüchte habe ich? Es geht darum, sein Leben danach auszurichten, statt nur zu beseitigen, was einen stört. Deswegen spielen Werte und der Wille, nach ihnen zu leben, das Commitment, eine große Rolle in der ACT. Als zweiter Schritt nach der Akzeptanz.
Wie kann man all diese Fähigkeiten lernen?
Es gibt eine Reihe von Übungen, die ich mit Klienten nutze. Oft fangen wir mit dem Körper an: ein Gefühl bewusst und in aller Stille erkunden. Im Magen, in der Brust, beobachten, wie es sich anfühlt – ohne zu werten. Und so lernen, es auszuhalten.
Das klingt nach einer Achtsamkeitsübung.
Ja, Achtsamkeit und Akzeptanz gehen Hand in Hand. Man kann nur annehmen, was man bewusst und präsent erlebt. Was auch gut funktioniert: sich quälenden Gefühlen gezielt aussetzen. Ich hatte mal eine Klientin, gerade geschieden, die ihre Einsamkeit nicht ertragen konnte. Sie war überzeugt, die Einsamkeit würde sie umbringen. Also habe ich die Ottomane im Raum zum Symbol ihrer Einsamkeit ernannt und sie gebeten, sie zu berühren. Sie zuckte zurück, als hätte ich sie gebeten, eine Kobra anzufassen. Wir einigten uns, dass sie die Ottomane nur antippen würde. Und so wagte sie sich Stück für Stück heran an ihre Einsamkeit. Sie lernte, dass sie die Einsamkeit aushalten konnte – was ihr den Schrecken nahm. Zehn Jahre später schrieb die Frau mir einen Brief: Sie hatte ihre Einsamkeit überwunden, wieder geheiratet und wollte sich bedanken – für die Ottomane.
Das klingt nach Expositionstherapie – eine Intervention aus der kognitiven Verhaltenstherapie, die man bei Ängsten anwendet.
Exposition ist so ein schrecklich harter Name dafür! Ich würde eher von Annäherung sprechen.
Die ACT wurde damals, Ende der Achtziger, als eine Art Revolution der westlichen Psychotherapie – besonders in der Verhaltenstherapie – betrachtet. Warum?
Weil sie die grundlegenden Annahmen der traditionellen Verhaltenstherapie herausforderte. Die war damals: Dysfunktionale Gedanken und negative Gefühle hängen mit psychischen Störungen zusammen – also sollten wir sie verändern. Die ACT und weitere Ansätze, die damals entstanden, die dialektisch-behaviorale Therapie oder die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie, widersprachen dem: Wir müssen nicht die Gedanken und Gefühle verändern – sondern, wie wir damit umgehen.
Halten Sie für falsch, belastende Denkmuster oder Gedanken ändern zu wollen?
Nein, aber es sollte nicht das primäre Ziel sein. In der ACT passiert es häufig von selbst. Dysfunktionale Denkmuster können sich zum Beispiel schon verändern, wenn man einen Schritt zurücktritt und sie mit Abstand wahrnimmt.
Es gibt mittlerweile mehr als 1.000 randomisierte Studien zur ACT. Sie hilft bei Ängsten, Depressionen, Zwängen oder Essstörungen. Hier in Deutschland steht die ACT aber auch in den Leitlinien zur Behandlung von Migräne, Morbus Crohn oder nicht heilbaren Krebserkrankungen. Was gewinnen körperlich kranke Menschen durch Akzeptanz?
Sie gewinnen ihr Leben zurück – nicht das Leben, das sie vor der Krankheit hatten, aber ein Leben, selbst wenn es das Leben im Angesicht des nahenden Todes ist. Was die ACT vermittelt, ist psychische Flexibilität. Sie macht Menschen anpassungsfähig. Weil sie offen sind für das, was sie erleben, und das Erlebte nicht bewerten. Und weil sie sich den Dingen zuwenden, die ihnen wichtig sind. Die ACT hilft deshalb auch bei vielen Dingen, die gar nichts mit Diagnosen zu tun haben: Sie befähigt Menschen beispielsweise zu intimen, stabilen Beziehungen. Sie riskieren zu leben, weil sie wissen: Selbst wenn ich verletzt werde – ich werde es überstehen.
Haben Sie verstanden, wo Ihre Angst ursprünglich herrührte?
Vor ein paar Jahren habe ich erfahren, dass meine Großmutter sich das Leben nahm, als meine Mutter eine junge Frau war – meine Mutter gab sich die Schuld dafür. Mit diesem Wissen macht im Rückblick vieles aus meiner Kindheit mehr Sinn! Warum meine Mutter sich oft die Hände wusch, bis sie bluteten. Warum sie so ängstlich war und mich ständig warnte: »Iss nicht den Oleander vorm Haus, sonst stirbst du.« Auch mein Vater hatte Traumatisches erlebt. Sein Vater war eines Tages beim Frühstück tot umgefallen. Jetzt verstehe ich, warum er Alkoholiker wurde: um seine Angst vor dem Tod zu verdrängen. Meine Eltern haben ihre Traumata nie aufgearbeitet und stritten ständig. Natürlich kann so ein Puzzleteil nie ein ganzes Leben erklären, aber ich bin mir sicher, dass meine Ängste viel mit diesen Erfahrungen zu tun haben.
Haben Sie durch Ihre Forschung an der ACT einen Weg zu einem glücklichen Leben gefunden?
In unserer modernen westlichen Welt bedeutet glücklich oft, dass man sich dauerhaft gut fühlt. Wenn Sie das meinen, dann wohl nein. Wenn Sie meinen: Ich lebe ein bewusstes, offenes Leben, ein Leben voller Gefühle, dann: ja.

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