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Artenvielfalt: Stickstoff macht Europas Wälder arm

Laut einer Studie schwindet in Europas Wäldern die Vielfalt an Pflanzen. Zusehends gewinnen Pflanzen die Oberhand, die von der Allgegenwart von Stickstoffverbindungen profitieren.
Waldgebiet mit Straße von oben

Europas Wälder werden einander immer ähnlicher: Arten, die nur auf einzelne Ökosysteme spezialisiert sind, verschwinden. An ihrer Stelle halten Arten Einzug, die auch andernorts zu den Gewinnern zählen, etwa Brennnesseln oder Brombeeren. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher um Ingmar Staude vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig.

Wie sie im Fachmagazin »Nature Ecology & Evolution« schreiben, stecke wohl die erhöhte Verfügbarkeit an Stickstoffverbindungen hinter dem Verlust an Biodiversität. Seit Jahrzehnten reichert vor allem die Landwirtschaft massiv stickstoffreichen Dünger in der Umwelt an. Pflanzen, die sich auf stickstoffarme Böden spezialisiert haben, gerieten dadurch ins Hintertreffen. Sie verlören in der Konkurrenz mit Arten, die nährstoffreiche Böden für ein starkes Wachstum nutzen, schreiben die Forscher.

Das hat zunächst einen paradoxen Effekt: Wenn solche Stickstoff liebenden Pflanzen, darunter auch exotische Arten, in ein Waldgebiet einwandern, steige die Biodiversität vor Ort an – denn neben den Alteingesessenen finden sich nun auch die Neuankömmlinge. Doch auf Dauer haben die an magere Böden angepassten Sonderlinge ein erhöhtes Aussterberisiko. Auf ganz Europa gerechnet sinke somit die Artenvielfalt.

Die Wissenschaftler analysierten Daten von insgesamt 68 überwiegend geschützten Waldgebieten Europas – darunter auch Standorte in Thüringen, Brandenburg und Bayern. Die Artenvielfalt krautiger Pflanzen sei im Lauf der vergangenen Jahrzehnte um rund vier Prozent gesunken, so die Forscher, die dazu Bestandszahlen zu 1162 verschiedenen Pflanzenarten ausgewertet hatten. Würde man zusätzlich Wälder betrachten, die forstwirtschaftlich genutzt werden, könnte der Rückgang sogar noch weitaus größer sein, so die Forscher.

Mit den Pflanzenarten und ihren ökologischen Nischen verschwinden oft auch weitere Mitglieder des Ökosystems, die in der aktuellen Studie nicht betrachtet wurden, zum Beispiel Insekten. Eine vielfältige Waldlandschaft verringert gleichzeitig die Anfälligkeit gegenüber Katastrophen, wie sie etwa vom Klimawandel ausgelöst werden.

In ihrer Studie rechnen die Wissenschaftler vor, dass allein durch die Verringerung der Stickstoffeinträge das weitere Aussterben wenig verbreiteter Arten gestoppt werden könne. Um den beträchtlichen Stickstoffeintrag zu stoppen, hat die Bundesregierung zuletzt die Düngemittelverordnung auf den Weg gebracht – allerdings wegen der Coronakrise mit deutlich längeren Übergangszeiten als zunächst geplant. Deutschlands Böden gehören mit Blick auf den Stickstoffgehalt zu den am stärksten belasteten Europas.

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