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Virologie: Stille Begleiter

"100 Prozent Mensch"? Nein, das sind wir nicht. Neben unzähligen Mikrobengesellschaften, die etwa bei der Verdauung helfen, beherbergt der menschliche Körper virale Miniparasiten in Hülle und Fülle. Obwohl wir sie meist überhaupt nicht bemerken, sind die Untermieter keineswegs ruhig.
Virionen des CMV
Manche lassen einfach nicht locker. Haben Herpesviren oder gewisse Adeno-, Parvo-, Retro-oder Papillomviren erst einmal den menschlichen Körper geentert, sind sie nicht mehr zu vertreiben. Entweder überdauert nur ihr Erbgut in den Zellen, oder aber sie verstecken sich über einen langen Zeitraum in Körpergeweben und bringen ihre Wirte dazu, auf niedrigstem Niveau Virusbausteine oder komplette Partikel herzustellen. Schadet das nun oder hat sich der Mensch mit seinen blinden Passagieren arrangiert? Alle über einen Kamm scheren kann man nicht. Doch so mancher stiller Begleiter ist womöglich harmloser als gedacht, andere dagegen werden sträflich unterschätzt.

Im Erbgut verewigt

Überrascht hatten Genforscher erst vor einigen Jahren festgestellt, dass das menschliche Erbgut von Basenfolgen durchsetzt ist, die den Genen von Retroviren sehr ähnlich sind. "Solche Sequenzen machen etwa acht Prozent des menschlichen Genoms aus", sagt Jens Mayer, der in der Abteilung Humangenetik der Universität des Saarlandes in Homburg an endogenen Retroviren forscht. Woher kommen diese Virusgene im menschlichen Erbgut? Vermutlich sind sie die Überbleibsel von Infektionen, die bereits eine sehr lange Zeit zurückliegen. Damals hatten Retroviren die Keimbahnzellen infiziert und ihr Genom – als so genannte Proviren – in die DNA unserer Vorfahren eingebaut. Ein sehr kluger Schachzug, denn bis heute schleppen wir diese Informationen mit uns herum.

Obwohl der Begriff "Retrovirus" eine ungute Assoziation hervorruft, konnte die Forschung bisher keine endgültigen Beweise liefern, dass humane endogene Retroviren, oder abgekürzt HERV, Krankheiten verursachen. Sie sind genetisch oft stark verkrüppelt, bestehen dann nur noch aus defekten Steuersegmenten und können keine Virusprodukte mehr hervorbringen. Einige der noch intakten retroviralen Steuersegmente beeinflussen die Aktivität menschlicher Gene sogar positiv. Das Verdauungsenzym Amylase etwa wird nur in Mundspeicheldrüsen produziert, weil sich ein HERV-Schaltelement, das ehemals die Produktion viraler Eiweiße ankurbelte, vor langer Zeit vor das Amylase-Gen gesetzt hat. "Im Gegensatz zu anderen Säugern ist es dem Menschen daher möglich, nach kurzem Kauen festzustellen, ob die Nahrung Kohlenhydrate enthält", erklärt Mayer. Amylase setzt aus Stärke Zucker frei, der Nahrungsbrei schmeckt süß.

"Alles in allem haben die HERVs einen neutralen oder eher positiven Einfluss auf den Menschen"
(Jens Mayer)
Manche HERV-Sequenzen werden jedoch in Boten-RNA oder gar Proteine übersetzt und tauchen sowohl in gesunden als auch durch Krankheit veränderten Körpergeweben auf. Ein Protein von einem Provirus der Familie HERV-W, das Syncytin, ist sogar am Aufbau der menschlichen Plazenta beteiligt. Dennoch wird immer wieder der Verdacht geäußert, HERVs seien an der Entstehung von Tumoren oder Autoimmunerkrankungen beteiligt. So findet man bei Brustkrebs, Melanomen aber auch Hodentumoren stets eine verstärkte Produktion von Proteinstrukturen der Virusfamilie HERV-K. "Bei der Diagnose eines Hodentumors lassen sich beim Patienten hohe Antikörper-Spiegel gegen diese HERV-Proteine nachweisen", sagt Mayer. Ob diese Beobachtung nun aber lediglich ein Begleitphänomen der Tumorgenese ist oder ursächlich mit ihr zu tun hat, bleibt zu klären. "Alles in allem haben die HERVs aber einen neutralen oder eher positiven Einfluss auf den Menschen", meint der Homburger Wissenschaftler.

Jede Menge Tricks

Miniparasiten aus der Familie der Herpes-Viren sind ebenfalls sehr anhänglich. Im Gegensatz zu den HERVs wird der Mensch jedoch in der Regel nicht mit ihnen geboren, sondern steckt sich meistens im Kindesalter an. Herpes-Viren begleiten den Menschen ein Leben lang, treten jedoch nur in sehr speziellen Situationen ans Tageslicht. Einer dieser stillen Begleiter ist das Cytomegalievirus (CMV). Obwohl je nach Alter und geografischer Lage vierzig bis hundert Prozent der Menschen dieses Virus in sich tragen, merken die meisten nichts davon. Der Körperabwehr gelingt es, den Eindringling in Schach zu halten, nicht jedoch, die Viren endgültig zu vertreiben. Denn das CMV beherrscht eine Menge Tricks, mit denen es sich in den Wirtszellen vor der Immunabwehr verstecken kann.

Cytomegalievirus | Das humane Cytomegalievirus macht normalerweise keine Probleme im Körper. Wenn es während der Schwangerschaft an den Embryo weitergegeben wird, kann es jedoch schwere Missbildungen hervorrufen.
"Das Cytomegalievirus ist ein alter Begleiter des Menschen und perfekt an ihn angepasst", erklärt Hartmut Hengel vom Institut für Virologie der Heinrich-Heine Universität in Düsseldorf. Der Mediziner versucht mit seiner Arbeitsgruppe herauszubekommen, wie das Virus das Immunsystem überlistet und in ruhendem Zustand in verschiedenen Körpergeweben überdauern kann. Das ist unter Normalbedingungen auf den ersten Blick nicht störend für den Organismus. In Situationen jedoch, in denen die Abwehrkraft geschwächt ist, kann das CMV zu einem echten Problem werden. Gerade wenn sich die werdende Mutter während des zweiten bis sechsten Schwangerschaftsmonats ansteckt und das Virus an den Embryo weitergibt, erleiden viele der Kinder bleibende Schäden, da das Immunsystem des Embryos dann noch nicht voll entwickelt ist.

"Das Cytomegalievirus ist ein alter Begleiter des Menschen und perfekt an ihn angepasst"
(Hartmut Hengel)
Die schweren Missbildungen, die durch das CMV verursacht werden, sind keinesfalls selten. "Die Hälfte aller Schwangeren sind noch nie mit dem Virus zusammengekommen. Wenn sie sich während der Schwangerschaft anstecken, kann es gefährlich werden", erklärt Wolfgang Jilg, Mitglied der "Ständigen Impfkommission" (STIKO) und tätig am Universitätsklinikum in Regensburg. Man schätzt, dass je nach Region und Bevölkerungsgruppe eins von tausend Kindern bei der Geburt durch das CMV geschädigt ist. Auch bei Menschen, deren Immunsystem zeitweise oder dauerhaft geschwächt ist, sind CMV-Infektionen gefürchtet – Patienten, die ein Organ transplantiert bekommen oder solche, bei denen durch Aids die Abwehrkräfte lahm gelegt sind.

Um gegen das CMV vorzugehen, stehen zur Zeit antivirale Wirkstoffe zur Verfügung, etwa das Ganciclovir oder das auf dem gleichen Wirkmechanismus basierende Valganciclovir. Beide Medikamente haben jedoch starke Nebenwirkungen und werden daher zur Prophylaxe nach Transplantationen, nicht aber bei Schwangeren eingesetzt. Hier wäre zur Vorbeugung eine Impfung ideal.

Impfen gegen die Untermieter?

Nach Auskunft von Jilg gibt es schon seit Jahren Bemühungen, einen effektiven CMV-Impfstoff in die Hände zu bekommen – bisher allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Dieser könnte möglicherweise bald aus Hannover vermeldet werden. Die dort ansässige Vakzine Projekt Management GmbH (VPM) organisiert die Entwicklung von Impfstoffen im Rahmen einer Initiative des BMBF und im Auftrag der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig. VPM hat die Lizenz für einen viel versprechenden CMV-Impfstoffkandidaten, der nun in Zusammenarbeit mit einer Biotechfirma in Düsseldorf für die klinische Prüfung am Menschen vorbereitet werden soll. "Wir rechnen damit, dass solche Tests im nächsten Jahr anlaufen werden", sagt Bernd Eisele, Leiter Forschung und Entwicklung bei VPM.

Nur – wer sollte sich impfen lassen? Und wie hoch wäre die Akzeptanz in der Bevölkerung? Eisele rechnet mit einer breiten Zustimmung, sollte ein Impfstoff zur Verfügung stehen: "Ich erwarte eine sehr hohe Akzeptanz, ähnlich der, die bei der routinemäßig angewandten Rötelnimpfung bereits vorhanden ist." Während Eisele vorschlägt, bereits alle Kinder gegen das CMV zu impfen, gibt es laut STIKO-Mitglied Jilg keinen klassischen Grund, grundsätzlich alle Menschen zu impfen. Auch der Düsseldorfer CMV-Experte Hartmut Hengel sieht eine stichhaltige Impfbegründung nur für Frauen mit Kinderwunsch, die CMV negativ sind und Personen, die ebenfalls noch nie mit dem Virus in Kontakt gekommen sind und vor einer Organtransplantation stehen.

Keine leichte Entscheidung

Einen anderen Anlass, womöglich schon im Kindesalter eine Infektion mit CMV, aber auch solche mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) durch eine Impfung zu unterbinden, bringen die jüngsten Forschungsarbeiten von Immunologen ans Licht. Graham Pawelec und seine Mitarbeiter vom Universitätsklinikum in Tübingen beschäftigen sich mit dem Immunsystem alter Menschen. Mit zunehmendem Alter lassen die Abwehrkräfte aus verschiedenen Ursachen nach. Pawelec und auch seine Kollegin Beatrix Grubeck-Loebenstein vom Institut für Biomedizinische Alternsforschung in Innsbruck haben festgestellt, dass die dauerhafte Konfrontation des Immunsystems mit anhänglichen Viren Abnutzungserscheinungen der Körperabwehr fördert. Menschen, deren Immunsystem dauerhaft eine CMV- oder EBV-Infektion in Schach halten muss, haben weniger unverbrauchte, frische T-Zellen im Blut als solche, die diese Viren nicht beherbergen. Ältere Virus-Träger können daher nicht mehr so flexibel auf neue Eindringlinge reagieren, die Immunantwortantwort – auch auf Grippeimpfungen – ist deutlich herabgesetzt.

Impfen – ja oder nein? Eine einfache Antwort gibt es nicht. Auf der Hitliste des amerikanischen Institute of Medicine in Washington, das die Dringlichkeit neuer Vakzinen unter rein ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet, steht jedenfalls ein CMV-Impfstoff zusammen mit therapeutischen Vakzinen gegen Diabetes oder Multipler Sklerose ganz weit vorne.

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